Das führende Land der Zynegetik

Frankreich: Wie viele Waffen sind in privaten Händen?

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Am vergangenen Sonntag wurde ein Häftling des Gefängnisses in Varces-Grenoble von einem Mann erschossen, der von einem Hügel außerhalb der Haftanstalt mit einem Gewehr auf sein Opfer zielte, das sich gerade im Gefängnishof aufhielt. Am gleichen Tag erschoss ein Betrunkener auf der Jagd - die Saison in Loire ist gerade eröffnet – auf unglückliche Weise seinen Bruder. Zwei Fälle, die zumal vor dem Hintergrund des Amoklaufes in Finnland jetzt auch in Frankreich die Aufmerksamkeit auf Feuerwaffen in Privatbesitz lenken.

Wie viele Waffen in unserem Nachbarland genau in Umlauf sind, wird vom Innenministerium als „heikles Thema“ eingestuft, präzise Antworten auf die Frage gibt es dennoch nicht. Zwar müssen nach einem Reglement bestimmte Waffen in Privatbesitz seit 2004 in der Kartei Agrippa (application nationale de gestion du répertoire informatisé des propriétaires et possesseurs d'armes) registriert werden und Agrippa gilt auch als einzig verfügbare Statistik in dieser Hinsicht, aber diese Erfassung hat ihre Lücken, worauf verschiedene Organisationen hinweisen.

Während Agrippa laut Innenminister 2.147.671 registrierte Feuerwaffen in Privathand zählt, schätzt etwa das in Lyon ansässige Observatoire des transferts d'armement die Zahl der kursierenden Waffen auf "mögliche 20 Millionen".

Die deutlich höhere Zahl wird vom Vorsitzenden des Observatoire, Patrice Bouvenet, damit begründet, dass viele Waffen eine „extrem lange Lebensdauer“ hätten, „50 bis 60 Jahre“, und demnach weit vor der Registrierungspflicht der Agrippa angeschafft wurden. Polizisten würden bei Ermittlungen immer wieder auf Waffen stoßen, die noch aus dem zweiten Weltkrieg stammten. Alle diese Waffen, die noch von den Großvätern kämen, seien laut Bouvenet niemals öffentlich gemeldet worden, ganz zu schweigen von den Waffen, die beim großen Verbrechen im Umlauf sind.

Auf etwa 12 Millionen Waffen in Privatbesitz kommt Yves Gollety, Chef der Chambre syndicale nationale des Armuriers. Er macht darauf aufmerksam, dass Frankreich in Europa "das führende Land der Zynegetik" sei - womit er die Jagd meint-, weswegen es eine Menge Jagdwaffen gebe, die nicht deklariert seien. 20 Millionen seien zwar theoretisch auch möglich, weil darunter auch alte, nicht mehr funktionsfähige Waffen gezählt würden, aber seine Rechnung würde auf realistischeren Annahmen beruhen:

Es gibt derzeit 135 000 lizenzierte Sportschützen in Frankreich, die etwa 700.000 bis 800.000 Waffen bei sich zuhause haben. Man zählt derzeit 1,4 Millionen Jäger, die zu einem großen Teil auch Sportschützen sind. Jeder Jäger besitzt zwischen vier und fünf Waffen. In der Vergangenheit zählte man bis zu 3 Millionen Jäger, deren Waffen häufig nicht zerstört worden sind. Darauf basierend kann man von einer vernünftigen Schätzung ausgehen, die insgesamt mit etwa ein Dutzend Millionen moderne Waffen in der Hand von Privatleuten rechnet.

Das „Institut des hautes études internationales et du développement“ in Genf kommt in seiner Studie auf geschätzte 18 bis 20 Millionen Handfeuerwaffen im Besitz französischer Zivilisten. Auf der internationalen Rangliste liegt Frankreich weltweit mit geschätzten 32 Waffen pro 100 Einwohner auf Rang sieben weltweit (Deutschland liegt mit 30 auf Platz zehn, hinter Österreich -31-) . Platz eins belegt die USA mit 90, auf Platz 3 liegt Finnland (56). EUweit ist Frankreich die Nummer 2.

Soll der Privatbesitz von Waffen in Frankreich verboten werden? Eher nicht. Gewerkschaftler und andere Vertreter von Interessensgruppen verweisen auf schlechte Beispiele in Großbritannien und Japan: Seit man Waffenbesitz in Großbritannien verboten habe, sollen die Schützen demnach nach Frankreich reisen, um dort zu trainieren, heißt es, und Japan , wo Feuerwaffen absolut verboten seien, halte den Rekord für Morde mit der „blanken Waffe“. Die Jagd würde in Frankreich dagegen jährlich nur 25 Menschen das Leben kosten, keine allzugroße Zahl, so der Vertreter des Chambre syndicale nationale des Armuriers, deren Klientel vor allem Jäger sind.