Das gefährliche Spiel mit roten Linien in der Ukraine
Seite 2: Grünes Licht aus Washington für Angriff auf die Krim?
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Mit der Ausweitung der Waffenlieferungen haben sich auch die Kriegsziele verändert. Ursprünglich wollte das Bündnis der Ukraine helfen, ihre Unabhängigkeit und Souveränität zu verteidigen und eine russische Invasion abzuwehren, die auf einen Regimewechsel abzielte.
Zwei Monate später sprachen US-Beamte öffentlich von einem "Sieg" und einer "strategischen Niederlage" Russlands, die das Land "geschwächt" zurücklassen würde. Biden hat wiederholt geschworen, die Ukraine zu unterstützen, "solange es nötig ist", auch wenn Selenskyj und andere Beamte wiederholt deutlich gemacht haben, dass ihr Ziel jetzt die Rückeroberung der Krim ist, was eine nukleare Eskalation auslösen könnte.
Von Diplomatie ist in den US-Kommentaren zu diesem Krieg kaum die Rede. Vielmehr wird eine drastische Eskalation des Nato-Engagements gefordert, um einen ukrainischen Sieg zu erreichen, oft mit der Begründung, dass jedes andere Ergebnis einen existenziellen Schlag für den Westen und die gesamte liberale Weltordnung bedeuten würde.
"Wenn Russland den Krieg in der Ukraine gewinnt, werden wir ähnliche Verhaltensweisen in den nächsten Jahrzehnten erleben", sagte die progressive finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin kürzlich in Davos. Sie versprach, die ukrainischen Kriegsanstrengungen gegebenenfalls 15 Jahre lang zu unterstützen.
Wir müssen dafür sorgen, dass am Ende die Ukrainer gewinnen. Ich glaube nicht, dass es eine andere Wahl gibt.
Die New York Times berichtet, dass US-Regierungsbeamte ernsthaft in Erwägung ziehen, der Ukraine grünes Licht für einen Angriff auf die Krim zu geben, auch wenn sie das Risiko eines nuklearen Gegenschlags dabei eingestehen. Die Befürchtungen einer solchen Eskalation "haben sich abgeschwächt", so die US-Vertreter gegenüber der Zeitung.
Indem die Biden-Regierung ihre Unterstützung für das ukrainische Militär eskaliert, schaffen die USA und die Nato für Moskau einen Anreiz, einen drastischen, aggressiven Schritt zu unternehmen, um die Ernsthaftigkeit der eigenen roten Linien zu untermauern.
Das wäre schon in entspannten Phasen gefährlich. Es ist es aber vor allem, da russische Offizielle deutlich machen, dass sie den Krieg zunehmend als einen Krieg gegen die Nato und nicht nur gegen die Ukraine betrachten, während man gleichzeitig mit einer nuklearen Antwort auf die Eskalation der Waffenlieferungen der Allianz droht.
Die Regierungen der Nato-Staaten stellen den Konflikt in der Öffentlichkeit zunehmend nicht mehr als begrenzten Versuch dar, einem Land bei der Abwehr der Invasion des größeren Nachbarn zu helfen, sondern als existenziellen Kampf um das Überleben des Westens. Das wird dann gespiegelt in der Sichtweise der russischen Führung, den Krieg als Überlebenskampf gegen feindliche westliche Mächte anzusehen. Bemerkenswert ist, dass das trotz der öffentlichen Befürwortung von Diplomatie durch die Biden-Regierung Ende letzten Jahres geschehen ist.
Wenn die Absicht besteht, diesen Krieg als einen begrenzten, regionalen Krieg zwischen zwei Nachbarstaaten zu führen, in dem die Nato nur eine periphere, unterstützende Rolle spielt, dann widersprechen dem die aktuellen Trends und Unternehmungen.
Solange sich die Verantwortlichen nicht gemeinsam um eine Deeskalation bemühen und einen diplomatischen Weg einschlagen – und prominente Stimmen in Medien und Politik den politischen Raum dafür schaffen –, wird Bidens Versprechen, einen Dritten Weltkrieg zu vermeiden, so viel bedeuten wie Präsident Johnsons Versprechen aus dem Jahr 1964, "amerikanische Jungs nicht neun- oder zehntausend Meilen von zu Hause wegzuschicken, um das zu tun, was asiatische Jungs selbst tun sollten."
Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem US-Magazin Responsible Statecraft und findet sich dort im englischen Original. Übersetzung: David Goeßmann.