Das große Fressen

Die Münchner Millionärsmesse als kulturelle Bruchstelle

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In dem Soziologieklassiker „Theorie der feinen Leute“ zeigte Thorstein Veblen zwei Verhaltensweisen der „müßigen Klasse“ auf: Zum einen den demonstrativen Müßiggang, zum anderen den demonstrativen Konsum. Beides diente den oberen Klassen in den USA an der Wende zum 19. Jahrhundert als Nachweis ihres Reichtums und als Abgrenzungsmerkmal gegenüber den unteren Klassen. Und auch noch heute gilt es in Nordamerika nicht als obszön, den erwirtschafteten, geraubten oder zusammen spekulierten Reichtum in Form von großen Häusern, schnellen Flugzeugen und schönen Frauen den subalternen Klassen zu präsentieren. Und so wie in den vergangenen 15 Jahren das US-amerikanische Finanzgebaren mit deregulierten Märkten und zweifelhaften Finanz-„Produkten“ in Europa Einzug hielt, so soll nun auch der demonstrative Konsum hier Fuß fassen. Heute eröffnet in München die erste deutsche Millionärsmesse für drei Tage ihre Pforten.

Werbung für die Millionärsmesse in München mit einer eine perlenbehangenen Dame unter einer Rokoko-Perücke

Über den schlappen Eintrittspreis von 39 Euro hätte Veblen wahrscheinlich nicht mal einen Buchstaben verloren, doch innen drin wird es nobler. Die mit 550 Diamanten besetzte Tagesdecke für 300.000 Euro (inklusive zweier Kissen), das Wohnmobil mit integriertem Kleinwagen für 800.000 Euro, die Goldblatt-Zigarre für 200 Euro - dies weist in die richtige Richtung demonstrativen Konsums.

Doch betritt der Veranstalter - ein holländischer Verleger von Luxuszeitschriften - mit seiner Millionärsmesse noch unerforschtes Terrain, jedenfalls was Deutschland anbelangt. Darauf verweist etwa die Wahl des Standortes. Hamburg, so heißt es, sei für die Messe zu konservativ gewesen. Dort ist das Geld ja alt und mit bürgerlichen Handelshäusern verbunden. Berlin wiederum sei ein zu schmuddeliges und unberechenbares Pflaster, mit Horden von neidischen Hartz-IV-Empfängern und dem Osten vor der Tür. Frankfurt wiederum ist durch das reine Geldverdienen geprägt, eine zu nüchterne Atmosphäre. Bleibt also die heimliche Hauptstadt Deutschlands mit ihrer „Bussi-Gesellschaft“, den Prominenten von Film und Fußball und den Millionären vom Starnberger See.

Die Veranstalter der Millionärsmesse haben diese früher schon in Shanghai, Dubai und Moskau abgehalten. Also überall da, wo das große Geld schnell und leicht an Dynastien, Familien oder Einzelpersonen andockt. In Moskau, wo der Kapitalismus und der Reichtum noch sehr jung und ungestüm sind, stellt sich der demonstrative Konsum von selbst ein. So soll ein Mercedes voller Swarowski-Steine schon am ersten Tag verkauft worden sein. Dass so etwas in Deutschland, wo der Kapitalismus lange Zeit soziale Marktwirtschaft war, nicht geht, ist auch den Veranstaltern bewusst. Hier würde man vielmehr diskret auf aufwendige Lederarbeiten und starke Motoren setzen, heißt es, also auf innere Werte.

Denn in der Tat war demonstrativer Konsum in Deutschland bisher wenn, dann eher bei den Prominenten, den Film- und Musikstars, legitim. Die Wirtschaftswelt und der (Geld)Adel hielten sich, auch eingedenk der sowjetischen Panzer am Brandenburger Tor, zurück. Man musste den Genuss nicht vor Kreti und Pleti demonstrieren. Und war das Geld doch auch mehr in der Realwirtschaft, etwa mit schwäbischen Erfindungsgeist verdient, als im Finanz-Casino gewonnen.

So gesehen würde die Millionärsmesse eine Bruchstelle im Gebaren und Zusammensetzung der Reichen darstellen. In Filmtiteln ausgedrückt ginge es quasi um die Ersetzung des „Diskreten Charmes der Bourgeoisie“ durch das „Große Fressen“: Reichtum kann nicht Sünde sein.

Dumm nur, dass zum einen dem demonstrativen Konsum in Deutschland noch die andere Seite der Medaille fehlen würde, die in den USA dazugehört: die Wohltätigkeit. In dem ebenfalls soziologischen Klassiker „Die Goldküste und der Slum“ von Harvey Warren Zorbaugh wird beschrieben, wie die reichen Damen von Chicagos feinen Vierteln einen nicht unbeträchtlichen Teil ihres Müßiggangs karitativen Zwecken opfern. Der Reiche, so das ungeschrieben Gesetz, hat den Armen zu geben. Das tun die Reichen in Deutschland auch, nur bisher weniger öffentlich und einfach weniger - wir hatten ja einen Sozialstaat.

Dumm auch, dass die Millionärsmesse just zu einem Zeitpunkt eröffnet wird, an dem das Casino-Geld gerade nicht sehr flüssig ist. Die Veranstalter grämt dies nicht, man rechnet mit dem Run auf solide Werte. Dass man mit einer solchen Millionärsmesse symbolisch freilich viel falsch machen kann, zeigt auch, dass der Eröffnungstag auf den Welthungertag fällt, mache könnten flugs einen Zusammenhang zwischen Armut und Reichtum konstruieren. So sind auch schon diverse Protestveranstaltungen angekündigt.

Doch was soll man symbolisch von jener Pressemeldung halten, der zufolge für die Millionärsmesse durch eine perlenbehangene Dame mit Rokoko-Perücke geworben wurde. Sehen sich doch die Messekritiker gleich an Marie-Antoinette erinnert. Jene Dame, die nach ihrem Rat an die damaligen Hartz-IV-Empfänger, wenn sie kein Brot hätten, sollten sie doch Kuchen essen, in der Französischen Revolution unter der Guillotine landete.