Das grüne Silicon Valley der SPD

Steinmeiers Deutschland-Plan stößt auf Zurückhaltung oder Spott. Das liegt weniger am Inhalt, sondern am Zustand der SPD

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Knapp sieben Wochen vor der Wahl dümpelt die SPD auf einen Tiefstand bei knapp 20 %. Auch der Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier verliert in den Umfragewerten weiter an Zustimmung. Dann sorgte der für einige Tage im spanischen Urlaub verlustig gegangene Dienstwagen von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt noch für zusätzliche Negativschlagzeilen im Sommerloch. Anfang August sollte damit Schluss sein. SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier legte einen Deutschlandplan zur Ankurbelung der Wirtschaft vor.

Kernpunkte sind die Herstellung der Vollbeschäftigung bis zum Jahr 2020 und die Schaffung von vier Millionen neuen Arbeitsplätzen. Zwei Millionen in der Industrie, eine Million im Gesundheitsbereich, 500.000 in der Kreativwirtschaft und weitere 500.000 im Handel und in haushaltsnahen Dienstleistungen. Dabei soll die grüne Technologie in weiten Bereichen die Grundlage für die Arbeitsplätze bilden. 30 Prozent des Stroms sollen nach den SPD-Vorstellungen aus erneuerbaren Energien und 40 Prozent aus "sauberen" Gas- und Kohlekraftwerken stammen.

Den in der rot-grünen Ägide ausgehandelte allmähliche Rückzug aus der Atomkraft will man fortsetzen. Der Ausstoß von Treibhausgasen soll in 11 Jahren um ein Fünftel unter dem aktuellen Stand liegen. Die Gleichberechtigung der Geschlechter soll auch in den Führungsetagen weitere Fortschritte machen. Ein neues Gleichstellungsgesetz soll dafür sorgen, dass es in Deutschlands Aufsichtsräten 2014 einen Frauenanteil von 40 Prozent gibt. Für Vorstände soll es eine Quote geben. Frauen sollen genauso viel verdienen wie Männer. In einer SPD-geführten Bundesregierung wäre die Hälfte der Ministerposten für Frauen reserviert. Auch die kostenfreie Bildung sprach der Kanzlerkandidat an. Schließlich ist die rege studentische Beteiligung am Bildungsstreik noch in guter Erinnerung.

Zwischen Greentech und New Green Deal

Die Programmpunkte lesen sich wie ein Koalitionsprogramm für eine rot-grüne Bundesregierung. Die von Steinmeier unter dem Begriff Green Tech subsumierten wirtschaftspolitischen Vorstellungen der SPD haben viele Gemeinsamkeiten zum grünen Green New Deal, mit dem die Ökopartei in den Wahlkampf zieht und genau wie Steinmeier Arbeitsplätze verspricht. Auch dort steht die Förderung energieeffizienter Produktion und die Weiterentwicklung umweltfreundlicher Angebote, vom Elektroauto über Windkrafträder und Solaranlagen bis zu Niedrigenergiehäusern auf dem Programm. Diese grüne Technologie soll zu einem Standbein der deutschen Wirtschaft werden.

Von den Grünen kamen auch lobende Worte für die SPD-Pläne. Neben einer verhaltenen Zustimmung von einigen Gewerkschaftern waren das fast schon die einzigen positiven Kommentare zum Steinmeierplan. Ansonsten überwogen Skepsis und Häme. Steinmeier und die Sonnenblumen titelte der Stern süffisant, da der Kandidat vor einem Bündel von Sonnenblumen sprach.

Die Symbolik würde ebenso wie der Inhalt von Steinmeiers Rede gut zum Beginn eines rotgrünen Lagerwahlkampfs passen. Das ambitionierte Programm soll Aufbruchsstimmung vermitteln. Allein es fehlt der Glaube. Wenn im Zusammenhang mit dem Plan vom deutschen Silicon Valley die Rede ist, ist das meist spöttisch gemeint. Eine eigene rotgrüne Mehrheit ist nach Lage der Dinge so gut wie ausgeschlossen. Eine von der Linkspartei tolerierte rotgrüne Bundesregierung wäre nicht ganz so unwahrscheinlich. Doch diese Variante wurde von der SPD vehement ausgeschlossen und ist nach dem Scheitern von Andrea Ypsilantis an den eigenen Parteigenossen gestorben. Deshalb kann die SPD günstigstenfalls dezimiert und mit weniger Einfluss weiter den Juniorpartner in einer Neuauflage der großen Koalition spielen. In all diesen Varianten hätte der ambitionierte SPD-Deutschlandplan keine praktischen Umsetzungschancen. Hier und nicht in erster Linie am Inhalt liegt auch die große Zurückhaltung, mit der der Plan aufgenommen wurde. Er trägt klar den Stempel „Wahlkampf“ und kann in 7 Wochen ganz schnell wieder gemeinsam mit dem Kandidaten in der Versenkung verschwinden.

Vollbeschäftigung unter welchen Bedingungen?

Die Fragen, die in dem Plan aufgeworfen wurden, bleiben allerdings auf der politischen Agenda. Da geht es darum, wie realistisch die Forderung nach Vollbeschäftigung in der gewandelten Arbeitsgesellschaft überhaupt ist. Viele Soziologen und Sozialwissenschaftler sagen, die Vollbeschäftigung sei überholt, und setzen auf Konzepte, die den Lebensunterhalt von der Erwerbsarbeit abkoppeln, wie das bedingungslose Grundeinkommen.

Steinmeier hat allerdings schon im März 2008 erklärt, dass er Vollbeschäftigung für möglich halte und diese Frage mit der Green Tech verknüpft, also in Grundzügen die Inhalte seines Deutschlandplans vorgetragen. Damals hat er allerdings auch die Agenda 2010, an deren Ausarbeitung er maßgeblich beteiligt war, ausdrücklich gegen alle Kritik verteidigt. Spätestens hier stellt sich natürlich die Frage, wie die vom Kandidaten herbeigesehnten Arbeitsplätze bezahlt werden. Schließlich hat die Agenda 2010 zu einem starken Anwachsen der prekären Beschäftigungsverhältnisse geführt. Gerade in der von Steinmeier angesprochenen Kreativwirtschaft sind die prekären Arbeitsverhältnisse am Wachsen. Auch im historischen Silicon Valley waren schlecht bezahlte und oft gesundheitsschädliche Arbeitsplätze eine der Grundlagen für das Erfolgsgeheimnis.

SPD und die Kreativen

Die Sozialdemokratie versucht seit Längerem, ihr altes Image als Partei der fordistischen Arbeit loszuwerden, und bemüht sich, als Interessenvertretung der sogenannten Kreativen wahrgenommen zu werden. Allerdings mit mäßigen Erfolg Dazu sollte auch Anfang Juli eine Veranstaltung Heimat Metropole im Radialsystem, dem Vorposten des in Berlin höchst umstrittenen Mediaspree-Projektes, dienen.

In den Medien wurde aber mehr als über das Treffen über die strengen Auflagen für eine Protestkundgebung gegen die Mediaspree-Planung diskutiert. Auch ein weiterer Kontakt der SPD mit der Kreativwirtschaft hat bisher allen Beteiligten eher Lacherfolge eingebracht. So wird das Engagement von Sascha Lobo im Onlinebeirat der SPD mit Spott und Häme aufgenommen. Selbst die Drohung mit einer Selbstauflösung des wenig beachteten Gremiums wegen des Streits um die Internetsperren wurde allenfalls mit einem Schulterzucken zur Kenntnis genommen.

So ging es auch mit Steinmeiers Deutschlandplan. Das wird sich vor den Wahlen bestimmt nicht mehr ändern. Selbst die Hoffnung der SPD, dass durch gute Wahlergebnisse bei den Landtagswahlen in Saarland, Sachsen und Thüringen Ende August die Stimmung zu ihren Gunsten kippen könnte, ist trügerisch. Dann würde sofort die Debatte über das Verhältnis zur Linkspartei wieder losgehen. Denn nur in einer Kooperation könnte die SPD ohne die Union regieren. Deshalb wird es die SPD am Ende schon als Erfolg verkaufen, wenn ihr Ergebnis bei den Bundestagswahlen deutlich über den 20 Prozent liegt, die sie jetzt in Umfragen bekommt.

Allenfalls vor den übernächsten Bundestagswahlen, wenn sich der voraussichtliche SPD-Spitzenkandidat Woworeit mit dem grünen Alterspräsidenten des Bundestags Ströbele und der Linkspartei-Politikerin Katja Kipping nach langwierigen Crossover-Verhandlungen auf Grundlinien einer Zusammenarbeit geeinigt haben, könnten einige Ideen aus Steinmeiers Deutschland wieder diskutiert werden.