Das hört sich wie ein Wohlfahrtsprogramm für Spione an

Clinton fordert mehr Geld für den Kampf gegen den Cyberterrorismus

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Bill Clinton hat es sich zur eigenen Aufgabe gemacht, auch wenn oder gerade weil die politische Rolle des Präsidenten beschädigt ist, die USA mit aller Entschlossenheit als Supermacht der Welt zu erhalten (Die US-Sicherheitsstrategie für das nächste Jahrhundert). Neben den Milliarden, mit denen die konventionelle Rüstung aufgestockt werden soll, schlug er während einer Rede vor der National Academy of Sciences vor, im nächsten Haushaltsjahr, das am 1. Oktober beginnt, zusätzliche 2.8 Milliarden Dollar für die Bekämpfung der neuen terroristischen Bedrohungen vorzusehen, die von der Informationstechnik und biologischen sowie chemischen Massenvernichtungswaffen ausgehen.

Damit will Clinton allein 10 Milliarden Dollar für die Bekämpfung des Terrorismus aufwenden, darunter an die 1,5 Milliarden für die Bekämpfung des Cyberterrorismus und den Schutz der nationalen Infrastruktur. Das wären 40 Prozent mehr als noch 1997. Verdoppelt werden sollen überdies die Ausgaben zum Schutz vor Anschlägen mit biologischen und chemischen Waffen.

Clinton beteuerte, er wolle damit keine Panik auslösen, aber man müsse vor den neuen Gefahren gerüstet sein, denn Terroristen und andere Feinde würden vermehrt nach neuen Möglichkeiten suchen, gegen die USA vorzugehen, weil man erkenne, daß man mit den herkömmlichen Waffen die Supermacht nicht bezwingen könne. Das ist natürlich eine bestechende, wenn auch nicht unplausible Logik, die darauf hinaus läuft, die Rüstungsausgaben insgesamt immer mehr zu erhöhen. So will Clinton nicht nur den Verteidigungshaushalt insgesamt aufstocken und dazu etwa ABM-Vertrag verändern, um neue Anti-Raketen-Systeme aufzubauen, sondern eben auch mit allen Kräften versuchen, gegen jene Kräfte vorzugehen, die möglicherweise erst durch die wachsende militärische Dominanz und die gleichfalls wachsende Bereitschaft, militärisch und ohne Auftrag der Weltgemeinschaft wie unlängst in Afghanistan, im Sudan und in Irak einzuschreiten,nach neuen Mitteln und Wegen suchen. Je mehr man die konventionelle Rüstung aufbaut, desto mehr muß auch in den Kampf gegen den Terrorismus gesteckt werden. Das ist gewissermaßen ein hausgemachtes Wettrüsten, aber so ist schließlich auch die Grundlage für das Silicon Valley gelegt worden.

Für den Cyberwar gibt es ebenso wie für Anschläge mit biologischen Waffen noch immer keine Belege. Das könnte natürlich die Bereitschaft mindern, mehr Geld für noch nicht existierende Bedrohungen auszugeben. Deswegen greift Clinton, um das Ausmaß der virtuellen Bedrohung deutlich zu machen, auf andere Beispiele zurück: die AUM-Sekte mit ihrem Sarinanschlag auf die U-Bahn Tokyos, eine kurzzeitige Satellitenstörung, durch die Bankautomaten, Pager, Kreditkartensystem und Fernsehnetze betroffen worden seien, oder den Eissturm im letzten Jahr, der die Stromversorgung in weiten Bereichen lahmlegte. Gleichwohl sehen wir bereits laut Clinton "die erste Welle entschlossener Cyberangriffe: Hacker brechen in die Computer der Regierung und von Unternehmen ein, entwenden oder zerstören Informationen, plündern Bankkonten, belasten Kreditkarten und erpressen Geld mit Drohungen, Computerviren loszuschicken." All das sind freilich keine Cyberterroristen, sondern lediglich Cyberkriminelle, gegen die man nicht mit dem Militär vorzugehen bräuchte.

Das Geld will Clinton in Forschungsprojekte stecken, um Systeme zu entwickeln, mit denen sich unautorisierte Eindringlinge oder Trojanische Pferde in Computersystemen entdecken lassen und diese Information als Warnung an andere automatisch weitergeleitet wird. Solche Sicherheitsnetze sollen nicht nur für Regierung, sondern auch für die Privatwirtschaft entwickelt werden. Dann sollen offenbar weitere Informationszentren aufgebaut werden, mit denen die Regierung und die Privatwirtschaft gemeinsam gegen Cyberbedrohungen vorgehen können. Und schließlich soll es ein Cyber Corps Programm geben, um der Regierung durch höhere Gehälter und bessere Ausbildung die dringend benötigen Computerspezialisten zu verschaffen.

Man werde in allen Kämpfen aggressiv vorgehen, aber gleichzeitig die Rechte der Bürger auf Privatheit und die proprietären Rechte der amerikanischen Privatwirtschaft achten: "Es ist wichtig, daß wir nicht die Freiheit im Namen der Freiheit untergraben. Wir können den Terrorismus besiegen, indem wir uns auf das Beste in unserer freien Gesellschaft stützen: das Können und die Tapferkeit unserer Truppen, den Genius unserer Wissenschaftler und Ingenieure, die Stärke unserer Fabrikarbeiter, die Entschlossenheit und die Talente unserer Beamten und die Vision von Führern in jedem lebenswichtigen Sektor." Das hört sich schon wie ein Aufruf zur nationalen Einheit zur Bekämpfung eines, wenn auch weitgehend nur imaginär existierenden Feindes an. Schließlich hätten terroristische Anschläge mit biologischen Massenvernichtungsmittel wie die Cyberwaffen, die die gesamte Infrastruktur bedrohen, auch die Eigenschaft, sich gegen alle Bürger zu richten. Daher muß man nicht nur Medikamente lagern und Impfmittel entwickeln, sondern auch landesweit die Bewältigung von Notfällen üben und den privaten Sektor in den Kampf zum Schutz des Landes mit einbeziehen. Man soll sich auf den Ausnahmezustand vorbereiten, den es auch bereits im Hollywoodkino mit dem eben in Deutschland angelaufenen Film des gleichen Titels anzusehen gibt. Die "neuen Bedrohungen" lassen die Grenzen zwischen dem Militär oder der Landesverteidigung und der bürgerlichen Gesellschaft oder der Innen-, Gesundheits- und Wirtschaftspolitik verschwimmen. Wer das gesamte Leben immer besser überwachen will, der wird auch immer weiter in die Privatsphäre der Menschen eindringen.

Bislang habe man das Problem und die Gefährdung, die durch den Infowar und terroristische Anschläge mit den neuen Massenvernichtungswaffen ausgehen, nicht wirklich erkannt. Andererseits gehe es nur um eine Aufrüstungsspirale, die man schon seit allen Zeiten kenne. Weil aber heute alles sich viel schneller in der Computertechnik und der Biotechnologie entwickle, "müssen wir heute alles tun, was wir können, um sicherzustellen, daß wir die Kluft zwischen Angriff und Verteidigung möglichst zum Verschwinden bringen."

Clinton ruft auch dazu auf, Rußland und den anderen der ehemaligen Sowjetstaaten mehr dabei zu helfen, daß ihre Waffen und ihr Wissen nicht in die Hände von Terroristen fallen (Vom Hacker zum Cracker?). Man müsse die Tausenden von russischen Wissenschaftlern noch stärker finanziell unterstützen, damit sie nicht zu einem "fruchtbaren Feld für die Zwecke der Terroristen" werden. Symptomatisch für die Geisteslage fehlt aber in der gesamten Aufrüstungs- und Verteidigungsrede die auch nur oberflächlichste Überlegung darüber, warum denn Menschen überhaupt zu Terroristen werden. Alles beschränkt sich auf die Vermutung, daß die Gefahr groß und die USA das ausersehene Ziel seien, sowie auf die Frage, wie die amerikanischen Feinde vorgehen könnten.

Kritiker des amerikanischen Rüstungswettlaufs sind in den USA kaum zu hören. Bürgerrechtsorganisationen wenden sich höchstens dagegen, daß der Schutz der Privatsphäre gefährdet werde, und die Wirtschaft moniert vielleicht, daß die Versuche der amerikanischen Regierung, den Export starker Kryptoprogramme einzuschränken, den E-Commerce gefährden. Immerhin äußerte David Banisar vom Electronic Privacy Information Center zumindest den Verdacht, daß es beim Kampf gegen den Cyberterrorismus vornehmlich um mehr Überwachung gehe: "Das hört sich wie ein Wohlfahrtsprogramm für Spione an."

Tom Bliley, dem republikanischen Vorsitzenden des Wirtschaftsausschußes im Kongreß, gehen Clintons Vorschläge wiederum nicht weit genug. Nichts tue man, um terroristische Taten schon zu verhindern, bevor sie ausgeführt werden, moniert er. Der Besitz von gefährlichen biologischen Keimen wie Anthrax sei nicht verboten, wenn man nicht nachweisen kann, daß jemand sie als Waffe gebrauchen will. Und es gäbe keine Strafen für diejenigen, die falsche Berichte oder Gerüchte über Angriffe mit biologischen oder chemischen Waffen verbreiten: "Das ist ein zunehmendes Problem, das unnötig Panik und Angst bei den Bürgern dieser Nation erzeugt." Ob er damit wohl auch den Präsidenten selbst meint? Und wie ließe sich das besser als durch eine permanente Überwachung machen?

Biowaffen, Infowar oder Kalshnikov?