Das letzte Mal Merkel

Egal, wie die Wahl ausgeht, die Ära Merkel geht zu Ende und das politische Koordinatensystem, für das sie steht, verändert sich

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Alles andere als eine erneute Kandidatur von Bundeskanzlerin Merkel für die beiden Unionsparteien CDU und CSU wäre eine handfeste Überraschung gewesen. Schließlich ist eine erneute Trennung der CSU, die sich vielleicht manche am rechten Flügel gewünscht haben, mit viel zu vielen Gefahren für die Partei selber verbunden. Schließlich würde dann auch die CDU in Bayern kandidieren und könnte die CSU erst recht aufreiben. Selbst Franz Josef Strauß, noch immer der geistige Übervater der CSU, hat den Trennungsbeschluss von Bad Kreuth wieder rückgängig gemacht, als ihm eine bayerische CDU als Schreckgespenst präsentiert wurde.

Mit dem Fetisch Obergrenze können CDU und CSU gut leben

Die in der letzten Zeit ausgiebig in aller Öffentlichkeit breitgewalzten Differenzen zwischen CDU und CSU nützen beiden Parteien. Seehofer könnte sich für seine konservative Klientel als rechter Hardliner präsentieren und Merkel als ebenso aufrechte Verteidigerin der Menschenrechte. Als Fetisch diente dabei der Begriff Obergrenze, der auch Menschenrechtsgruppen wie eine Rübe hingehalten wurde und alle sprangen darauf an. Für die Unionsparteien blieb die Situation so komfortabel.

Seehofer kann weiterhin die Obergrenze fordern, Merkel kann beteuern, mit ihr sei sie nicht zu machen, gleichzeitig wurden unter ihrer Regierungsverantwortung mehr Gesetze erlassen, um Migranten fernzuhalten, als unter anderen Regierungen. Das heißt, die so viel strapazierte Obergrenze ist dann gar nicht mehr nötig. Im Gegenteil, wenn die Differenz zwischen einer Obergrenze und den tatsächlich eintreffenden Migranten zu groß wäre, könnte der Druck auf Deutschland wachsen, mehr Geflüchtete aufzunehmen. Der fällt ohne Obergrenze weg.

Warum auch Menschenrechtsgruppen so auf den Fetisch Obergrenze anspringen, liegt daran, dass sie abstrakt und nicht konkret argumentieren. In der abstrakten Welt der Menschenrechtsrhetorik wird dann suggeriert, dass ein Deutschland ohne Obergrenze bei den Geflüchteten ein Land der offenen Grenzen wäre. In der Realität regelt die immer striktere Migrationsabwehrgesetzgebung die konkreten Modalitäten.

Warum kommen die Menschenrechtsgruppen nicht auf die Idee, eine sehr hohe Obergrenze und gleichzeitig eine sichere Einreise für diese Migranten zu fordern? Dass würde real viele Menschen abhalten, gefährliche Fluchtrouten mit den tödlichen Folgen zu benutzen. Das wäre für eine realpolitische Politik viel sinnvoller als die Verteidigung des Fetischs Obergrenze als reine, abstrakte Idee.

Welche Debatten in den nächsten Monaten bis zur Bundestagswahl wirklich relevant sind, machte der einflussreiche SPD-Politiker Oppermann mit seinem Plan deutlich, Migranten aus Afrika auf dem Kontinent unterzubringen. Damit greift Oppermann auf original sozialdemokratisches Gedankengut zurück. Schon Otto Schily hatte als Innenminister einer rot-grünen Koalition solche Pläne vorgelegt (Libyen wird Vorposten der EU).

Schulz nimmt Anleihe bei Sarrazin

Von der SPD dürften noch weitere solche Vorstöße erfolgen, je mehr sie bei dieser Wahl Chancen sieht, selber zur stärksten Partei und damit Merkel gefährlich zu werden. Die jüngsten Umfragen geben den Sozialdemokraten Hoffnung, sind aber vor allem Momentaufnahmen.

Dass der neu gekürte SPD-Kanzlerkandidat Schulz so viel Erfolg hat, liegt an seiner populistischen Ansprache an die hart arbeitende Bevölkerung. Damit werden Menschen, die nicht hart arbeiten oder wie Schulz sagt "schuften", abgewertet. Hier könnte Schulz Anleihen bei einem prominenten Parteigenossen nehmen, den die SPD schon mal vergeblich ausschließen wollte. Es war Thilo Sarrazin, der die Unterscheidung in Menschen, die nützlich sind, und solchen, dies es nicht sind, aus den rechten Ecken in die Mitte der Gesellschaft transportiert hat.

Auch wenn Schulz den Namen Sarrazin nicht in den Mund nehmen wird, zeigt seine Rhetorik, dass ein solcher Nützlichkeitsrassismus in einer Zeit des gesellschaftlichen Rechtsrucks längst zum gesellschaftlichen Konsens gehört. Er wird auch die Wahlen bestimmen und die Unionsparteien und die SPD werden sich in den nächsten Monaten in dem Bemühen übertrumpfen nachzuweisen, besser die hart schuftenden Deutschen anzusprechen.

Wenn das der SPD überzeugend gelingt, könnte sie Merkel gefährlich werden. Denn wahlarithmetisch hat die SPD zur Zeit Vorteile. Die SPD kann bei einer entsprechenden Mehrheit unter Umständen mit Linken und begrenzt auch mit den Grünen ein Bündnis eingehen, die CDU kann nicht einfach mit der real existierenden AfD koalieren. Das käme erst in der Nach-Merkel-Union und nach verschiedenen Häutungen der AfD in Frage.