Das war 2030

Lesen Sie vorab und exklusiv eine mögliche Ansprache des Vorstandsvorsitzenden Deutschlands mit seinem Rückblick auf das Wirtschaftsjahr 2030

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Das Jahr 2005 bescherte dem Bürger Nachrichten und Beschlüsse, die teils mit Staunen aufgenommen, oder mit schicksalsergebener Resignation ignoriert wurden. Vor allem das jährlich enger geschnürte digitale Korsett, welches Politik und Wirtschaft ihren Bürgern und Kunden anlegt, interessierte lediglich Datenschützer. Derzeit scheint es, als wolle die Regierung zukünftige Wirtschaftsentwicklungen dem Markt überlassen. Das einzige Regulierungsinstrument dieser Tage ist die Deregulierung. Nur selten wird gefragt, wohin die staatliche Demutshaltung gegenüber Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen langfristig führt. Wagen wir deswegen einen Blick auf das Jahr 2030. Lesen wir die fiktive Ansprache des Vorstandsvorsitzenden Deutschlands, mit einem Rückblick auf das abgeschlossene Wirtschaftsjahr 2030.

Liebe Bürger,

für die meisten von uns geht ein erfolgreiches Jahr 2030 seinem Ende entgegen. Betrachten wir die Verluste und Zugewinne, können wir erneut zufrieden sein! Die Reformen der Gesellschaft schreiten voran, die Jahresbilanz fällt unter dem Strich sehr positiv aus! Ich möchte die Gelegenheit nutzen, Ihnen die herausragenden Ereignisse des vergangenen Jahres in Erinnerung zu rufen und Rechenschaft über die daraus erfolgte Verbesserung des Jahresergebnisses abzulegen.

Gesellschaft

Das Hauptaugenmerk der Reformen lag auf der Entbürokratisierung der Gesellschaft. Die größte Vereinfachung bestand sicherlich in der ersatzlosen Streichung des Ordnungswidrigkeitsstrafbestandes. Infolge dieser Vereinfachung gelten alle Verstöße als Straftat. Das Messen mit zweierlei Regelsätzen erschien vielen als wenig zeitgemäß und dazu sehr aufwändig. Auch die von der letzten Regierung der damaligen Bundesrepublik eingeführte Bußgeldkultur mit automatischer Abbuchung für geringe Vergehen war schon seit längerem nur mit enormem Aufwand zu verwalten!

Durch notwendige begleitende Maßnahmen wie der vorsorglichen akustischen Wohnraumüberwachung war die Unterscheidung in Ordnungswidrigkeit und Straftat eine enorme Belastung für Verwaltung und Justiz. Hinzu kam, dass Vertreter der Industrie einen Arbeitskräftemangel in den privat betriebenen Strafvollzugsanstalten beklagten, dem dringend abgeholfen werden musste.

Dem Vorstand Deutschlands gelang es mit dieser Reform, diesem Arbeitskräftemangel zu begegnen. Vor allem die dringend benötigten Programmierer und Biowissenschaftler bereicherten den in den Gefängnissen entstandenen Niedriglohnsektor mit ihren Kenntnissen und halfen, den Vorsprung unserer Unternehmen auszubauen.

Ein weiterer Erfolg im Kampf gegen die Bürokratie wurde mit der ersatzlosen Streichung des Bundesfoltergesetzes erreicht. Gerade aus Kreisen der Polizei wurde in den letzten Jahren oft die Forderung erhoben, die durch dieses Gesetzeswerk auferlegten Beschränkungen abzuschaffen und so für eine gesteigerte Effizienz zu sorgen. Für einen diensthabenden Polizisten wäre eine Beurteilung, ob Folter zur Erlangung eines Geständnisses zulässig sei oder nicht, oft nicht eindeutig zu treffen. Auch liegt es in der Natur der Folter, dass oft erst im Nachhinein – wenn das Ausmaß der Schuld bekannt ist – beurteilt werden kann, ob Befragungsfolter zulässig gewesen wäre oder nicht.

Mit der Abschaffung des Bundesfoltergesetzes wurde dieser Gewissenskonflikt von den Ermittlungsbehörden genommen. Als Seiteneffekt können viele Fälle nun wesentlich schneller abgeschlossen werden, was auch dem Ziel eines schlanken Staates entgegen kommt. In diesem Zusammenhang leistet auch die unter staatlicher Schirmherrschaft entstandene Software guilty-O-matic wertvolle Hilfe bei der Formulierung der Geständnisse. Aus Umfragen wissen wir, dass die jetzige Regel von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung als gerechter wahrgenommen wird.

Auch in diesem Jahr konnten die Industriellen Städtepartnerschaften weiter ausgebaut werden. Für die Übernahme von Verantwortung in Städten und Gemeinden konnten viele Unternehmen einen Exklusiv-Vertrag für das von ihnen betreute Gebiet aushandeln. Infolgedessen konnten am Programm teilnehmende Supermarkt- und Fast-Food-Ketten Mitbewerbern dank ihres Alleinvertretungsrechts den Handel in ihren Gebieten untersagen und deswegen Geld für die nicht länger benötigte Werbung einsparen.

Hersteller von Sportbekleidung errichten Fitnesstudios und Unternehmen der Versicherungswirtschaft konnten durch die auf sie übergegangene Bau- und Verkehrsaufsicht, Gefahrpotentiale minimieren. Von allen Teilnehmern wird das Namensvergaberecht für Strassen und Plätze gerne genutzt. So wurde durch die Strasse der Unternehmensfreiheit oder den Platz der Eigenverantwortung frischer Wind in diese Gebiete gebracht. Die Ausgaben für den Erhalt von Strassen, Schulen und der öffentlichen Sicherheit bestreiten diese Unternehmen aus den gesicherten Einnahmen.

Technologie

Ein großer Erfolg im Kampf gegen Terroristen und Computerviren konnte ebenfalls im vergangenen Jahr dank einer weltweiten Kooperation der Industrienationen erreicht werden. Das weltweite Verbot von Quelltext und Compilern ließ nach Abschaltung aller Lizenzierungsserver das Aufkommen an Computerschädlingen schlagartig in den zweistelligen Prozentbereich sinken.

Moderne Programmgeneratoren, wie sie heute verwendet werden, sind dank eingebauter Sicherungsmechanismen nicht zum Programmieren von schädlicher Software zu verwenden. Diese Generatoren erkennen frühzeitig infektiöse Programmteile oder den Versuch, urheberrechtlich geschützte Inhalte zu vervielfältigen oder unberechtigt abzuspielen. Für die folgenden Jahre ist ein weiterer Rückgang der Virengefahr zu erwarten, da das gefährliche Wissen über Programmiersprachen eingedämmt und der Versuch der Beschaffung der illegalen Entwicklungstools zunehmend aussichtsloser wird.

Diejenigen unter Ihnen, die bereits in der Lage sind, dieser Ansprache über das neue Protokoll IPvDRM zu folgen, sind unmittelbare Nutznießer dieser neuen Technologie! Bereits auf tiefster Protokollebene wird verhindert, dass versehentlich illegale Inhalte transportiert werden. Für alles, wofür noch keine Lizenz vorliegt, werden sofort – und ohne dass Sie komplizierte Lizenzierungstechniken bedienen müssten – digitale Rechte erworben. Darüber hinaus verhindert diese Technologie den Zugriff auf solche Inhalte, deren Lizenz abgelaufen ist oder widerrufen wurde!

Die rückläufigen Anklagen wegen des Besitzes von Musik oder Filmen aus illegalen Quellen beweisen den Erfolg. Sobald diese Technologie lückenlos in die Geräte des täglichen Lebens integriert sind, werden die Kontrollen aller Reisenden mit Wiedergabegeräten in Bussen und Bahnen eingestellt werden. Zwar zeigen Markterhebungen, dass die klassische Raubkopie eher aus Angst vor Entdeckung und weniger aus innerer Einsicht heraus ausstarb. Doch dank IPvDRM gehören solche Gesetzesverstöße, ob absichtlich oder aus Unachtsamkeit, der Vergangenheit an.

Kultur

Auch auf kulturellem Gebiet gab es dank der gemeinsamen Anstrengung Erfolge zu feiern! Ich möchte beispielhaft den Menschenrechtspreis nennen, der dieses Jahr an die Autoindustrie verliehen wurde. Das Komitee aus Arbeitgeberverbänden und Lobbygruppen würdigten damit den neuen Service, den die PKW-Hersteller den Bewohnern ihrer städtepartnerschaftlich betreuten Wohngebiete anbieten. Seit Anfang des Jahres kann jeder Verkehrsteilnehmer gegen eine geringe Gebühr Einfluss auf die Rotphase der Ampelschaltungen nehmen. Dies ist in getrennten Varianten sowohl für Autofahrer als auch für Fußgänger vorgesehen. Je nach Tarif reicht das Leistungsspektrum dieses Bürgerservices von freie Durchfahrt bis Grün, wenn es keinen stört. In der Laudatio wies die Kommission auf die Stärkung der Bürgerrechte sowie einer Stärkung der Eigenverantwortung hin.

Boulevard

Seit nunmehr 5 Jahren beschäftigt der Streit, ob Klingeltöne eines Mobiltelefones als „öffentliche Aufführung urheberrechtlich geschützter Werke“ zu vergüten seien, Gerichte, Diskussionen sowie die Onlinepublikationen unseres Wirtschaftsraumes. 2030 erlitten die Verwertungsgesellschaften vor der Schiedsstelle für Wertschöpfungsfragen eine Niederlage. Zwar bejahten die Gutachter in Karlsruhe die Einstufung als „öffentliche Aufführung“, wollten daraus jedoch keine erhöhte Vergütungspflicht über die ohnehin anfallenden Aufführungsgebühren hinaus ableiten.

"Da im Umfeld der Mobiltelefone keine Eintrittskarten verkauft würden, fiele alleine schon deswegen eine individuelle Abrechnung schwer" argumentierten die Sachverständigen. Die Verwertungsgesellschaften kündigten an, zusammen mit Geräteherstellern die technischen Voraussetzungen für eine individuelle Abrechnung zu erarbeiten. Zusätzlich wurde der unentgeltliche Online-Zugriff auf die Positionsdaten der Handybesitzer gefordert, um den Kreis der Zuhörer feststellbar zu machen.

Das Ministerium für Datenerhebung verwies auf den gültigen Vergütungssatz solcher Anfragen, lehnte eine kostenlose Positionsangabe jedoch rundweg ab. Sicherlich wird uns diese Diskussion noch für Jahre beschäftigen!

Ausland

Schauen wir auf unsere Nachbarn auf dem Nachbarkontinent Amerika. Im Handelskrieg mit den USA musste Europa einige Schlachten verloren geben. Vor allem die absichtliche Verlangsamung der nordamerikanischen Lizenzierungsserver bereitete hierzulande Probleme. Viele Systeme konnten nicht installiert werden, da die US-Lizenzierungsserver eine Autorisierung verweigerten. Der daraus entstandene Schaden lässt sich kaum beziffern.

Nach Meinung der Experten ist für Europa eine eigene Infrastruktur zu schaffen, die eine von den USA unabhängige Lizenzierungs- und Kontrollmöglichkeit für alle Prozessoren im Wirtschaftgebiet ermöglicht. Dies wird jedoch von international gültigen Patenten behindert, die die Aushandlung von Lizenzberechtigungen ausschließlich in individuellen Lizenzen regelt.

Die feindliche Übernahme des wirtschaftsschwachen Boliviens durch die Tschechische Republik versetzte viele Bürger in Unruhe und Besorgnis. Einige halten eine feindliche Übernahme auch für den deutschen Wirtschaftsraum für möglich. Solche Ängste entbehren jedoch jeder Grundlage, denn durch die Zukäufe in Asien und Afrika wurden Kernkompetenzen erweitert. Wir verzeichneten einen Zugewinn an Ressourcen und Menschen. Den Arbeitnehmern in den übernommenen Gebieten kann der Vorstand Deutschlands garantieren, dass ihre Unabhängigkeit einzig in den Bereichen zur Disposition steht, in denen eine direkte Konkurrenzbeziehung bestand.

Die Wetterereignisse

Wie bereits in den Jahren davor, brachte uns die Klimaerwärmung viele erfreuliche Neuerungen. So konnten zum 10. Mal in Folge von den Weinreben der Deiche Rekordernten sonnenverwöhnter Weine eingefahren werden. Auch in Kapital, am Ufer der Spree, wurden Spitzenweine gekeltert. In anderen Gebieten konnte man mit großem Erfolg gleich zwei oder gar drei Ernten pro Jahr einfahren. Profitiert hat durch den Klimawandel auch der Umwelt- und Klimaschutz, da durch den sinkenden Heizbedarf der CO2-Ausstoß der Heizungen massiv zurück ging.

Schließlich kann der Arbeitsplatzabbau in den traditionellen Wintersportgebieten als abgeschlossen gelten. Dieses Jahr konnte der letzte Skilift des Landes mangels Wirtschaftsgrundlage seinen Betrieb einstellen.

Sport im Zeichen des Fortschritts

Das kurioseste Sportereignis des vergangenen Jahres war sicherlich das Endspiel des Robo-Cup im Leviathan-Stadion unserer Hauptstadt Kapital. Mit größter Spannung wurde die Begegnung der Mannschaften Dynamik Microsoft gegen mozilla.org erwartet. Nachdem die Roboter-Spieler des Mozilla-Projektes im ersten Drittel mit 7:2 in Führung gingen, wurden während der ersten Pause Vorwürfe laut, die Software des Mozilla-Torwartes verwende patentierte Funktionen zur Berechnung des Ballverlaufes. Auf Anordnung des Unabhängigen musste dieser Spieler für die Dauer der Untersuchung abgeschaltet werden.

Obwohl das Durchsuchen des Programmcodes nur 30 Minuten dauerte, konnte mozilla.org nicht verhindern, dass Dynamik Microsoft während dieser Spielphase mit 8:17 in Führung ging. Dieser Vorsprung konnte nach der 2. Werbepause nicht mehr eingeholt werden: die Partie endete mit 9:18. Forderungen, zu Fußballspielen wieder Menschen zuzulassen, wurden von der Versicherungswirtschaft wegen der bestehenden Verletzungsgefahr abgelehnt.

Liebe Bürger, ich möchte mich mit einem Zitat des britischen Moralphilosophen Adam Smith verabschieden:

Keine Gesellschaft kann gedeihen und glücklich sein, in der der weitaus größte Teil ihrer Mitglieder arm und elend ist.

In diesem Sinne werden meine Kollegen im Vorstand und ich weiterhin daran arbeiten, die für die so genannte Deutschland AG errungenen Erfolge zu erhalten, und jedem Bürger eine erfolgreiche Bilanz zum Jahresende zu ermöglichen.