Daten speichern im Kreisverkehr

Ein deutsch-schweizerisches Forscherteam konnte erstmals den Effekt der Ferrotoroidizität nachweisen: eine Art Magnetwirbel, deren Existenz man bisher nur vermutet hatte

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Manchmal haben Eltern ja doch recht: Wenn sie mit „Ordnung ist das halbe Leben“ eine Aufräumaktion im Kinderzimmer forderten etwa. Wer darauf vorlaut mit „Aber ich bevorzuge die andere Hälfte“ antwortete, ist offenbar kein Festkörperphysiker. Denn die spannendsten Effekte im Mikroreich beruhen auf einer gewissen, langreichweitigen Ordnung. Materialien, die solche Eigenschaften aufweisen, nennt man Ferroika. Ohne ferroische Effekte gäbe es keine Festplatten. Beim Ferromagnetismus, auf dem sie beruhen, sind die magnetischen Momente der Atome über weite Bereiche (die so genannten Domains) parallel. Nur deshalb kann man auch von außen ein resultierendes Magnetfeld messen.

Dabei gibt es allerdings ein paar Gefahren, die die Forscher gern umgehen würden. Einerseits ist es zur Erhöhung der Datendichte nötig, die Domains mit gemeinsamer Magnetisierungsrichtung immer stärker zu verkleinern. Der Schub, den der GMR-Effekt (dessen Entdeckung gerade mit dem Nobelpreis geehrt wurde) hier der Technik gegeben hat, ist beinahe schon wieder verebbt.

Er ermöglichte erst, die Magnetfelder auch so kleiner Domains auszulesen. Schrumpft man diese jedoch immer weiter, werden sie einerseits thermodynamisch instabil, mehr und mehr der Magnetmomente kippen zufällig um. Andererseits läuft man Gefahr, die Magnetisierung beim Auslesen zu ändern. Und drittens kommt man der Lösung des Problems nicht näher, dass zum Lesen und Schreiben sich vergleichsweise langsam aufbauende Magnetfelder benötigt werden.

Nun ist der Ferromagnetismus nicht der einzige Effekt, der auf einer langreichweitigen Ordnung in Festkörpern beruht. Aus dem Physikunterricht bekannt sein sollte die Ferroelektrizität, und auch die Ferroelastizität kennt man in ihrer spannendsten Ausprägung, den gestalterinnernden Materialien. Den Effekten ist gemeinsam, dass sie sich von außen beeinflussen lassen, entweder mit magnetischen oder mit elektrischen Feldern.

Ferrotoroidizität

Einen Ausweg aus dem oben beschriebenen Dilemma könnte ein vierter ferroischer Effekt geben, der schon seit einiger Zeit vorausgesagt wurde. Bei der so genannten Ferrotoroidizität finden sich im Festkörper ausgeprägte Bereiche, bei denen magnetisierte Atome winzige Magnetwirbel bilden, die sich links- oder rechtsherum drehen können. In einer ferrotoroiden Domain ist die Drehrichtung der Wirbel ausgerichtet - sie haben quasi links oder rechts gewählt.

Es hat sich allerdings als recht kompliziert erwiesen, die Drehrichtung dieser Wirbel auch tatsächlich und nachvollziehbar zu messen und so überhaupt das Vorhandensein solcher Domains nachzuweisen. Genau das ist nun einem deutsch-schweizerischen Forscherteam um den Bonner Professor Manfred Fiebig gelungen, das seine Erkenntnisse im Wissenschaftsmagazin Nature beschreibt.

Manfred Fiebig mit seinen Mitarbeitern im Helmholtz-Institut für Strahlen- und Kernphysik in Bonn (Foto: Frank Luerweg, Uni Bonn)

Die Wissenschaftler haben sich dazu das Material Lithiumkobaltphosphat ausgesucht, dem schon länger ferrotoroide Eigenschaften nachgesagt werden. Ihr besonderes Verdienst besteht darin, ein Nachweisverfahren entwickelt zu haben. Der Trick: Die Wissenschaftler versuchen gar nicht erst, den absoluten Betrag der ferrotoroiden Momente zu messen. Sie haben es stattdessen auf die Unterschiede zwischen einzelnen Domains abgesehen.

Dabei machen sie sich zunutze, dass Gebiete mit unterschiedlich ausgerichteten Magnetwirbeln Licht auf verschiedene, charakteristische Weise streuen. So konnten die Wissenschaftler zeigen, dass ferrotoroidale Domains tatsächlich existieren - und zwar unabhängig von ebenfalls in LiCoPO4 zu findenden antiferromagnetischen Gebieten. Es handelt sich dabei heute noch um reine Grundlagenforschung - aber das war beim Riesenmagnetwiderstand zunächst auch nicht anders.

Hoffnung schöpfen Fiebig und Kollegen vor allem daraus, dass man ferrotoroide Domains mit elektrischen Feldern beeinflussen kann, die sich schneller (weil ohne Stromfluss) aufbauen als die in Festplatten verwendeten Magnetfeldern. Womöglich ließe sich der Effekt ja auch als zusätzlicher Freiheitsgrad eines Magnetspeichers nutzen - die ferroischen Effekte treten insgesamt gern auch gemeinsam auf. Die Forscher wollen im nächsten Schritt versuchen, ein Schreibverfahren zu entwickeln. Außerdem sind sie auf der Suche nach weiteren geeigneten Materialien.