Datenschutz = Täterschutz?

Seite 2: Verankerung der Aussage in Emotionen

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Die Datenschutz-Täterschutz-Phrase gewinnt an Durchschlagskraft, indem sie ihre Moral emotional auflädt. Das Verbindungsstück zwischen Moral und Emotion ist das Wort "Täterschutz". Dieses Wort beinhaltet einerseits klare moralische Verurteilungen, weckt andererseits auch Gefühle. Die Rede von "Tätern" legt nahe, dass die Überwachung auf Personen abzielt, die eine solche auch "verdient" haben. Als "Täter" sind sie schuldig. Sie haben Straftaten begangen. In den Augen der Mehrheit dürfte es daher als richtig gelten, diese Personen durch Polizei und Justiz zur Verantwortung zu ziehen. Diese Leute zu schützen erscheint dagegen als moralisch verwerflich.

Gleichzeitig hat das Wort "Täter" auch emotionale Seiten. Es weckt Assoziationen, lässt Vorstellungen krimineller Taten entstehen. Diese Vorstellungen kennt man entweder aus eigenen unangenehmen Erfahrungen oder aber aus dem reichhaltigen Krimi-Angebot der Medien. Daher kann der Begriff sowohl Abscheu als auch Angst hervorrufen. Wo diese Gefühle aufkommen, verstärken sie die moralische Verurteilung der "Täter". Es erscheint nicht nur sachlich, sondern auch "gefühlt" korrekt, Täter zu belangen. Natürlich ist dann auch der "Täterschutz" gefühlt falsch.

Dank dieser Emotionalität fällt erst durch genaueres Hinsehen auf, dass der Begriff "Täter" nicht in diesen Kontext gehört. Die durch die Phrase gerechtfertigten Überwachungsmaßnahmen gehören in den Bereich der polizeilichen Strafverfolgung. Eine Person kann aber erst dann zweifelsfrei als "Täter" bezeichnet werden, wenn ein Gericht ihn verurteilt hat. Bis dahin gilt jedoch die Unschuldsvermutung. Sie gilt auch dann, wenn die Polizei die Täterschaft einer Person für erwiesen hält. Ein Freispruch bleibt immer denkbar. Der Vorwurf der Täterschaft kann sich als Irrtum herausstellen. Bis zu einem Schuldspruch müsste man deshalb auf den Begriff "Täter" verzichten und von "Verdächtigen" sprechen. Das würde aber Zweifel signalisieren. Es ist nicht mehr so eindeutig, ob die Verdächtigen die Überwachung und die Strafverfolgung wirklich verdient haben. Der Gedanke kommt auf, Überwachung und Polizeizugriff könnte auch die Falschen treffen.

Solche Zweifel will die Datenschutz-Täterschutz-Phrase von vornherein ausschließen. Das tut sie, um die so Angesprochenen möglichst spontan zu überzeugen. Deshalb spricht sie von "Tätern" und erzeugt so die Vorstellung von unbezweifelbarer Schuld. Die Konsequenzen dieser Schuld erscheinen dann auch als zweifellos richtig. Alles wirkt ganz eindeutig. Entsprechend gibt es nichts zu diskutieren.

Der Mangel an begrifflicher Differenzierung zwischen "Täter" und "Verdächtigen" ist kein Irrtum. Nicht wenige überwachungsaffine Innenpolitiker sind Juristen. Sie kennen das Prinzip der Unschuldsvermutung, verwenden die Datenschutz-Täterschutz-Phrase aber trotzdem.

Die Verwendung sachlich falscher Begriffe hat offenbar Methode. Es gibt eine Variante der Datenschutz-Täterschutz-Phrase: "Opferschutz muss vor Datenschutz gehen!". Der Begriff "Opferschutz" ist ähnlich wie der Täterbegriff sachlich falsch, wenn es um Überwachung als Strafverfolgungsinstrumente geht. Aber er bietet einen großen rhetorischen Nutzen, wie ein Beispiel zeigt. Am 24. August 2017 wies der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster die Kritik an dem Gesichtserkennungsversuch auf dem Berliner Bahnhof Südkreuz mit folgender Begründung zurück:

Hier haben wir eine Möglichkeit, mal Opferschutz entsprechend zu gewichten. Wenn ich an die Situation in Berlin mit dem U-Bahn-Treter denke oder dem angezündeten Obdachlosen - beide Fälle konnten wir schnell mit Videotechnik aufklären. Die Abschreckungswirkung ist da und die Aufklärungsunterstützung ist auch da. Das ist das, was die Sicherheit der Bürger wirklich handfest greifbar verbessert. Deswegen geht es mir darum, potentielle Opfer zu schützen, ohne den Datenschutz zu vernachlässigen. Aber ich will ihn nicht überhöhen.

Martin Schuster

Schuster richtet zunächst die Aufmerksamkeit auf diejenigen, die unter den Straftaten leiden. Zur Variante der Datenschutz-Täterschutz-Phrase wird dieser Gegensatz, weil Schuster die Videoüberwachung letztlich dennoch als Mittel einer besseren Strafverfolgung von Kriminellen beschreibt. Auch in seinen Augen dürfe der Datenschutz den Zugriff auf die "Täter" nicht erschweren.

Im Kontext der Strafverfolgung durch Videoüberwachung wirkt der Begriff "Opferschutz" widersprüchlich. Ein "Opfer" ist eine Person, die bereits eine Straftat erlitten hat. Dagegen hieße "Schutz", dass man diese Person davor bewahrt, überhaupt erst zum "Opfer" zu werden. Wo dieser Schutz greift, gibt es kein Opfer. Und wo es Opfer gibt, gibt es keinen wirksamen Schutz. Ein "Opferschutz" ist folglich unmöglich. Nur von "potentiellen Opfern" kann hier sinnvoll gesprochen werden. Im Zitat wird das gemacht, aber trotzdem greifen Innenpolitiker gerne auf die Kurzform "Opferschutz" zurück, ungeachtet ihrer Widersinnigkeit. Das gilt etwa für Horst Seehofer:

#Seehofer: Bei Kapitalverbrechen muss gelten: Opferschutz vor Datenschutz!

Aber auch für die Initiatoren eines Volksbegehrens für mehr Videoüberwachung in Berlin:

Wir sehen großes Potential für die Verbrechensaufklärung, den Opferschutz und die Prävention, wenn wir Videoaufklärung jetzt klug ausbauen.

Sicherheit in Berlin

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter ließ wissen:

Mautdaten für Fahndungs- und Ermittlungszwecke nutzen - Opferschutz muss vor Datenschutz gehen und hat mit "Ausspähen" nichts zu tun!

BDK

Nicht zuletzt die Bundeskanzlerin selbst verhedderte sich in den logischen Widerspruch dieses Begriffes:

Und wo immer wir Strafen verschärfen müssen, werden wir das tun, wenn es geboten ist, um den Opfern zu helfen und Opfer vor Straftaten zu schützen. Damit es möglichst gar keine Opfer gibt.

Angela Merkel

Freilich: Der Begriff "Opferschutz" ist auch sachlich falsch. Er stammt eigentlich aus dem Kontext der Strafverfahren und ist ein "Sammelbegriff für gesetzliche Regelungen, um die Position des Verletzten bzw. Zeugen im Strafverfahren durch Zuerkennung eigener Teilhaberrechte und durch vielfältige Schutzrechte und -maßnahmen zu stärken". Ausführlicheres hier.

Nur in diesem Kontext ist "Opferschutz" auch logisch widerspruchsfrei und trägt der zeitlichen Reihenfolge von Tat und Tatfolgen Rechnung. Als Begründung für Strafverfolgungsinstrumente ist er paradox.

Die sachlich falsche Verwendung dieses Begriffes ist kein Zufall. Das oben zitierte Berliner Volksbegehren wurde z.B. vom ehemaligen Berliner Justizsenator Thomas Heilmann mit-initiiert. Als Jurist dürfte er die eigentliche Herkunft des Begriffes kennen. Es ist daher zu vermuten, dass sich das Wort "Opferschutz" vor allem aus rhetorischen Gründen für die Legitimierung von Überwachungsprojekten eignet.

Der Nutzen besteht darin, dass das Wort "Opfer" Assoziationen weckt, die dann Mitgefühl erzeugen. Jemandem ist Gewalt widerfahren, leidet aufgrund der Bösartigkeit eines Kriminellen. Das Opfer ist jemand, mit dem man mitleidet und mit dem man sich solidarisiert. Das Opfer hat einen Schaden erlitten und braucht Hilfe. Das Wort "Opfer" erleichtert es, Partei zu ergreifen.

Unterstützt wird das Parteiergreifen durch den Gegensatz von "Opferschutz" und "Datenschutz". Innenpolitiker Schuster behauptet, das eine bekäme man nur auf Kosten des anderen. Daher müsse man sich letztlich zwischen diesen beiden Optionen entscheiden. Zugleich erscheint die Entscheidung für den Datenschutz als weniger dringlich auf Grund der unterschiedlichen emotionalen Aufladung beider Wörter. Wer Opfer schützt, schützt Menschen. Datenschützer scheinen "bloß" Daten zu schützen. Zahlen, Zeitangaben, Adressen usw. wirken weniger schutzbedürftig, wenn es um Leib und Leben geht. Zwar werden auch durch den Datenschutz Menschen geschützt, aber dieser Zusammenhang ist abstrakt. Er lässt sich nur durch Nachdenken erschließen.

Das Wort "Datenschutz" macht diesen Zusammenhang nicht unmittelbar erfahrbar. Es wirkt bürokratisch nüchtern und weckt wenig Gefühle. So gelingt es den Überwachungsbefürwortern schon sprachlich, die im Zusammenhang mit dem "Opferschutz" geforderten Überwachungsmaßnahmen oder Polizeibefugnisse als zweifellos richtig darzustellen. Jeder, der dennoch auf den Datenschutz besteht, gerät nun in Rechtfertigungszwänge. Die Opferschutz-Datenschutz-Verknüpfung stellt den Datenschützer als jemand dar, der durch sein Beharren auf bürokratische Regelungen in Kauf nimmt, dass Menschen weiter Opfer von Straftaten werden.