Datenschutz = Täterschutz?
Seite 5: Ausblendung des Themas Grundrechte
Manipulativ ist die Rhetorik der Datenschutz-Täterschutz-Phrase auch deshalb, weil das wichtige Thema Freiheitsrechte komplett ausgeblendet wird. Die Phrase nimmt keinerlei Bezug darauf, um der Debatte über die Abwägung von Freiheitsrechten und Sicherheitsinteressen zu entgehen.
Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist die Übersetzung der Phrase in die einzige plausible Problembeschreibung: Datenschutz ist wichtig, aber in bestimmten Fällen sei er "Täterschutz". Diese Differenzierung findet sich in einer Äußerung der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden zum Datenaustausch zwischen Geheimdiensten und Polizei (Mai 2017):
In diesem Zusammenhang müssen insbesondere datenschutzrechtliche Schranken kritisch überprüft werden. Denn: Datenschutz darf kein Täterschutz sein!
Entschließung der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzendenkonferenz zur Inneren Sicherheit
Man möchte den Datenschutz nicht per se beseitigen, sondern nur die Regelungen überprüfen, die sich als Ermittlungshindernisse erweisen könnten. Die Rede von der "kritischen Prüfung" suggeriert einen ergebnisoffenen Prozess: Man wisse erst nach der Prüfung, welche Regelungen im Einzelnen korrigiert werden müssen. Hinter dieser Differenzierung steckt die Behauptung, dass man zwischen richtigem und falsch verstandenem Datenschutz unterscheiden könne. In einer Erklärung der CDU-Innen- und Justizministerinnen und -minister vom 01. September 2017 wird diese Unterscheidung umgedeutet in die Gegenüberstellung von "modern/unmodern":
Wir wollen modernste Technik (z.B. intelligente Videotechnik zur Fahndung mit Gesichtserkennung), zeitgemäße Befugnisse, eine enge Kooperation der Sicherheitsbehörden und nicht zuletzt eine moderne Datenpolitik voranbringen, die Sicherheitsinteressen und Datenschutzbelange in einen angemessenen Ausgleich bringt.
Erklärung der CDU-Innen- und Justizministerinnen und -minister
Wenn man entlang solcher Gegensätze prüfen will, braucht man ein Kriterium, um beurteilen zu können, wann eine Datenschutzvorschrift "modern" oder "unmodern" bzw. "richtig oder falsch verstanden" ist. Die Datenschutz-Täterschutz-Phrase gibt dafür nur ein Kriterium vor: Die Effektivität der Strafverfolgung, angedeutet durch das Wort "Täterschutz".
Doch so isoliert stehend ist dieses Kriterium falsch. Denn die Qualität der Datenschutzvorschriften muss vor allem anhand der ihnen zugrundeliegenden Ziele geprüft werden. Die Vorschriften messen sich daran, ob sie diese Ziele verwirklichen helfen oder nicht. Im Polizei- und Geheimdienstkontext bezieht sich Datenschutz auf die grundlegenden Freiheitsrechte der Bürger im demokratischen Rechtsstaat. Diese Rechte dienen dem Schutz der Bürger vor staatlicher Willkür. Der Staat als Inhaber des Gewaltmonopols hat eine erhebliche Übermacht gegenüber dem Einzelnen. Die Freiheitsrechte ziehen dem Staat Grenzen, um den Missbrauch dieser Übermacht zu verhindern.
Folglich kann die Qualität von Datenschutzvorschriften zunächst nur danach beurteilt werden, ob und in welchem Maße dieser Schutz gelingt. Wer Datenschutz kritisch prüft, muss deshalb in erster Linie Aussagen machen, welches Maß bürgerlicher Freiheiten gegenüber dem Staat insgesamt notwendig ist. Insofern ist die Frage, wie effektiv Strafverfolgung sein kann, für die Datenschutzqualität zunächst eher unerheblich.
Die Sicherheit der Bürger ist natürlich dennoch ein wichtiges Staatsziel. Allerdings kommt es zu einem Zielkonflikt, wenn man behauptet, dass Sicherheit nur durch Einschränkungen der Freiheit zu gewinnen sei. Genau das ist aber die Botschaft der Datenschutz-Täterschutz-Phrase: Man müsse den Datenschutz zugunsten einer effektiveren Strafverfolgung zurückfahren. Dann aber muss die Zielkonkurrenz auch angesprochen und diskutiert werden, denn diese Konkurrenz erzwingt eine Abwägung zwischen beiden Zielen. Abwägung heißt, eine Lösung zu finden, die beiden Zielen weitgehend gerecht werden kann. Das erfordert Differenzierung. Auf beiden Seiten der Konkurrenz müssen dazu in kleinen Schritten Abstriche gemacht werden von der Maximalforderung der Ziele. Jede konkrete Abwägung muss begründet werden. Man muss zeigen, dass der Kompromiss in Hinsicht auf Sicherheit und Freiheit vertretbar ist.
Entsprechend können Sicherheitsmaßnahmen, die den Datenschutz berühren, nie ohne den Bezug auf die Freiheitsrechte diskutiert werden. Dieser Bezug ist auch nur dann überzeugend, wenn man einen ausgearbeiteten Begriff vorstellt, was Freiheit in einem demokratischen Rechtsstaat bedeutet. Freiheit darf nicht nur leere Worthülse ohne weitere Bestimmung sein. Genauso wenig überzeugt die oben zitierte Rede von einem "Ausgleich", wenn man nicht weiter erklärt, wie er konkret aussehen solle.
Die Datenschutz-Täterschutz-Phrase bietet all das erkennbar nicht. Der Zielkonflikt wird gar nicht erst erwähnt. Die Phrase gibt allein der Perspektive der Strafverfolger Raum, während die Perspektive der Bürgerrechte verschwiegen wird. So erzeugt die Phrase den Eindruck, dass es gar keinen Zielkonflikt gebe. Damit wird zugleich jegliche Debatte vermieden. Die Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit käme nicht ohne eine intensive Prüfung von Pro und Kontra aus. Abwägungen sind jenseits der höchstrichterlichen Rechtssprechung immer vorläufige Lösungen und deshalb auch stets kritisierbar. Insofern führen Abwägungen notwendig in intensive Debatten. Die vielfältigen Detailaussagen und Argumente bieten ebenso viele Möglichkeiten für Gegenargumente. Derartige Debatten unterlaufen jedoch das Ziel der Überwachungsbefürworter, die Öffentlichkeit schnell und unkompliziert von der vorgeblichen Notwendigkeit der neuen Instrumente zu überzeugen. Also schweigt man zum Thema Freiheitsrechte.
Allerdings klingen dann alle Beteuerungen der Sicherheitspolitiker, die Freiheiten trotz der Überwachungspläne bewahren zu wollen, hohl. Denn wer das Thema Freiheitsrechte in der Sicherheitsdebatte schlicht unterschlägt, dem kann man nicht wirklich glauben, das ihm an der Freiheit viel gelegen ist.