"Dazu braucht es einen Volksentscheid"
Ein Interview mit der ehemaligen Justizministerin Herta Däubler-Gmelin, die jetzt beim Bundesverfassungsgericht gegen den ESM und den Fiskalpakt klagt
Am 29. Juni haben Bundestag und Bundesrat mit dem ESM und dem Fiskalpakt einem Vertragswerk zugestimmt, das wegen der kurz zuvor von Italien und Spanien durchgesetzten Änderungen bei der Bankenhilfe am Tag der Abstimmung bereits überholt war. Nichtsdestotrotz befürchten Kritiker wegen der darin festgeschriebenen Abgabe der Budgethoheit der nationalen Parlamente, der automatischen finanziellen Sanktionierung und vorgeschriebenen Einsetzung eines "Expertendirektoriums" bei Überschreitung der Staatsverschuldung eine dramatische Verschiebung der Gestaltungshoheit von der demokratisch legitimierten Legislative hin zu einem Superexekutivorgan, welches Politik als "Sachzwang" durchsetzt und gegen dessen Entscheidungen sich die Bevölkerung sich weder politisch noch juristisch wehren kann.
Deshalb haben die Fraktion der LINKEN, der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler, der Leipziger Staatsrechtler Christoph Degenhardt und die ehemalige SPD-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin beim Bundesverfassungsgericht Klage dagegen eingereicht. Ein Gespräch mit der SPD-Politikerin, deren Genossen im Bundestag und im Bundesrat dem Fiskalpakt mehrheitlich zugestimmt haben.
Frau Däubler-Gmelin, den besonders schwerwiegenden politischen Beschluss für den ESM und Fiskalpakt hat man während der Fußball-EM ohne größere Diskussion in der Öffentlichkeit noch schnell kurz vor der Sommerpause im Parlament durchgepeitscht. Ist das Wahnsinn oder hat dies Methode?
Herta Däubler-Gmelin: Was auch immer, es geht einfach nicht. Schon das Verfahren ist untragbar, das sieht man ja auch an den Reaktionen der Abgeordneten - sogar derer, die dann doch zugestimmt haben. Der Inhalt der Verträge ist noch problematischer.
Was unterscheidet den ESM und Fiskalpakt von anderen EU-Verträgen und warum ist er Ihrer Meinung nach grundgesetzwidrig?
Herta Däubler-Gmelin: Beide Verträge nehmen dem Bundestag einen wichtigen Teil seines Rechts zur Gestaltung des Haushalts, also der Bestimmung darüber, was wann wo und wie mit den Steuergeldern der Bürgerinnen und Bürger gemacht oder nicht gemacht werden soll. Das wird jetzt nach Europa transferiert - aber leider nicht zu dem wenigstens gewählten Europaparlament, sondern zu Banken, der Europäischen Kommission und zu den Euro-Regierungen.
Laut ESM und Fiskalpakt soll ein sogenanntes Direktorium errichtet werden. Wie setzt sich dieses zusammen und mit welchen Befugnissen soll es ausgestattet werden? Wie transparent wird es in ihrer Entscheidungsfindung und in ihrem Handeln sein und wer soll es kontrollieren?
Herta Däubler-Gmelin: Die Zusammensetzung steht genau im Vertrag. Leider sind nur Regierungsvertreter drin, nicht etwa Parlamentarier. Alle, die beim ESM tätig sind, haben keinerlei Untersuchungen oder Kontrolle zu befürchten, alle Akten und Handlungen sind vertraulich und alle Handelnden sind grundsätzlich auch der Justiz entzogen.
Wie ist dieses Direktorium demokratisch legitimiert?
Herta Däubler-Gmelin: Nur durch den "Rat der Gouverneure", der mit Regierungsvertretern besetzt ist. Das reicht nicht.
Wie ist es denn Ihrer Meinung nach überhaupt um die Transparenz, Kontrolle und demokratischen Legitimation der EU-Gremien bestellt?
Herta Däubler-Gmelin: Da muss noch vieles nachgearbeitet werden. Nächstes Jahr sollen wir alle ein Europäisches Parlament wählen - das muss einfach mehr Befugnisse erhalten. Nur so kann ein demokratisches, ein soziales, ein rechtsstaatliches, kurz, ein besseres Europa entstehen.
Welche Folgen würde der Fiskalpakt für die Bevölkerung mit sich bringen?
Herta Däubler-Gmelin: Der bedeutet zum Beispiel, dass die Schuldenbremse, die ja in unserer Verfassung steht, nur noch so gilt, wie Europa sie vorschreibt. Hier haben dann nicht einmal mehr Bundestag und Bundesrat eine eigene Entscheidungsmöglichkeit.
Haben Sie eine Ahnung, warum Parlamentarier für ihre eigene Entmachtung stimmen?
Herta Däubler-Gmelin: Da geht es um komplexe Motive: Machterhalt, der Druck der Regierung und der Fraktionsführungen, aber wohl auch die, wie ich finde, vergebliche, Hoffnung, im Hauruckverfahren ein Problem zu lösen, das sich freilich so nicht bewältigen lässt.
Wie sehen Sie die Chancen, dass das Verfassungsgericht Ihrer Beschwerde entspricht?
Herta Däubler-Gmelin: Die Verfassungsbeschwerde ist sehr gut begründet. Karlsruhe hat in den letzten Entscheidungen klare Linien gezogen, die jetzt überschritten sind. Wenn Karlsruhe bei seiner Entscheidung bleibt, dann sieht es für uns gut aus.
Grundgesetzänderung oder neue Verfassung?
Ist es bei der ESM-Adaption mit einer einfachen Grundgesetzänderung getan oder muss eine ganz neue Verfassung verabschiedet werden?.
Herta Däubler-Gmelin: Mit der Annahme beider Verträge würden wichtigste Teile der Bundestagsrechte nach Europa gehen. Das geht nur, so sagt es das Bundesverfassungsgerichts, wenn dazu auch die Bevölkerung ja sagt. Dazu braucht man keine völlig neue Verfassung, wohl aber einen Volksentscheid. Der ist wichtig.
Sie stehen also einer Volksabstimmung über den Fiskalpakt positiv gegenüber?
Herta Däubler-Gmelin: Wer Europa will - und möglicherweise ist das nötig -, der muss Demokratie wollen. Das geht nicht ohne mehr Rechte für das Europäische Parlament und nicht ohne die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger auch bei uns.
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