"Dem Wähler wird Sand in die Augen gestreut"

Interview mit Jochen Bäumel über die beabsichtige Änderung der Untergrenze bei der Veröffentlichung von Nebeneinkünften der Bundestagsabgeordneten

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Hin und wieder beschleicht einem der Verdacht, dass es Parlamentsentscheidungen gibt, bei denen es zumindest nicht geschadet haben kann, dass Unternehmen ihren Politikern einen "Nebenverdienst" zukommen lassen konnten. Deswegen wurde 2007 ein Gesetz verabschiedet, welches die Parlamentarier zu einer relativen Offenlegung ihrer Nebenverdienste verpflichtete. Am Donnerstag soll nun der Geschäftsausschuss des Bundestages über eine Neuregelung dieser Veröffentlichungspflicht von "Nebeneinkünften" der Abgeordneten beraten.

Die Nichtregierungsorganisationen Campact, LobbyControl, Transparency International Deutschland und Mehr Demokratie bewerten dies als Schritt in Richtung einer erneuten Verschleierung von Politikegehältern und haben deswegen am Montag gemeinsam die Aktion Wir wollen wissen, wer bezahlt mitsamt eines Online-Portals ins Leben gerufen, auf dem ein Gegen-Appell gezeichnet werden kann. Telepolis sprach darüber mit Jochen Bäumel, einem Vorstandsmitglied von Transparency International.

Herr Bäumel, der Bundestag plant die Untergrenze der Veröffentlichungspflicht der "Nebenverdienste" ihrer Abgeordneten von 1000 auf 10.000 Euro zu erhöhen. Wann soll darüber abgestimmt werden und was dient hierfür als offizielle Begründung?

Jochen Bäumel: Die Rechtsstellungskommission des Ältestenrates, welcher der Vizepräsident des Bundestages, Hermann Otto Solms (FDP) vorsteht, hat am 14.4. einvernehmlich beschlossen, dem Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung eine Empfehlung zu unterbreiten, die dieser dann dem Bundestag als Beschlussempfehlung vorlegen soll. Wann das sein wird, kann ich Ihnen leider nicht beantworten. Im Ausschuss steht dies auf der Tagesordnung für Donnerstag. Es gibt dafür meines Wissens auch keine offizielle Begründung.

Zu vermuten ist, dass die sehr umständliche bisherige Regelung vereinfacht werden soll. Denn es gibt ein Gesetz zu den Verhaltensregeln, dann eine ausführliche Anlage zur Geschäftsordnung und schließlich existieren noch die Ausführungsbestimmungen des Bundestagspräsidenten dazu. Veröffentlicht werden sollen demnach Einnahmen ab 1000 € monatlich und ab 10 000 € jährlich. Veröffentlicht werden die Beträge aber bislang nur in drei Stufen: Erste Stufe 1000 - 3500 €, zweite Stufe 3500 - 7000 € und dritte Stufe über 7000 € je nach dem ob die Beträge monatlich zufließen oder jährlich.

Sie sehen, man erfährt nicht besonders viel darüber. Bei einer Angabe Stufe 3 jährlich können es zum Beispiel 7100 oder auch 500.000 € sein, der Wähler wird darüber nicht informiert. Nebeneinkünfte können jedoch Anlass für Interessenkonflikte sein, die der Wähler wissen sollte. Bei Stufe 3 monatlich erfährt der Wähler lediglich, dass die jährlichen Nebeneinkünfte eines MdB mindestens 84.000€ sein müssen. Allein diese Streuung bei der Veröffentlichung steht dem Gebot der Transparenz entgegen.

Jochen Bäumel. Foto: Transparency International

Ist die Erhöhung der Untergrenze wenigstens mit einer Änderung bei der Obergrenze verbunden, die Positives verspricht?

Jochen Bäumel: Die Rechtsstellungskommission hat vorgeschlagen, sieben Stufen einzuführen mit 10.000 € beginnend bis Stufe 7, Einkünfte über 150.000 €. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, den Transparency International begrüßt, weil es im oberen Segment der Einkünfte mehr Transparenz schafft. Diese Transparenz oben wird aber mit einer Verschleierung im unteren Bereich erkauft.

Es gibt keinen Grund, die 1000 € Grenze durch eine 10.000 € Marke zu ersetzen. Eine ganze Reihe von Angaben, die der Abgeordnete bislang zu veröffentlichen hat, würden aus dem Handbuch und der Internetseite des Bundestags verschwinden, zum Beispiel alle Mandate von Anwälten oder Honorare für Vorträge, die 9999 € betragen, würden künftig nicht mehr angezeigt. Hier wird dem Wähler Sand in die Augen gestreut. Vertrauen stärkt diese vorgeschlagene Maßnahme nicht, sie fördert vielmehr die Verdrossenheit über Politiker.

Wie ist es um die Veröffentlichungspflicht in anderen Ländern in der EU bestellt?

Jochen Bäumel: In den Niederlanden und in Großbritannien werden die genauen Nebeneinkünfte veröffentlicht. Transparency International plädiert dafür, alle Nebeneinkünfte ab 1000 € auf Heller und Pfennig zu veröffentlichen. Das wäre ein klare, für jedermann einsehbare und unkomplizierte Vorschrift und sie würde das Vertrauen in Politik stärken.

Warum ratifiziert Deutschland nicht den UN-Antikorruptionsvertrag?

Jochen Bäumel: Die UN-Konvention gegen Korruption wurde von Deutschland unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. Ausschlaggebend dafür ist der unzureichende § 108 e Strafgesetzbuch (Abgeordnetenbestechung) Dieser Paragraf setzt nur den direkten Stimmenkauf unter Strafe. Nachträgliche Zuwendungen etwa für eine gute Arbeit zählen zum Beispiel nicht dazu. Gesetzesvorschläge der Grünen und der Linken wurden von CDU und FDP abgelehnt.

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