"Demokratie, Herrschaft des Volkes? Nix da, Rübe ab!"

Keine Chance für falsche Königinnen: Mit strenger Kontrolle erhalten Insektengesellschaften ihre Effizienz

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Bienen, Wespen, Ameisen – alle diese Arten gelten als fleißig. Mit rigider Arbeitsteilung und Kooperation erreichen sie einen hohen Grad an Effizienz. Doch in der strengen Ordnung ist nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen. Auch in Insektenpopulationen gibt es Konflikte und die Forschung findet immer mehr Beispiele dafür, dass das so genannte policing (hier übersetzt mit Kontrolle) bei deren Lösung eine zentrale Rolle spielt. In der aktuellen Ausgabe von Science widmen sich die Biologen L. W. Ratnieks und Tom Wenseleers diesem Thema.

Konfliktfall Reproduktion

Konflikte entstehen, wenn Individuen unterschiedliche Interessen verfolgen. Bei Insekten drehen sich diese in der Regel um die Reproduktion. Es gilt das Fortpflanzungsmonopol der Regentin, das von allen Untertanen aufrechterhalten werden muss. Die wissenschaftliche Theorie dazu lautet: Lebewesen sind umso erfolgreicher, je besser es ihnen gelingt, ihre Gene auf Nachkommen zu übertragen.

Bei den staatenbildenden Insekten stammen alle Arbeiterinnen von der Königin ab, sie sind damit Schwestern. Darum geben sie ihre Gene auch weiter, wenn sie ihrer Mutter dabei helfen, weitere Schwestern zu produzieren.

Unkontrollierte Vermehrung schadet

Durch Reproduktion beuten Individuen ihre Umgebung aus. Sie ist kostspielig, weil sie Nahrung kostet. Zudem bringt unkontrollierte Vermehrung die strenge Arbeitsteilung zwischen Königin und Arbeitern durcheinander und mindert die Effizienz der gesamten Insektenkolonie. Solcher Egoismus muss also verhindert werden.

Bereits vor 15 Jahren entdeckten Forscher bei Honigbienen eine Strategie gegen derartig selbstsüchtiges Verhalten, das so genannte worker policing. Es bedeutet, dass Arbeiterinnen die Eier, die andere Arbeiterinnen verbotenerweise gelegt haben, fressen. Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass nicht nur die Honigbienen so vorgehen, allein in diesem Jahr wurden fünf neue Spezies gefunden, insgesamt ist das worker policing derzeit bei 15 Arten von Bienen, Wespen und Ameisen belegt.

Wenig Erfolg für ehrgeizige Arbeiterinnen

Doch es gibt bei Bienenvölkern auch Arbeiterinnen, die versuchen, über ihre Hierarchiestufe hinauszustreben. Das ist möglich, da genetisch gesehen alle weiblichen Larven, das Potenzial besitzen, Königin zu werden. Über die Nahrungszufuhr kann solcher Ehrgeiz jedoch von den fütternden Arbeiterinnen gestoppt werden.

Bei einigen stachellosen Bienenarten wird so ein Verstoß äußerst grausam geahndet: Sobald die betrügerischen Königinnen schlüpfen, werden sie geköpft oder zerfetzt. Bei der Kap-Honigbiene hingegen können ehrgeizige Arbeiterinnen mit mehr Erfolg rechnen. Dort wird die Kontrolle schwächer betrieben, was wahrscheinlich daran liegt, dass es den betreffenden Arbeiterinnen gelingt, ihre Eier mit dem Geruch der königlichen Eier zu versehen.

Modellsystem für Konfliktlösung

Wie die Biologen Francis L. W. Ratnieks und Tom Wenseleers von der Universität Sheffield schreiben, die derzeit am Wissenschaftskolleg zu Berlin forschen, hat das kontrollierende "policing zwei Zielrichtungen: Es entlarvt egoistisches Verhalten und es beugt ihm vor. Je erfolgreicher es eingesetzt wird, umso weniger Egoismus gibt es. Policing sorgt dafür, dass das Handeln der Individuen dem Gemeinwohl untergeordnet bleibt.

Soziale Insekten wie Ameisen, Wespen und Bienen stellen für Biologen gute Modellsysteme dar, um die Evolution von Kooperation und von Konfliktlösung zu untersuchen. Ratnieks und Wenseleers beschäftigen sich in Berlin im Rahmen der Schwerpunktgruppe "Konfliktlösung in biologischen Systemen“ mit diesen Themen.

Lässt sich aus dieser Forschung auch etwas für menschliche Gesellschaften ziehen? Und was könnte das sein? "Die wichtigste Lektion scheint zu sein, dass policing eine grundlegendes Charakteristikum von sozialem Leben ist“, schreiben die beiden Biologen. "Policing hilft, Konflikte zu lösen, die beim Übergang von Individuen zu Gesellschaften entstehen.“ Bei Insektenvölkern bedeutet dies aber immer auch, dass die grundlegende Ungleichheit zwischen Königinnen und Arbeitern gefestigt wird.

Bei Insektenvölkern lassen sich selbstsüchtige Individuen mittels Kontrolle auf Linie bringen. Bei menschlichen Gesellschaften ist alles um einiges komplizierter und angesichts dessen, was technisch an Überwachung schon möglich ist und über was in Zeiten der Terrorbekämpfung nachgedacht wird, kann man sich ein Mehr an Kontrolle nicht wünschen. Trotzdem schließen die Autoren ihren Artikel mit einer Art Utopie: Dem "humanen Polizeistaat“, in dem Kontrolle für Gleichheit und Gerechtigkeit sorgt.