Den Wandel mit aller Entschlossenheit ergreifen

Ein posthumanistisches Plädoyer für die Gentechnologie

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Über eine Bioethik wird in Deutschland noch wenig öffentlich diskutiert. Die neuen Biotechnologien werfen jedoch viele Fragen und Probleme auf, die tief in unser Verständnis von Leben und Person eingreifen werden. Der Bioethiker James Hughes hat ein entschiedenes und provozierendes Plädoyer für die intensive Nutzung der Gentechnologie verfaßt, das wir in Telepolis zur Diskussion stellen wollen.

Weitere Beiträge über die Zukunft des Körpers und ethische Probleme:

Mike Sandbothe über Medienethik; Philip Sampson über den postmodernen Körper(englische Version); Keisuke Oki über das virtuelle Idol(englische Version); Florian Rötzer über die utilitaristische Bioethik Peter Singers und Detlef Linke mit einer Kritik an Singer; Christoph Droesser über das posthumanistischeStreben nach Unsterblichkeit; Florian Rötzer über die Zukunft des Körpersund die Sehnsucht nach Dauer.

Zur Diskussion über Bioethik: EUBIOS Journal of Bioethics

James Hughes ist Assistant Director of Research am MacLean Center for Clinical Medical Ethics der University of Chicago.

Einleitung

Vor neun Jahren überzeugte mich Jeremy Rifkin, daß die Gentechnologie die Zukunft bestimmen werde, während ich mit einem Bus durch die kleinen, verwinkelten, sauberen und schönen Straßen Kyotos fuhr. Ich las gerade Algeny , Rifkins alarmierenden Angriff auf die Heraufkunft des genetischen Zeitalters, und What sort of People Should There Be? von Jonathan Glover, eine zurückhaltende Verteidigung der Gentechnologie. Seitdem habe ich mich von der radikalen Position Rifkins abgewendet, um die reformistische Glovers einzunehmen.

Rifkin war einst ein aktives Mitglied des SDS und Gründungsmitglied der sozialistischen New American Movement gewesen. Irgendwann zu Beginn der 80er Jahre bemerkte Rifkin das ferne Aufleuchten der Gentechnologie und begann, Alarm auszulösen. Seitdem haben Rifkin und seine Foundation on Economic Trends gegen die Freisetzung genetisch manipulierter Organismen und die Subventionierung der Gentechnologie ebenso gekämpft wie gegen andere "Trends", über die er sich Sorgen macht, beispielsweise die Fleischindustrie, die Legalisierung der Leihmutterschaft und die Beschleunigung der gelebten Zeit im Computerzeitalter.

Weil er einen radikalen Standpunkt einnimmt, ist Rifkin eine Leitfigur für die Tendenzen des Luddismus in der Bioethik und der politischen Linken. Das sind zwei Bewegungen, in deren Kontext ich mein Weltbild formte. Unter Bioethikern hat sich die antitechnologische Ausrichtung auf die Mißbräuche und sozialen Gefahren der medizinischen Forschung und Praxis sowie auf die vermeintliche Notwendigkeit konzentriert, den Tod und technische Grenzen zu akzeptieren. Die postsechziger, auf den Umweltschutz ausgerichtete Linke thematisiert vor allem die Weise, wie Technologie den Patriachalismus, den Rassismus, den Imperialismus, die privatwirtschaftlich erzielten Profite, strukturelle Arbeitslosigkeit, den autoritären Staat und die Herrschaft durch den wissenschaftlichen Diskurs fördert. Die Reaktion der Bioethiker und der Linken auf die Gentechnologie war besonders heftig und ihre Kritik basierte auf dem Vorwurf der Eugenik und der Überschreitung heiliger Grenzen.

Seit der Busfahrt in Kyoto ging meine zunächst von Schrecken bestimmte Übereinstimmung mit Rifkin auf einen entschlossenen Konsens mit der Position Glovers über, die davon ausgeht, daß wir die Gentechnologie kontrollieren und sie zu einem Segen machen können. Ich glaube, daß die Gentechnologie keine "Schöne, neue Welt" mit sich bringt, sondern eine große, allerdings kaum voraussagbare Zukunft eröffnet. Obgleich viele Bedenken der Ethiker und der Linken angesichts dieser Technologie wohlbegründet sind, glaube ich jetzt, daß es für sie eine Lösung gibt. Und auch wenn ich noch immer die Notwendigkeit einer demokratischen Kontrolle und gesellschaftlicher Grenzsetzungen befürworte, bin ich jetzt davon überzeugt, daß eine Verbannung der Gentechnologie ein schwerer Fehler wäre.

Diejenigen, die sich der Angst vor dem Eingriff in die menschliche Natur entschlagen und die Möglichkeit einer schneller Diversifikation von Lebensformen begrüßen, begründen eine neue Moral und eine neue politische Philosophie für das 21. Jahrhundert, die manche Posthumanismus nennen. Wie philosophischen Systeme schließt der Posthumanismus vorangegangene philosophische und politische Theorien ein, aber rekonstruiert diese um neue Definitionen der Persönlichkeit, der Bürgerschaft und der Grenzen der gesellschaftlichen Solidarität und des menschlichen Wissens. Wie Glover sehen die Posthumanisten den Beginn der Gentechnologie auf dieselbe Weise, wie die meisten Amerikaner jetzt die Organverpflanzungen oder die Chemotherapie beurteilen.

Es gibt viele praktisch zu lösende Fragen, wie die Technologien entwickelt und erprobt werden sollen, wer sie braucht und in welcher Weise wir für sie zahlen müssen, aber man geht davon aus, daß sie verfügbar sein sollte. In diesem Essay werde ich versuchen, eine Vorstellung davon zu entwickeln, wie liberale Demokratien aussehen könnten, wenn wir das posthumanistische Aufblühen der Gentechnologie zulassen.