Den Wandel mit aller Entschlossenheit ergreifen
Seite 3: Die ethischen Grundlagen
Der regelbasierte Utilitarismus
Ganz allgemein gehe ich vom ethischen Standpunkt des regelbasierten Utilitarismus im Sinne von John S.Mill aus: Handlungen sind ethisch gerechtfertigt, wenn sie zum größten Wohl oder Glück der meisten führen. Regelbasierter Utilitarismus bedeutet, daß ich dann, wenn ich mit einem abscheulichen Fall, beispielsweise wenn man einen Christen einem Löwen zur Unterhaltung Tausender von Römern vorwirft, konfrontiert bin, ich mich auf allgemeine Regeln berufe: "Normalerweise werden Gesellschaften, die Menschenrechte und individuelle Freiheiten achten, zu einem größeren Glück für alle führen."
Im Fall der Gentechnologie nehme ich ganz allgemein an, daß sie den Menschen ein längeres und gesünderes Leben mit mehr Entscheidungsmöglichkeiten und größeren Glück geben kann. Diese Techniken eröffnen die Möglichkeit, daß wir Chancen besser und intensiver als mit unserer gegenwärtigen geistigen Verfassung wahrnehmen können Gentechnologie wird zu Fortschritten in der pharmazeutischen und therapeutischen Behandlung von Krankheiten führen, viele Erkrankungen und Leiden lindern. In der Zukunft können unsere Sinnesorgane vielleicht selbst durch Gentechnologie verändert werden, um uns die Wahrnehmung eines breiteren Spektrums von Licht und Ton zu gewähren, während wir unsere Körper so gestalten, daß sie anstrengendere Tätigkeiten ausführen können, und unseren Geist, daß wir tiefer und intensiver denken können. Wenn Nützlichkeit ein ethisches Ziel ist, dann legt eine direkte Kontrolle unseres Körpers und Geistes die Möglichkeit unbegrenzter Nützlichkeit und so ein unermeßliches Gut nahe.
Persönlichkeitsrecht, Selbstbestimmung und körperliche Autonomie
Doch man muß noch andere Regeln beachten, die anderen ethischen Systemen zugrundeliegen. Die meisten Utilitaristen und viele andere akzeptieren die Regel, daß liberale Gesellschaften, die eine größtmögliche Selbstbestimmung einräumen, den gesellschaftlichen Nutzen maximieren. Die Regel der Selbstbestimmung oder das Recht auf diese schließt auch ein, daß eine Gesellschaft sehr gute Gründe haben muß, bevor sie entscheidungsfähige Erwachsene beeinträchtigt, Gentechnologie auf sich selbst und auf ihr Eigentum anzuwenden. Selbstbestimmten Menschen sollte das Persönlichkeitsrecht gewährt sein, mit ihren Körpern zu tun, was sie wollen, außer sie sind nicht entscheidungsfähig oder ihre Handlungen fügen anderen großes Leid zu.
Wenn man Selbstbestimmung als ethische Grundlage anerkennt, dann kann man daraus schon fast die Ablehnung der Gentechnologie, die Furcht ableiten, daß Menschen gezwungen werden, sich einer eugenischen Politik zu fügen. Auf diese Angst vor faschistischen und autoritären Regimen werde ich später ausführlicher eingehen. An dieser Stelle möchte ich nur sagen, daß Individuen nicht gezwungen werden sollten, Kinder zu haben oder abzutreiben und ihren eigenen genetischen Code oder den ihrer Kinder zu verändern. Ich orientiere mich an einer wünschbaren Genpolitik liberaler Gesellschaften, nicht an einer von autoritären Regimen.
In liberalen Gesellschaften sollte den entscheidungsfähigen Erwachsenen ganz allgemein erlaubt sein, mit ihrem Körper zu machen, was sie wollen, was deren genetische Veränderung einschließt. Die möglichen Risiken aus solchen Veränderungen für andere werde ich später diskutieren. Sie lassen sich verhindern und geben keinen Grund, das Recht auf körperliche Autonomie zu beschränken.
Auch der Embryo und der Fötus sind aus meiner Sicht biologisches Eigentum der Eltern, und ein exklusives Eigentum der Mutter, wenn sie sich im Uterus befinden. Wiederum können die Rechte des künftigen Kindes und der künftige Gesellschaft die Möglichkeiten beschränken, die wir Eltern gegenüber ihren pränatalen Eigentum einräumen wollen. Aber ich würde wiederum behaupten, daß die Risiken einer pränatalen genetischen Manipulation für die Gesellschaft und für die Kinder selbst in nächster Zukunft vernachlässigbar sind und daß sie dann steuerbar sind, wenn sie auftreten.
Befreiung von biologischem Zwang
Gentechnologie verspricht Freiheit und Selbstbestimmung auf einer noch fundamentaleren Ebene: die Befreiung von biologischem Zwang. Gesellschaftliche Herrschaft verblaßt vor der Macht der Unvermeidlichkeit von Geburt, Krankheit, Alter und Tod. Das sind Bürden, die von der Gentechnologie erleichtert werden können. Das Ziel dieser Revolution ist dasselbe wie bei Marx, nämlich aus dem Reich der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit zu gelangen.
Gesellschaftliche Herrschaft beruht auch auf einem biologischen Fundament. Das Patriarchat ist teilweise auf der körperlichen Verwundbarkeit der Frauen und ihrer besonderen Rolle in der Reproduktion begründet. Auch wenn Industrialisierung, Empfängnisverhütung und der liberale demokratische Staat den Großteil der patriarchalischen Macht beseitigt haben, so verspricht die Gentechnologie, die noch verbleibende aufzulösen. Obgleich Rassismus, Diskriminierung der alten Menschen oder der Heterosexuellen und ähnliches vielleicht nur einen biologischen Anteil von 10% haben und 90% sich der gesellschaftlichen Konstruktion verdanken, können zumindest die biologischen Faktoren durch Gen- und Biotechnologie frei gewählt werden.
Gerechtigkeit und eine bessere Gesellschaft
Auch wenn die biologischen Faktoren in den meisten Formen der Ungleichheit wahrscheinlich nur geringfügig ins Gewicht fallen, verspricht die Gentechnologie, auf eine sehr grundlegende Weise mehr Gleichheit in der Gesellschaft zu schaffen, indem sie die vererbten Ursachen für Krankheit und Behinderung ausschaltet, die die widerspenstigsten Formen der Ungleichheit darstellen. Wir können Kranken und Behinderten weitgehend eine vollständige gesellschaftliche Akzeptanz verschaffen, aber ihre Behinderungen sind fundamentale Begrenzungen für die Gleichheit ihrer gesellschaftlichen Partizipation und Macht. Unsere Fähigkeit, diese Quellen vererbter Ungleichheit auszugleichen, kann uns sogar dazu verpflichten, zumindest bei jenen, die kognitiv behindert und entscheidungsunfähig sind. Zugegebenermaßen werden wir die meisten Behinderungen durch nicht-genetische Techniken lange überwunden haben, bis wir die durch Gentherapie könnten. Aber das allgemeine Prinzip ist, daß Gentechnologie die Möglichkeit in Aussicht stellt, allen Bürgern die körperlichen und kognitiven Kapazitäten für eine Partizipation auf der Basis der Gleichheit zu geben und vielleicht auch eine allgemeine Verbesserung der Kapazitäten zu leisten, die für eine Stärkung der Bürgerrechte maßgeblich sind.
Eine kritische Verteidigung
Anders als jene Liberalen, die Selbstbestimmung als ein zentrales Prinzip betrachten, nehme ich eher eine sozialdemokratische Position ein und glaube, daß es legitime Grenzen gibt, denen wir diese Technologien unterwerfen können und sollten. Beispielsweise sind manche Merkmale der Gesellschaft wie gesellschaftliche Solidarität und allgemeine Gleichheit, so wichtig, daß zur Förderung dieser Ziele die Regulierung der Gen- und Biotechnologien notwendig sind. Kollektive Interessen hinsichtlich der Gentechnologie sollten auch durch aktive Unterstützung wie Regierungsgelder für Forschung, Entwicklung und Anwendung verfolgt werden.
Ich bin kein Verteidiger des technischen Fortschritts, der diesen nicht hinterfrägt. Manche Technologien können solch schreckliche Folgen mit sich führen, daß keine noch so große Regulierung und gesellschaftliche Kontrolle das von ihnen ausgehende Risiko rechtfertigen kann. Wenn ich überzeugt wäre, daß Gentechnologie ähnlich der Nuklearwaffen keine vorteilhaften Qualitäten, sondern nur große Risiken besäße, dann würde ich ein vollständiges Verbot befürworten.
Aber die möglichen Wohltaten der Gentechnologie übersteigen bei weitem ihre möglichen Risiken. Ich vertrete also, kurz gesagt, die Position einer kritischen Unterstützung, die den verdächtigen Optimismus der meisten Amerikaner gegenüber der Gentechnologie reflektiert.