Der Adler hat abgehoben

Bundeskanzler Schröder hat ein lustloses 10-Punkte-Programm ohne Visionen vorgestellt, das alle Deutschen zu Internetnutzern machen soll

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Heute hat also hat er programmgemäß zur Eröffnung des D21-Kongresses auf der Expo in Hannover begonnen, abzuheben und zu surfen, der deutsche Adler, der Sympathie vermitteln soll, um schnellstens alle Zauderer ans oder ins Internet zu bringen. Die Initiative D21 ist ein "Bündnis für Tempo von Deutschland.de" und gegen das Tempolimit, so Erwin Staudt, Vorsitzender der Initiative D21 und Vorsitzender der Geschäftsführung von IBM, was sie auch ansonsten mit der, allerdings dummerweise von der Opposition besetzten Erlösungsideologie der Geschwindigkeitsfreiheit auf den Straßen im Hinblick auf Inhaltslosigkeit und Kurzsichtigkeit gemein hat. Das "Internet für alle" hat Bundeskanzler gestern gefordert, ein Programm mit 10 Punkten vorgestellt und ansonsten vorsorglich vom Bundespresseamt, um das ja auch alles gut zu verkaufen, eine "Markenklammer" schaffen lassen (Eine Werbekampagne für die Informationsgesellschaft).

Kongressbericht: Fit für das 21. Jahrhundert

"Surfin' WorldWideWeb: der Adler unterwegs", sagt die Bundesregierung und fügt hinzu: "Haftung: Das Abspielen der Animation erfolgt auf eigene Gefahr des Nutzers. Das Presse- und Informationsamt haftet nicht für direkte oder indirekte Schäden an Hard- oder Software des Nutzers (einschließlich daraus resultierenden wirtschaftlichen Verlusten), die mit dem Abspielen der Animation in Verbindung stehen oder in Verbindung gebracht werden.

Erst kürzlich wurde eine im Auftrag der D21 ausgeführte Studie deutlich. Wegen des "Wildwuchses" von Initiativen fehle bisher eine Anlaufstelle für "Internet-Interessierte". Selbst für die Erreichung der schwammigen Ziele im Aktionsprogramm der Bundesregierung Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts ( Weder kalt noch heiß) sei kurzfristig eine intensivere und besser koordinierte Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Stellen, Unternehmen und Non-Profit-Organisationen erforderlich (Das E-Desaster droht). Die D21 hat allerdings manche der selbstgesteckten Ziele nicht eingeholt - und sie hat, obgleich sie so beschleunigt ist, zu spät gemerkt, dass die Domain mit ihrem Namen schon reserviert ist, weswegen nun eine etwas umständliche URL herhalten muss.

Die rhetorische Floskel, die digitale Kluft überwinden zu wollen, gehört mittlerweile zum guten Ton, den sich auch Schröder angeeignet hat. Allen, "die dies wollen", soll der Zugang zum Internet offen stehen, verspricht der Kanzler. Das sei ein Gebot "gesellschaftlicher Gerechtigkeit und ökonomischer Vernunft". Hier hat man in der Tat einiges vor, was sicherlich der Internetnutzung nicht schaden wird, beispielsweise die Beendigung der unseligen Diskussion über die Besteuerung der privaten Nutzung des betrieblichen Internetzugangs.

Nur gelegentlich aber wird man genauer, etwa hier: "Die Kapazitäten in der IT-Ausbildung werden bis 2003 auf 60.000 Plätze ausgeweitet, die Zahl der Informatikstudienplätze schnellstmöglich verdoppelt." Aber auch wenn alle Schulen oder Bibliotheken einen Internetzugang haben werden, das Sponsoring von Computerausstattung in Bildungseinrichtungen gefördert, der auch zur Arbeit genutzte PC mit Internetzugang Zuhause von der Steuer abgeschrieben oder Arbeitslose einen "Internetführerschein" haben werden, dann fehlen da meist noch die genaueren Angaben - beispielsweise auf wie viele Schüler ein Internetzugang kommt, vor allem aber ist damit keineswegs gesagt, dass es alleine schon deswegen, weil mehr Menschen Zugang zum Internet haben, keine Spaltung in Gewinner und Verlierer der Informationsgesellschaft geben sollte. Wenn heute zur Ausbildung auch noch irgendeine irgendwie und gleichfalls dringende zu qualifizierende Computer- oder Internetkompetenz gehören soll, so spielen doch für den gesellschaftlichen "Erfolg" noch viele andere Dinge herein als lediglich die Kompetenz und die Möglichkeit, im Internet herumsurfen zu können.

Natürlich sollen die Behörden bei der Vernetzung eine Vorreiterrolle spielen. Ob es da reicht zu versprechen, dass bis zum Jahr 2005 "alle internetfähigen Dienstleistungen der Bundesverwaltung online" bereit gestellt sein sollen? Wie auch immer, dringend geboten wäre dies schon, aber gleichzeitig muss man diese Dinge, die zweifellos den Bürgern Vorteile bringen würden, auch nicht nur in eine rosa Licht tauchen, denn ganz sicher gibt es erhebliche Einsparpotenziale bei Personal, Baukosten, Gebäudeerhaltungskosten etc., wenn die Verwaltung weitgehend online geht und gleichzeitig der überwiegende Teil der Bevölkerung dies auch nutzen könnte. Und dass die finanzielle und personelle Entlastung, wie Schröder suggeriert, dann auch heißt, der Staat würde sich "desto effizienter ... um die wirklich beratungsbedürftigen Anliegen der Bürger auch persönlich kümmern", dürfen wir wahrscheinlich in die Kategorie der Märchen einstufen. Der nächste Aufruf zum Sparen kommt bestimmt. Und warum diese Entwicklung dann auch mehr oder weniger automatisch "vom 'bevormundenden' zum 'aktivierenden' Staat" gehen soll, bleibt das Geheimnis des Bundeskanzlers.

Bundeskanzler Schröder, Foto: Gerald Jörns

Vertrauen braucht es, wenn der elektronische Handel boomen soll. Neben der Herstellung von Sicherheit nennt Schröder hier immerhin bei den rechtlichen Rahmenbedingungen auch den grenzüberscheitenden Verbraucherschutz. Und zum Schluss macht Schröder noch deutlich, dass man auch die Vorschriften zum Schutz geistigen Eigentums "modernisieren" werde. Die Rede ist dabei allerdings nur vom wirksamen Schutz des geistigen Eigentums, da das Internet nicht alleine von der Technik, sondern auch von den "kreativen Menschen" geschaffen werde. Die sollen "angemessen" vergütet werden. Schön und ganz wichtig wäre einmal gewesen, wenn der Bundeskanzler an dieser Stelle auch von den Grenzen des Urheberrechts gesprochen oder zumindest klar gestellt hätte, ob die Vergütung durch Abgaben auf Geräte erzielt werden soll oder ob zusätzlich die Rechteinhaber noch, wie in der anstehenden europäischen Gesetzgebung vorgesehen, beliebige technische Sicherungen einbauen können, deren Umgehung prinzipiell unter Strafe gestellt wird.

Und wenn Schröder betont, dass die Bundesregierung fest entschlossen sei, "mit allen rechtlichen Mitteln gegen die Verfasser rassistischer, jugend­gefährdender und sonstiger krimineller Inhalte im Internet vorzugehen", und dabei die Wirtschaft aufruft das, "was an Filtern und Domain-Umleitungen technisch möglich ist", auch einzusetzen - er spricht von "Betreibern" -, dann hätte da auch ein klärendes Wort gut getan. Dass gesetzlich Verbotenes vom Netz genommen werden muss, ist eine Sache, eine andere aber wäre, wenn Provider aus Angst vor möglichen Konsequenzen oder auch aus anderen Gründen voreilig einfach Inhalte für ihre Kunden sperren könnten. Zum Aufbruch in die Informationsgesellschaft gehört auch ein klein wenig die Akzeptanz, dass die Chancen nicht ganz ohne Risiken ergriffen werden können.

Der Adler hat nun abgehoben. Zwar surft er nicht im Internet, sondern nur auf einem Surfbrett, aber aufpassen muss er schon, dass er sich nicht letztlich in einen Pleitegeier verwandelt. Damit etwas ansteckend und attraktiv werden könnte, gehört wahrscheinlich nicht nur die beim "Internet für alle" stets drohende Geste dazu, dass man dies halt machen muss, um nicht unterzugehen oder zurückzufallen, sondern auch eine Vision für die Gesellschaft und den Einzelnen, warum wir uns in die Informationsgesellschaft aufmachen sollen - und das auch noch möglichst schnell. Wegen Wohlstands- und Standortbewahrung oder Arbeitsplatzsicherung wird man zwar zwangsweise mitziehen und das Unvermeidliche akzeptieren, aber wohl kaum auf dem "Siegertreppchen" beim "Wettbewerb um Zukunftsmärkte und Arbeitsplätze" zu stehen kommen.

So aber, wie die Bundesregierung es macht, bleibt das Programm der Aufrüstung im Wettkampf um einen der vorderen Plätze, der nach innen aber unglaubwürdig befriedet wird, als werde es hier keine Verlierer und Gewinner geben, seltsam leer. Und wenn dann mal alle Schulen, Bibliotheken und Behörden am Netz sind, alle brav den elektronischen Handel nutzen und das geistige Eigentum angemessen geschützt ist, wie soll es dann sein? "Das Internet gehört zur Allgemeinbildung", sagt Schröder. Das ist ein wenig so, als würde er sagen: "Das Buch gehört zur Allgemeinbildung." Der Vergleich mit dem Lesen - und vor allem dem selber Schreiben als Fertigkeiten läge da schon näher. Das aber lernt man nicht, um bei der Analogie zu bleiben, wenn man Bücher in die Schule legt und alle Kinder dürfen sie mal durchblättern - natürlich nur, wenn sie die Urheberrechte beachten und alle Inhalte unter Kontrolle bleiben.