Der Ätna als Zeitbombe
Seit 10 Jahren bündelt der Vulkan seine Kräfte. War das Vorjahresereignis das Vorspiel für den großen Ausbruch?
Vulkane sind Urgewalten: Der lebende Berg, der den Menschen das Feuer bringt und die unbändige Kraft ahnen lässt in der Tiefe unseres Planeten. Der Name verrät es. Vulcano, eine der Äolischen Inseln, war für die Römer die Heimstatt von Vulcanus, dem Gott des Feuers und der Waffenschmiede. Seitdem haben die Vulkane der Welt nichts an ihrer Faszination verloren. Auch nichts an ihrer Unberechenbarkeit und Gefährlichkeit. Kein leichter Stand für Vulkanologen. Sie sollen rechtzeitig warnen und voraussehen, in welche Richtung der Berg sein Feuer und seine Asche speien und seine heißen Ströme leiten wird. Domenico Patane und Kollegen vom Instituto Nazionale die Geofisica e Vulcanologia aus Catania und Rom geben in Science eine Erklärung für das Unausweichliche an ihrem Vulkan, dem Ätna auf Sizilien.
"Unsere geophysikalischen Daten sprechen für eine mächtige Ansammlung von Magma, die wie in einem Fass brodelt und nur darauf wartet, wieder auszubrechen."
Die Erkenntnis ist das Ergebnis intensiver Untersuchungen, die seit 1989 nicht bloß die seismische Aktivität an einem ausgeklügelten Netzwerk von Beobachtungsstationen registriert und die Eruptionen messen. Hinzugekommen sind tomografische Bilder, Steinanalysen und geochemische Untersuchungen. Die Informationen erfassen unterirdische Magmabewegungen und machen ein vulkanisches Kanalsystem offenkundig, das bis in 15 Kilometer Tiefe reicht. Die stärkste Massenbewegung wird in einer ellipsoiden Formation 3-5 km unter dem Berg gefunden, eingebettet in hartem Erdgestein. Die Forscher vermuten, dass die Magma beim nächsten Ausbruch vornehmlich an der westlichen und nordwestlichen Grenze dieses Reservoirs und nahe von zwei ineinander verkeilten Festlandplatten aufsteigen wird. Während des Ausbruchs im Sommer 2001 hat das tiefe Kanalsystem die entstandenen Drucke anfänglich aufgenommen und Erdstöße und Erdbeben erzeugt. Obwohl der Berg stiemte und heftig fauchte, blieben die herausgeschleuderten Massen relativ gering.
Die Besorgnis von Heute erwächst aus dem neu gewonnenen Verständnis der treibenden Kräfte, die, so Domenico Patane "uns keine Ruhe lassen werden." Dass der Stein lebt, sich verformt und im Wechselspiel mit Druck und Schub kalkulierbaren Veränderungen unterliegt, begründet die komplizierten Simulationen der italienischen Wissenschaftler, in denen ihre vielfältigen Beobachtungen eingehen. Aus dieser Sicht, die wie ein Zeitraffer das vergangene Jahrzehnt konzentriert, steigt Magma kontinuierlich aus 6-15 km Tiefe auf und findet seit 1994 ein Reservoir in 3-5 km, das sich zunehmend füllt. Vor zwei Jahren war es dann soweit: Der unvermeidliche Überdruck machte sich für 6 Tage zunächst an der schwächsten Stelle, nämlich im unteren Kanalsystem bemerkbar, und schließlich zerriß die Oberfläche des Reservoirs und machte den Weg frei für die Eruption.
Warum ebbten die seismischen Aktivitäten nach diesem Ereignis nicht ab, ganz im Unterschied zu früheren Ausbrüchen? Die Vulkanologen waren verunsichert und blieben unsicher in ihrer Meinung. Ist es nur der permanente Magmafluss in das zum Teil entleerte Reservoir? Die überall spürbare Unruhe des Bodens ähnelte dem Donnergrollen eines nicht abziehenden Gewitters. Schließlich aus dem Stand das Ereignis im Oktober des Vorjahres: Nach einer Salve von Erdstößen, die nur wenige Stunden anhielten, machte der Ätna mit der feurigen Magma, der die Sonne verdunkelnden Asche und dem Flugverbot für Catania weltweite Schlagzeilen. Hat die Bevölkerung nun wieder Ruhe? "Nein," sagt Domenico Patane, "noch ist reichlich Magma im Fass vorhanden. Außerdem ist der "Deckel" an verschiedenen Stellen zerborsten. Deshalb werden wir mehr Eruptionen sehen als bisher und wahrscheinlich noch mächtigere Ausbrüche. Der Nachschub aus der Tiefe hat seitdem nicht nachgelassen."
Was ist ein mächtiger Ausbruch des Ätna? Vor über 400 Jahren ergossen sich die Lavamassen bis in die Stadt Catania. Die Zeit der längsten Eruptionen wurde zwischen dem November 1950 und dem Dezember des Folgejahres registriert. Zur Plinianischen Tätigkeit des Vulkans mit Aschen- und Bimsteinregen, der die Bewohner von Pompeji durch den Vesuv-Ausbruch vor 2 Jahrtausenden zum Opfer fielen, kam es auf Sizilien bisher noch nicht. Für die Menschen am Fuß des Ätna ist das Leben mit dem Berg dennoch die Entscheidung zwischen der ungewissen Bedrohung und der Fruchtbarkeit des Bodens. "Wir leben seit Generationen hier und werden wie die in Mascali unseren Ort wieder aufbauen," erklärte ein Winzer vor laufenden Kameras des italienischen Fernsehens im vergangenen Herbst, bevor die Lavamassen rechtzeitig am Ortseingang zum Stehen kamen. Mascali war 1928 verschüttet worden.