Der Ball macht die Musik

Die Fußball-Weltmeisterschaft steht vor der Tür, und schon droht uns wieder ein "Offizieller Fifa-Worldcup Song". Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass die zahlreichen offiziellen und inoffiziellen Lieder anlässlich von Welt- und Europameisterschaften oft erfolgreich aber selten originell waren

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Dass Fußball und Musik durchaus zusammenpassen, entdeckten findige Plattenproduzenten bereits in den sechziger Jahren. Damals entstanden so unvergessliche Meisterwerke wie "Gute Freunde kann niemand trennen" von Franz Beckenbauer und "Bin i Radi, bin i König" vom Münchener 1860-Startorhüter Petar Radenkovic. Der ganz große Erfolg scheint dabei jedoch nicht herausgekommen zu sein, und so kamen gesangliche Soloauftritte von Spitzenfußballern erst einmal wieder aus der Mode. Erst später zeigte sich, dass auch ganze Mannschaften - bei Bedarf unterstützt durch bekannte Gesang-Stars - erfolgreiche Platten produzieren können.

Im Vergleich zu Beckenbauer und Radenkovic war Horst Nussbaum sicherlich der etwas weniger talentierte Fußballer. Der 1944 geborene Kicker spielte unter Hennes Weisweiler bei Viktoria Köln und wurde später mit dem PSV Eindhoven niederländischer Vizemeister. Nussbaum war jedoch nebenbei auch ein begabter Entertainer, der seinen Mitspielern im Mannschaftsbus regelmäßig mit Gesang und Gitarren-Rhythmen einheizte.

1966 erzählte Weisweiler seinem Skat-Freund Hans Bertram, der unter anderem Roy Black entdeckt und die Plattenaufnahme von Franz Beckenbauer produziert hatte, von Nussbaum und brachte diesen auf die Idee, dem singenden Fußballer einen Plattenvertrag anzubieten. Nussbaum ließ sich das nicht zweimal sagen, beendete seine Fußballerkarriere und betätigte sich fortan unter dem Künstlernamen Jack White als Schlagersänger. Nach 15 Plattenaufnahmen verlegte sich White auf das Komponieren und Produzieren, wobei er unter anderem Stars wie Tony Marshall, Roberto Blanco und Jürgen Marcus zu Hitehren führte.

Der DFB macht Musik

Die Vergangenheit als Fußball-Profi trug sicherlich dazu bei, dass Jack White 1974 vom DFB damit beauftragt wurde, für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft anlässlich der Weltmeisterschaft im eigenen Land den ersten offiziellen WM-Song zu produzieren. "Fußball ist unser Leben" hieß die Jack-White-Komposition, die die Mannen um Franz Beckenbauer anschließend auf Platte aufnahmen und in die Hitparaden brachten. Zusätzlich wurden neun weitere von White geschriebene Lieder und zwei Instrumental-Titel auf eine LP gepresst, die nur knapp Goldstatus verfehlte.

Da neben der Bundesrepublik auch die DDR für die Fußball-WM 1974 qualifiziert war, kam man zeitgleich auch im Osten Deutschlands auf die Idee, ein offizielles WM-Lied zu veröffentlichen. "Ja, der Fußball ist rund wie die Welt" sang Ost-Schlagersänger Frank Schöbel ohne musikalische Unterstützung der Spieler, die nur auf der Plattenhülle abgebildet waren. Da sich die DDR nach 1974 nie wieder für eine Welt- oder Europameisterschaft qualifizieren konnte, musste man im Arbeiter- und Bauernstaat fortan keine Gedanken mehr über fußballerische Musikaktivitäten machen.

Anders im Westen. Der Erfolg von "Fußball ist unser Leben" führte dazu, dass der DFB von da an für jede Weltmeisterschaft ein eigenes Lied auf den Markt brachte. 1978, als die WM in Argentinien stattfand, entschied man sich dafür, die deutschen Kicker nicht mehr im gesanglichen Alleingang auf die Menschheit loszulassen, sondern stellte der Helmut-Schön-Truppe den Schlagerstar und Liedermacher Udo Jürgens zur Seite. "Buenos días, Argentina" hieß das Ergebnis und wurde bis heute zum größten musikalischen Erfolg einer deutschen Nationalmannschaft. Nicht ganz zu Unrecht, denn die Kooperation zwischen einem Gesangsstar und den deutschen Nationalkickern wirkte damals noch originell und das von Udo Jürgens komponierte Lied glaubhaft.

1982, anlässlich der Weltmeisterschaft in Spanien, versuchte es der DFB gleich mit einer ganzen Langspielplatte, die 24 Lieder enthielt (für jedes Teilnehmerland eines). Als Gesangsprofi unterstützte dieses Mal hauptsächlich Michael Schanze die Nationalmannschaft, bei einigen Titeln wirkte zusätzlich die Schlagersängerin Lena Valaitis mit. Als offizieller WM-Song fungierte das Titelstück der Langspielplatte, "Olé España", zwei weitere Singles wurden ausgekoppelt. Doch trotz aufwendiger Werbe- und PR-Aktivitäten konnte das ambitionierte Projekt den Erfolg von "Buenos días, Argentina" nicht ganz wiederholen.

Spätestens bei der darauf folgenden WM waren erste musikalische Abnutzungserscheinungen nicht mehr zu übersehen. 1986 trällerte Entertainer-Haudegen Peter Alexander "Mexico, mi amor" mit der Nationalmannschaft als Hintergrundchor, wobei weder die Single noch die zugehörige Langspielplatte die Hitparade stürmen konnte. 1990 reaktivierte man zur WM in Italien Udo Jürgens, der mit Belem Thomas und den Nationalkickern "Sempre Roma" anstimmte. Zum Glück überzeugte die deutsche Elf auf dem Platz mehr als im Plattenstudio.

Anfang der Neunziger dämmerte dem DFB, dass mit deutschen Schlagern nicht mehr die großen Umsätze zu machen waren. So gab es zur Weltmeisterschaft 1994 in den USA einen kompletten Richtungswechsel. Mit der amerikanischen Disco-Band Village People, die mit "YMCA" und "In the Navy" Welterfolge gefeiert hatte, verpflichtete der DFB erstmals eine international bekannte Formation als Partner des deutschen Nationalteams und ließ die Berti-Vogts-Schützlinge - ebenfalls ein Novum - auf Englisch singen. Dass die Village People aus bekennenden Schwulen bestanden, sorgte für weitere Irritationen bei vielen Fußballfans. Doch egal, ob es nun am Lied selbst oder an der Band oder am schlechten Abschneiden der deutschen Mannschaft lag - der offizielle WM-Titel "Far away in America" kam nur bis Platz 44 der deutschen Hitparade.

1998 ging der DFB in Sachen WM-Song wieder einen neuen Weg und verzichtete auf den Chor der Nationalspieler. Das offizielle deutsche WM-Lied "Running with a dream" nahmen Anna-Maria Kaufmann und Ex-Europe-Sänger Joey Tempest daher ohne gesangliche Begleitung auf. Vielleicht lag es ja daran, dass "Running with a Dream" für viele Rockmusik-Liebhaber der schönste WM-Song ist, den der DFB bisher auf den Markt gebracht hat. Doch leider erwies sich der von Mike Batt geschriebene Titel als nur bedingt hitparadentauglich (Platz 94), zumal die deutsche Elf sportlich wiederum früh die Segel streichen musste. Nach den wenig geglückten Versuchen bei den vorhergehenden Weltmeisterschaften gab es 2002 schließlich eine weitere Richtungsänderung. Dieses Mal verzichtete der DFB ganz auf einen offiziellen WM-Song. Ob die deutschen Kicker deshalb überraschend bis ins Finale vordrangen, ist nicht bekannt.

Offizielle und inoffizielle Songs

Ähnlich wie der DFB versuchten auch die Veranstalter von Welt- und Europameisterschaften, durch musikalische Aktivitäten eine zusätzliche Einnahmequelle zu erschließen. Erstaunlicherweise kamen die FIFA und die UEFA jedoch erst relativ spät auf diese Idee. Das Vorbild für die FIFA war dabei wohl auch weniger die Aufnahmen der deutschen Nationalmannschaft als vielmehr die Olympischen Spiele 1984 in Los Angeles. Im Heimatland der Rockmusik präsentierten die Olympia-Organisatoren erstmals einen offiziellen Olympia-Song, der von Georgio Moroder und Paul Engemann aufgenommen wurde. Er hieß "Reach out for The Medal". Die Amerikaner bewiesen damit einmal mehr ihre Kompetenz in Sachen Show-Geschäft, und so wurde das Lied zu einem Welthit, der sich auch in Deutschland vier Wochen auf Platz eins hielt.

Sechs Jahre später präsentierte auch die FIFA erstmals ein offizielles WM-Lied und bewies dabei ebenfalls eine glückliche Hand. Zur Weltmeisterschaft in Italien röhrte die international bekannte italienische Rockmusik-Lady Gianna Nannini zusammen mit ihrem Landsmann Edoardo Bennato "Un estate italiana", wobei es auch eine englische Version gab. Vielleicht lag es ja am Gewinn des Weltmeisterschaftstitels durch die Deutschen, dass dieser Song auch im deutschsprachigen Raum ein großer Erfolg wurde (Platz 2 in Deutschland, Platz 1 in der Schweiz) und noch heute vielen Fußballfans bekannt ist. Schon fast wieder vergessen ist dagegen, dass 1990 auch die ARD einen eigenen WM-Song auf den Markt brachte ("Go Get The Cup" von David Hanselmann), wodurch die Fußballfans gleich drei WM-Lieder (vom DFB, von der FIFA und von der ARD) zur Auswahl hatten. Immerhin kam der ARD-Beitrag dank ständiger Fernsehpräsenz auf einen respektablen vierten Hitparadenrang, während sich die Nationalmannschaft mit Udo Jürgens überhaupt nicht platzierte.

Vier Jahre später versuchte es das Veranstalterland USA mit Rockstar Daryl Hall, verstärkt durch die Formation Sounds of Blackness und dem Lied "Gloryland". Zehn Jahre nach "Reach out for The Medal" wollte jedoch in Deutschland offensichtlich niemand den offiziellen WM-Song aus dem Rockmusik-Heimatland hören, weshalb sich der Titel hierzulande nicht einmal platzierte. Auch international blieb "Gloryland" hinter den Erwartungen zurück.

Dennoch übernahm 1996 auch die UEFA die Idee eines offiziellen Veranstaltungs-Lieds und präsentierte anlässlich der Europameisterschaft in England das Lied "We're In This Together" von Simply Red. Viele Fußballfans empfanden den Titel jedoch als reichlich lahm, und so entwickelte sich ein anderer Song zum Hit der Veranstaltung: "Three Lions (Football's Coming Home)", das die Pop-Band Lightning Seeds zusammen mit der englischen Nationalmannschaft aufgenommen hatte. Der mit Reporter-O-Tönen unterlegte Ohrwurm entwickelte sich zu einem der erfolgreichsten Fußballlieder überhaupt.

1998 versuchte man es anlässlich der Weltmeisterschaft in Frankreich mit lateinamerikanischen Rhythmen und ließ den Puerto-Ricaner Ricky Martin "The Cup of Life" singen. So mancher Popmusik-Fan beklagte zwar, dieses Lied sei im Grunde nur eine Variation des Ricky-Martin-Welthits "(Un Dos Tres) Maria", doch der Erfolg gab den Verantwortlichen Recht. "The Cup of Life" wurde auch in Deutschland ein veritabler Diskotheken-Knüller und kletterte bis auf Platz eins der Hitparade.

In den letzten Jahren hat sich am Konzept der FIFA und UEFA im Bereich der WM- bzw. EM-Songs wenig geändert. Zu jedem Turnier bot die jeweils zuständige Organisation einen internationalen Star auf, der mit einem meist wenig originellen, dafür hitparadenkompatiblen Titel, den offiziellen Song beisteuerte. 2000 sang E-Type "Campione 2000" in Belgien und den Niederlanden, 2002 heizte Anastacia den Fußballfans aus Japan und Korea mit "Boom" ein, und 2004 gab es "Força" mit Nelly Furtado. Alle drei sorgten für ordentliche Verkaufszahlen, doch der ganz große Hit war nicht dabei.

Dass Pop-Röhre Anastacia 2002 den Weltcup-Song zum Besten geben durfte, stieß ohnehin nicht auf ungeteilten Beifall. Unter dem Motto "Stopp Anastacia - We Want A Decent Worldcup-Song" gründete sich eine Internet-Initiative mit Ursprung in Deutschland, die auf ihrer Homepage folgende Erklärung abgab: "Anastacia und ihr Song repräsentieren allein die Armut der amerikanischen Entertainment-Industrie - und sind eine Beleidigung von Millionen von Fußballfreunden sowie der Kulturnationen Japan und Südkorea." Das Medienecho war so gewaltig wie nutzlos - Anastacia durfte weiter röhren und kam in Deutschland immerhin bis auf Platz 35.

Jack White, sowohl als Fußballer als auch als Musikproduzent ein Meister seines Fachs, teilte die Ablehnung gegenüber Anastacia. "Wenn man [...] anfängt, Kunst zu machen, oder nur aus Marketinggründen sagt: Das ist jetzt der Song zur WM!, braucht man sich nicht wundern, wenn die Fans sauer sind", verriet er der TAZ. An gleicher Stelle gab White auch dem DFB einen Wink mit dem Zaunpfahl: "Ich bin immer noch der Meinung, dass man in Deutschland so eine Fußballnummer mit Tony Marshall machen muss."

Offizielle und inoffizielle WM- und EM-Lieder

Klaus Schmeh ist von Beruf Produkt-Manager und Journalist. Der Artikel wurde seinem Buch "Titel, Tore, Transaktionen - Ein Blick hinter die Kulissen des Fußball-Business" (Redline Wirtschaft) entnommen.