Der Bau der neuen Stadtmauern

In Bagdad will man Stadtviertel mit Mauern einschließen und zu Gefängnissen machen - Irak könnte so, trotz der jetzt erfolgten Proteste, zum Vorbild auch für den Rest der urbanisierten Welt werden

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In Bagdad hat das US-Militär vor zwei Wochen damit begonnen, einen ganzen Stadtteil mit einer 3,5 Meter hohen, 5 km langen Mauer aus Beton nach israelischem Vorbild einzuschließen. Der Stadtteil Adhamiya ist hauptsächlich von Sunniten bewohnt, von drei Seiten umgeben von schiitischen Wohngebieten und Schauplatz zahlreicher Gewalttaten. Die Mauer sollte verhindern, dass schiitische Kämpfer in den Stadtteil eindringen können, oder sunnitische Kämpfer aus ihm heraus gegen Schiiten vorgehen. Geplant ist vom Pentagon, bis zu 10 Stadtteile zu eingeschlossenen, überwachten Bezirken (gated communities) zu machen. Damit kehren die alten Stadtmauern wieder zurück, gleichzeitig schützen sich auch Länder durch Mauern, um ihre Grenzen lückenlos zu überwachen.

Nicht nur im Irak, aber dort am offensichtlichsten, zeigt sich, dass sich das Problem der 90er Jahre, als man sich mit failed states konfrontiert sah, übergegangen ist in das von failed cities und damit in bewaffnete Konflikte im urbanen Raum, die militärisch kaum mehr zu bewältigen sind, wenn man die Städte nicht nach dem Vorbild der Russen wie in Grosny dem Erdboden gleichmacht. Ganze Städte oder Stadtteile in großen Städten entgleiten der Kontrolle der Zentralmacht, sofern man im Irak oder in Afghanistan überhaupt von einer solchen sprechen kann, und werden ganz, teil- oder zeitweise kontrolliert von Aufständischen, Terroristen, Milizen und/oder Kriminellen ("Pockets of Darkness").

Vor dem Einmarsch der Koalitionstruppen wurde befürchtet, dass es in Bagdad zu erbitterten Stadtkämpfen kommen könne. Man ging davon aus, dass Saddam Hussein seine Truppen darauf vorbereitet haben könnte, da sie im traditionellen Krieg gegenüber den hochgerüsteten Koalitionstruppen, die zudem die absolute Lufthoheit besaßen, hoffnungslos unterlegen wären. Wie sich herausstellte, sind sie das auch gewesen, aber die irakischen Truppen haben sich nicht zum Stadtkampf neu organisiert, sondern sich praktisch ohne Widerstand gewissermaßen in Luft aufgelöst. Die weitere Auflösung der staatlichen Strukturen hat die Besatzungsregierung von Bremer noch mit der radikalen Ent-Baathisierung verstärkt.

Anfangs kam es nur zu vereinzelten Angriffen von Aufständischen, von denen das Pentagon lange Zeit annahm, dass sie von Hussein oder seinen Anhängern organisiert und finanziert werden. Das durch Krieg und Ent-Baathisierung hinterlassene Machtvakuum, das die Besatzungstruppen nicht füllen konnten und das durch Arbeitslosigkeit und kaum vorankommenden Wiederaufbau verstärkt wurde, hat die Zahl der Aufständischen und terroristischen Gruppen, der kriminellen Organisationen und der Milizen vermehrt. Schon bald kam es zu den ersten größeren urbanen Auseinandersetzungen mit den schiitischen Milizen und Anhängern von al-Sadr und schließlich mit islamistischen sunnitischen Aufständischen.

Nachdem die Strategie des Pentagon scheiterte, wurde in Falludscha erstmals eine neue Strategie getestet. Die gesamte Stadt wurde Ende 2004 durch einen vielen Kilometer langen Wall abgeschlossen, so dass es nur noch wenige kontrollierte Durchgänge gab. Um mit entschlossener Gewalt vorgehen zu können, wurde die Bevölkerung aufgefordert, vor dem Angriff die Stadt zu verlassen. Allerdings haben sich die meisten Aufständischen aus ihr zurückgezogen. Dann wurde die Stadt Haus für Haus durchkämmt. Es kam zu Schießereien, dabei müssen auch zahlreiche Zivilisten, die Falludscha nicht verlassen hatten, getötet worden sein. Auf Bildern, die zirkulierten, sah man zahlreiche Leichen, die offenbar auch länger in den Häusern und auf den Straßen gelegen haben müssen. Die US-Truppen hatten die Berichterstattung der Medien weitgehend unterbunden, so dass kaum Nachrichten aus der Stadt drangen. Auch nach der blutigen "Säuberung", bei der ein Großteil der Häuser zerstört wurde, blieb der Wall erhalten. Die zurückkehrenden Menschen wurden an den Kontrollpunkten biometrisch identifiziert und mit entsprechenden Ausweisen versehen. Mittlerweile sollen wieder 350.000 Menschen in der Stadt leben, in die aber auch Islamisten oder al-Qaida-Anhänger zurückgekehrt sind. Allerdings wurde die Stadt, die zuvor als Hort von Aufständischen und Terroristen galt, durch die mit der Mauer durchgeführten Kontrollen erheblich "beruhigt", was freilich nicht die Aktivität des Widerstands reduzierte, sondern nur verlagerte.

Das Konzept, zur Sicherung von Städten diese mit Mauern zu umgeben, um Ein- und Ausgänge kontrollieren zu können, wurde nach Falludscha auch in anderen Städten wie Samarra oder Tal-Afar (Vorbild ist eine mit einem Sicherheitswall eingeschlossene Stadt) angewandt. Hatten die Stadtbewohner einst sich selbst durch Mauern vor Feinden von außen geschützt, so werden die Städte nun von außen eingeschlossen und so in große Gefängnisse verwandelt, in eine Art Panoptikum. Der Aufwand ist hoch und kaum lange durchzuhalten, wenn die Mauern, Sicherheitszäune oder Wälle nicht mit modernster Überwachungstechnik gesichert werden, wie sie in den USA, Israel oder der EU entwickelt wird, um nicht nur Städte von außen, sondern auch die nationalen Grenzen auf dem Land, aber auch auf dem Wasser und in der Luft von innen abzudichten und die Übergänge zu kontrollieren. Zudem werden Sicherheitszäune und Sicherheitstechniken auch für die sich mehrenden gated communities benötigt, die sich vom Rest der Städte oder des Umlands abschließen und so eine weitere Fragmentierung des Raums und der Gesellschaft forcieren.

In Bagdad scheinen nun aber die Menschen es nicht hinnehmen zu wollen, dass sie angeblich zum eigenen Schutz in ein Gefängnis eingeschlossen werden, dessen hohe Mauern nicht mehr nur um die Stadt herum, sondern durch sie hindurch verlaufen. Lokalpolitiker kritisierten, dass sie die vom US-Militär geplante Maßnahme nicht mit den Bewohnern zuerst diskutieren konnten, sondern vor vollendete Tatsachen gesetzt wurden. Das unsensible Vorgehen des US-Militärs, das wenig demokratisch über die Köpfe der Menschen hinweg Sicherheitsmaßnahmen verordnen wollte, hat zumindest zunächst zum Scheitern des neuen Mauerbaus in der Stadt geführt.

Der schiitische Ministerpräsident Nuri al-Maliki gab bekannt, dass er den weiteren Bau der Mauer nach den Protesten der Bewohner und von sunnitischen Politikern gestoppt habe, obgleich andere Teile der irakischen Regierung wie der Verteidigungsminister hinter dem Mauerbau stehen. Damit hat al-Maliki wohl auch mehr Macht demonstriert, als er wirklich hat. Offenbar stand er unter Druck, sich hier vom US-Militär zu distanzieren. Hunderte von Einwohnern hatten gestern gegen die Mauer protestiert. Sie wurde unter anderem mit der Mauer verglichen, die Israel baut, um sich vor den Palästinensern zu schützen.

Der US-Botschafter Ryan Crocker erklärte, man werde die Wünsche der Menschen und der irakischen Regierung akzeptieren. Die Mauer habe den Zweck, der Sicherheit zu dienen, und sei keine dauerhafte Maßnahme. Tatsächlich ist es für die Bush-Regierung primär wichtig, dass die gegen den Kongress durchgeführte Truppenaufstockung schnell Erfolge vorweist, um dann einigermaßen aufrecht die Truppen abziehen zu können und die Sicherheit den Irakern zu überlassen. Es könnte gut sein, dass die Sunniten auch davor Angst haben, nach Abzug der Amerikaner in einem von schiitischen Sicherheitskräften bewachten Gefängnis zu sitzen. Allerdings ist auch nicht klar, ob die Mauer nun die sunnitischen Kämpfer einschließen oder die schiitischen ausschließen soll. Daher wenden sich auch die Anhänger von al-Sadr gegen diese "Berliner Mauer", wie sie sagen, in Bagdad. Sie befürchten, dass Sadr City, wo sich die schiitischen Milizen aufhalten, zum nächsten urbanen Gefängnis werden könnte.

Vermutlich wird das US-Militär aber erst einmal nur abwarten, bis die Proteste stiller werden, um dann doch mit der Abschottung von Adhamiya und anderer Stadtteile fortzufahren. Die Einwohner von Bagdad fliehen vor der Gewalt, die Sunniten sammeln sich im Westen, die Schiiten im Osten. Der Endpunkt könnte tatsächlich eine, durch eine Mauer geteilte Hauptstadt sein (Plan B(erlin) für Bagdad), die dann immer weniger durch eine zentrale Verwaltung regiert werden könnte.

Geplant war jedenfalls, 10 der Stadtteile, in denen am meisten Gewalt herrscht oder von denen sie ausgeht, mit Mauern einzuschließen, um so dem Rest der Stadt mehr Sicherheit zu gewähren oder relativ sichere Inseln nach dem Vorbild der aufwändig geschützten Green Zone, einer Burg in der Stadt, zu schaffen. An den Kontrollposten sollen die Menschen biometrisch (Iris, Fingerabdrücke) identifiziert werden, so dass sich allmählich auch herausstellt, wer im Viertel wohnt und wer fremd ist. Zudem ließen sich so Verdächtige herausfischen, deren Fingerabdrücke man anderswo unter verdächtigen Umständen gefunden hat.

Der Verdacht besteht, dass die Bush-Regierung und das US-Militär nicht sehr viel mehr Ideen haben, als die Truppen zu verstärken und die Mauern zu bauen, um gefährliche Orte einzuschließen oder andere Orte zu schützen. Allerdings besteht angesichts der Vorgänge im Irak und anderswo auch der Verdacht, dass im Irak nur erprobt wird, was weltweit sich durchsetzen könnte: Mauern, die Gefängnisse und gated communities schaffen, also ein Patchwork von umgrenzten und überwachten Räumen in Städten, die allmählich auch die staatliche Ordnung fragmentieren, wie dies bereits in Afghanistan, in Somalia oder im Irak der Fall ist. Während die realen Räume gegeneinander abgeschlossen werden, könnte der virtuelle Raum um so wichtiger werden, um die Enklaven über die Distanz hinweg zu verbinden. Allerdings würden, sollte dieser Trend tatsächlich durchschlagen, auch in die virtuellen Räume immer dichtere Grenzen einziehen, die sich allerdings nicht mit denen im Raum decken.