Der Europarat will die Menschenrechte im Cyberspace retten
Das Staatengremium, das bislang in Sachen Netzpolitik mit dem Cybercrime-Abkommen für Negativschlagzeilen sorgte, will sich nun für freie Meinungsäußerung und Datenschutz stark machen
Der Straßburger Europarat, der bereits Mitte des vergangenen Jahrhunderts die Europäische Menschenrechtskonvention ausgearbeitet hat, will sich jetzt auch in der Internetpolitik auf seine traditionelle Linie besinnen. Er hat dazu einen Entwurf für eine Erklärung für die Sicherung der Menschenrechte in der Informationsgesellschaft vorgelegt. Scharfe Reibungsflächen gibt es damit nicht nur zur lange heftig umstrittenen "hauseigenen" Cybercrime-Konvention, sondern auch etwa zum tief in die Bürgerrechte eingreifenden Vorstoß des EU-Rates zur Einführung eines neuen pauschalen Überwachungsinstruments in Form der Vorratsdatenspeicherung.
Selbst Blinde sehen langsam ein, dass die Privatsphäre in der vernetzten Welt durch den Siegeszug der universellen Datenverarbeitung mit ihren massiven Möglichkeiten zur Anlage umfassender digitaler Personendossiers in Gefahr gerät. Die Datenschatten, die Nutzer gerade im Internet unweigerlich werfen, verlocken Marketingexperten in der Wirtschaft genauso wie Sicherheitsbehörden zur Profilerstellung. Die Datenjagd ist in vollem Gange, um den gläsernen Menschen endlich Wirklichkeit werden zu lassen.
Ferner häufen sich unüberhörbar die Meldungen, dass der an sich ach so freie, wilde und unabhängige Cyberspace nicht nur in Diktaturen mit strengen Zensurmaßnahmen abgeschottet und das Online-Potenzial zur freien Meinungsäußerung und zum demokratischen Diskurs bekämpft wird. Zumindest versuchen sich daran viele Politiker, wenn für die Findigen online meist doch trotzdem ein Schlupfloch für die geheime und freie Kommunikation bleibt.
Der Europarat, dem über 40 Staaten angehören und dem sich Länder weit über die Grenzen der Europäischen Union hinaus wie etwa die USA oder Japan mehr oder weniger fest angeschlossen haben, kann bislang keine sonderlich erfolgreiche Geschichte beim Schutz der Bürgerrechte in der Online-Welt aufweisen. Mit der zunächst hinter verschlossenen Türen entworfenen Cybercrime-Konvention erntete das Gremium jahrelang schlechte Presse (Fette Bugs im Cybercrime-Abkommen), weil es sich damit zum Instrument der amerikanischen und europäischen Strafverfolger und Geheimdienste sowie deren umfassenden Kontroll- und Überwachungsträumen machen ließ. Die hatten unter dem Codewort Enfopol schon jahrelang auf entsprechende neue "rechtsstaatliche" Instrumente hingearbeitet.
Cybercrime-Abkommen: Fehlanzeige beim Menschenrechtsschutz
Bei Datenschützern, Bürgerrechtsorganisationen, Wirtschaftsverbänden sowie Parlamentariern war das Abkommen höchst umstritten (Europarat verteidigt das Cybercrime-Abkommen). Scharfe Kritik hatte vor allem die geplante undifferenzierte Ermächtigung der Strafverfolger ausgelöst. Diese sah etwa die letztlich aufgrund der Proteste doch noch fallen gelassene Verpflichtung von Telcos und Internetprovider zur Vorratsspeicherung der bei der Telekommunikation anfallenden Verbindungsdaten vor. Viele heikle Punkte wie Möglichkeiten zum Abhören der Netzkommunikation in Echtzeit oder das indifferente Verbot von "Hackerwerkzeugen" blieben aber bestehen (Europarat verabschiedet Cybercrime-Abkommen). Zudem machte sich der Europarat mit einer geplanten Zusatzerklärung zur Einführung einer neuen Straftat in Form des "illegalen Hostings" gerade bei den die Meinungsfreiheit hoch haltenden USA wenig Freunde (EU-Kommission fordert einheitlichen Rechtsrahmen für rassistische Straftaten).
Anscheinend haben Vordenker des Staatenbundes aber inzwischen eingesehen, dass sie Anfang des 20. Jahrhunderts am falschen Rad gedreht haben. So zeigt sich der Entwurf für eine Politische Erklärung über die Einhaltung der Menschenrechte in der Informationsgesellschaft, der aus der Feder des kurzfristig einberufenen "Multidisciplinary Ad-Hoc Committee of Experts on the Information Society" (CAHSI) stammt, insgesamt sehr besorgt über den Datenschutz und die Eingriffe in die freie Meinungsäußerung in der digitalen Welt. Beide Werte sollen daher im Licht von Artikel 8 beziehungsweise 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention gesehen werden, die sich letztlich auch über den Europäischen Menschenrechts-Gerichtshof in Straßburg einklagen lassen.
Online wie Offline
Erste Regel der Erklärung soll sein, dass in den neuen Kommunikationsmedien die Rede- und Ausdrucksfreiheit genauso respektiert werden muss wie in der physikalischen Welt. Der Europarat strebt hier also eine Art Umkehr der von Innen- und Rechtspolitikern so gern im Munde geführten "Weisheit" an, dass "online nicht erlaubt sein darf, was offline verboten ist". Dem wilden und ungezügelten Datensammeln wollen die multidisziplinären Adhoc-Experten zudem mit Prinzip 6 einen Riegel vorschieben.
Ansonsten sollen fundamentale Werte wie die Demokratie oder Pluralismus und Zugangsrechte für jedermann gestärkt und digitale Spaltungsprozesse der Gesellschaft verhindert werden. Interessant auch das zehnte Prinzip, das online wie offline gleiche Versammlungsrechte einfordert. Ob damit auch die legale Durchführung von Online-Demonstrationen gemeint sein soll, geht aus dem Entwurf nicht hervor. Nicht umhin kommen die Verfasser allerdings an der Bemerkung, dass im Cyberspace andererseits natürlich auch etwa dem "sexuellen Missbrauch" von Kindern nicht Vorschub geleistet werden dürfe.
Abgerundet wird das Prinzipienwerk durch eine realistische Einschätzung der Möglichkeiten und Gefahren des Internet in punkto Meinungsfreiheit und Schutz der Privatsphäre. Stichwörter wie "Spam", die Robustheit der Netzarchitektur oder die Zensur durch Staaten genauso wie durch private Firmen etwa in Form von Internetprovidern fallen dort. Zu guter Letzt sollen die Mitgliedsstaaten des Europarates aufgefordert werden, die sich bietenden Chancen für eine Stärkung der Menschenrechte zu fördern.
Europarat vs. EU-Rat
Besser spät als nie, kann man zu der Initiative nur sagen. Sie könnte helfen, den Prozess der Suche nach einer noch internationaleren Erklärung zur Stärkung der Grundrechte der Netzbürger im Rahmen der Uno auf dem World Summit on the Information Society (WSIS) weiter anzutreiben (Nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel). Gleichzeitig erinnert schon der Entwurf des Europarates das so ähnliche klingende, aber nicht zu verwechselnde Gremium der EU-Minister nachdrücklich an die Grenzen des rechtsstaatlich Machbaren im neuen Streit um die Vorratsdatenspeicherung.
Der EU-Rat hat in seine aktuellen Entwürfe zu einem entsprechenden Rahmenbeschluss zur pauschalen Beschnüffelung der Nutzer zwar bereits Vorsorgeklauseln eingeführt. Man liest dort plötzlich, dass die geforderte Datenvorhaltung über Jahre hinweg natürlich nur in einem Rahmen erfolgen solle, der in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist. Damit versuchen die Innen- und Justizminister, sich per eigener Ansage im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention zu bewegen. Doch ob die pauschale Überwachungsmaßnahme überhaupt prinzipiell mit dem in die Jahre gekommenen Abkommen vereinbar ist, bezweifeln Datenschützer, Koordinatoren im EU-Parlament sowie inzwischen anscheinend auch die EU-Kommission.