Der Generalbundesanwalt, der zum Jagen getragen werden musste

Seite 2: Snowden wird vom Generalbundesanwalt wie eine fiktive Romanfigur behandelt und seine Enthüllungen als Plot eines fantasiebegabten Schriftstellers

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Diese Begründung ist juristischer Wortmüll. Der Generalbundesanwalt verschanzt sich hinter gesetzlichen Worthülsen und Rechtsbehauptungen, die keine argumentative Substanz erkennen lassen. Er setzt offenkundig darauf, dass eine rechtsunkundige Bevölkerung sich von diesem Wortgewitter beeindrucken lässt. Übersetzt man die Überlegungen des Generalbundesanwaltes in eine alltagstaugliche Version, wird die Unsäglichkeit seiner Begründung deutlich.

Er meint ernsthaft, die Verdachtsmomente gegen die NSA und ihre Ausspähaktivitäten seien denen gleichzusetzen, die (allgemein) auch gegen andere ausländische Geheimdienste bestünden. Wörtlich heißt es hierzu in der entsprechenden Presseerklärung des Generalbundesanwaltes:

Im Ergebnis bleibt mithin die abstrakte Annahme, dass britische und US-amerikanische Nachrichtendienste ebenso wie die Geheimdienste anderer ausländischer Staaten versuchen, auch mit modernen elektronischen Mitteln Erkenntnisse in Deutschland zu erlangen ("Cyberspionage").

Nach der Lesart des Generalbundesanwaltes existiert Snowden nicht. Vielmehr handelt es sich bei ihm und seinen Enthüllungen nur um eine "abstrakte Annahme". Snowden wird wie eine fiktive Romanfigur behandelt und seine Enthüllungen als Plot eines fantasiebegabten Schriftstellers. Alle unstreitigen Fakten (Snowden existiert; er war Mitarbeiter des US-Geheimdienstes NSA; er hat mindestens hunderttausende Dokumente der NSA gesichert; er wird deswegen von US-Justizbehörden mit Haftbefehl gesucht; renommierte Journalisten großer und seriöser Zeitungen und Magazine aus aller Welt haben in die Dokumente von Snowden Einsicht genommen und darüber detailliert berichtet; der Guardian-Journalist Gleen Greenwald hat hierzu jüngst ein hochinformatives Buch veröffentlicht; usw.) werden ignoriert und in den Bereich einer bloß "abstrakten Annahme" verwiesen.

Das ist absurd.

Alle diese unstreitigen Tatsachen sind "zureichende tatsächlicher Anhaltspunkte" im Sinne der Strafprozessordnung. Sie zwingen daher zur Einleitung eines entsprechenden Ermittlungsverfahrens. Wenn der Generalbundesanwalt bei dieser klaren Faktenlage dennoch keine Veranlassung zu Ermittlungen sieht, so ist das für das eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen des Abhörens der Kanzlerin kein ermutigendes Signal. Selbstbewusste und unerschrockene Ermittler verhalten sich anders.

So zeichnet sich insgesamt das Bild eines kompletten Staatsversagens ab. Bei den in Rede stehenden Spähaktivitäten handelt es sich nicht um die übliche Spionage einer fremden Macht. Das mag zwar noch für das Abhören des Handys der Kanzlerin gelten - so politisch ärgerlich und befremdlich dies auch "unter Freunden" sein mag - das gilt jedoch nicht für den Spähangriff gegen den Rest der Bevölkerung. Dieser stellt einen beispiellosen Totalangriff auf die Substanz unserer Verfassung dar. So heißt es in Art. 1 unseres Grundgesetzes: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt".

Die zur Zeit die politische Macht ausübenden politischen Institutionen der Bundesrepublik Deutschland (Kanzlerin, Bundesregierung und Mehrheitsfraktionen im Parlament) zeigen bislang keine Bereitschaft dieser Schutzverpflichtung aus dem Grundgesetz nachzukommen - und auch der Generalbundesanwalt als Vertreter des Rechts hat sich bislang nicht als Hoffnungsträger in diesem Jammertal staatlichen Versagens präsentiert.

Wolfgang Neskovic war von 2005-2013 Mitglied des Deutschen Bundestages. In dieser Zeit war er u.a. Mitglied im parlamentarischen Kontrollgremium (zuständig für die Geheimdienste), Mitglied des BND-Untersuchungsausschusses, Stellvertretender Vorsitzender des Rechtsausschusses, Mitglied des Richterwahlausschusses des Bundes und Vorsitzender des Wahlausschusses für die Bundesverfassungsrichter. Vor seiner Zeit als Bundestagsabgeordneter hat Neskovic 27 Jahre als Richter gearbeitet, zuletzt als Bundesrichter. Er verfügt über erhebliche strafrichterliche Erfahrungen in unterschiedlichen Funktionen und hat am Landgericht Lübeck als Vorsitzender Richter sowohl eine Kleine als auch eine Große Strafkammer geleitet.

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