Der Haushaltsstreit zwischen der EU und Italien spitzt sich zu

Seite 2: Ein gefährliches Spiel mit dem Feuer

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Man fragt sich also auch, zu welchen Experimenten Leute wie Stark, Hüther, Draghi und Dijsselbloem bereit sind. Bedenkt man, welche Schwierigkeiten es gab, allein mit den Problemen umzugehen, die Griechenland, Irland und Portugal hatten, dann ist das ein gefährliches Spiel mit dem Feuer. Erinnert sei daran, dass Italien mehr Staatsschulden angehäuft hat, als Spanien, Griechenland, Portugal und Irland zusammen.

Wenn Weber auch noch dazu aufruft, dass sich plötzlich sogar Portugal hinter seine absurde Politik und die der EU stellen soll, dann wäre es für die vielen Beobachter, die jetzt einseitig Italien die Schuld zuweisen, angebracht, sich noch einmal die Vorgänge in Portugal und Spanien anzuschauen.

Wir haben es dabei nämlich mit einem Déjà-vu zu tun. So wird nun auch für Italien mit einem Defizitverfahren gerechnet und das könnte zu Strafzahlungen führen, wenn Italien nicht innerhalb von sechs Monaten auf die Knie geht. Es wäre allerdings das erste Mal, dass es dazu tatsächlich real käme.

Portugals Linksregierung wurden Sanktionen angedroht, als sie den Austeritätskurs aufgekündigt hatte. Die Rede war von massiven Sanktionen, auch die Streichung von Geldern aus den EU-Fonds stand im Raum. Der damalige Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Schäuble meinte, dass Portugal wegen seiner Politik wieder unter den Rettungsschirm schlüpfen müsse: "Sie werden ein neues Programm beantragen müssen, und sie werden es bekommen", erklärte der Bundesfinanzminister.

Ein ganz anderer Umgang

Das Problem für die Hardliner in der EU-Kommission und um Schäuble herum war aber, dass die Konservativen in Spanien ein noch deutlich schlechteres Bild abgaben. Um sie angesichts bevorstehender Wahlen nicht zu schädigen, wurden Entscheidungen immer wieder vertagt. Das schaffte Zeit für Portugal.

Und das Land hat bewiesen, dass man mit vernünftigen Reformen und einer Abkehr von der Austerität, ein nachhaltiges Wachstum schaffen und die Arbeitslosigkeit genauso massiv senken kann, wie das Haushaltsdefizit. So bliesen angesichts der Erfolge des Landes die Hardliner ihren Angriff auf Portugals Linksregierung ab und plötzlich sprach man vom "portugiesischen Wunder".

Spanien wurde Flexibilität zugestanden, die jetzt Italien einfordert

Schäuble stimmte plötzlich in den Jubelchor ein, was auch damit zu tun hatte, dass sich seine ultrakonservativen Kollegen in Spanien schwer damit taten, die Lage in den Griff zu bekommen. Die Arbeitslosigkeit ist dort sogar heute mit 15% noch immer sehr hoch und wird nur von Griechenland übertroffen. Beim Defizit hat Griechenland 2017 Spanien sogar unterboten. Das Land hatte die Stabilitätshürde von 3% erneut gerissen.

Immer wieder wurde der rechtskonservativen Regierung in Spanien Flexibilität zugestanden, die nun eben auch Italien einfordert. Es zeigt sich am damaligen Vergleich Spanien - Portugal, dass vor allem politische Vorlieben hinter den Angriffen standen. Für Spanien werden aus Berlin und Brüssel seit sieben Jahre Extrawürste gebraten. Die Defizitgrenzen wurden ein ums andere Mal nach oben verschoben. Und es passierte auch nichts, wenn auch die angepassten Hürden dann auch noch gerissen wurden.

Portugal wollte man dagegen abstrafen, doch die Erfolge der Linksregierung machten das schließlich unmöglich. Die senkte das Defizit schon 2017 unter die Stabilitätsmarke und kam mit knapp 2,1% sogar noch deutlich unter die aus Brüssel gesetzte Vorgabe. Damit verstummten letztlich alle, die auf das Land wegen der Abkehr von der Austerität eingedroschen haben.

Aus dem Bösewicht, der das Land in den Abgrund führen würde, mutierte der portugiesische Finanzminister plötzlich zum "Ronaldo der EU-Finanzminister". Inzwischen löste Mario Centeno als "Anti-Schäuble" sogar Dijsselbloem als Chef der Eurogruppe ab.

Aus Erfahrungen lernen?

Haben also alle, die jetzt Italien weiter auf den Austeritätskurs schicken wollen, das alles vergessen? Wäre es nicht an der Zeit, aus den Vorgängen in Portugal zu lernen und der neuen Regierung tatsächlich Flexibilität zu gewähren, zumal sie die Hürde des Stabilitätspakts deutlich unterschreiten will? Es ist ganz offensichtlich, dass es erneut um politische Fragen geht, dass erneut eine ungeliebte Regierung angegriffen wird. Der Haushalt dient offensichtlich dazu nur als Vorwand.

Natürlich muss man bei Vergleichen vorsichtig sein. Was in Portugal funktioniert hat, muss nicht zwangsläufig in Italien funktionieren, zumal die Strukturen sehr unterschiedlich sind, in Italien die Korruption als Schuldenfaktor im Land der Mafia eine viel bedeutsamere Rolle spielt. Zudem sind die Ansätze einer Linksregierung und einer populistisch-nationalistisch-radikalen Rechtsregierung sehr unterschiedlich.

Ein Grund ist das aber nicht, Italien nicht den Spielraum zuzubilligen, den auch Spanien genießt. Gleichbehandlung sollte ein Grundsatz sein, zumal die Auswirkungen einer Schuldenkrise in Italien noch deutlich heftiger ausfallen würden, als in Spanien. Dass man seit Jahren "alles tut", um den Euro zu retten, wie es Draghi formulierte, ist man nun anscheinend zu jedem gefährlichen Experiment bereit ist, um Italien auf die Knie zu zwingen.

Ist das eine Strategie, um den stärker werdenden Fliehkräften in Europa zu begegnen? Vermutlich heizt man sie damit nur weiter an. Ist vielleicht die EU selbstmörderisch? Klar ist jedenfalls, dass bei einem italienischen Crash der Euro kaum Überlebenschancen hätte und man den perfekten Sturm für die nächste Rezession oder Depression hätte.