Der Kosovo-Cocktail

BND-Affäre, mafiöse UCK-Kommandanten und die Rechtsstaatsmission der Europäischen Union EULEX

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Die Nachricht war mehr als ungewöhnlich: Am Mittwoch, dem 19. November, wurden in Pristina drei BND-Agenten verhaftet (Der BND im Kosovo). Die örtlichen Ermittler beschuldigten die Deutschen, an einem terroristischen Anschlag auf das Hauptquartier der Europäischen Union in der Kosovo-Hauptstadt beteiligt gewesen zu sein. Dabei war ein paar Tage zuvor durch eine Bombenexplosion erheblicher Sachschaden verursacht worden. Mittlerweile scheint allerdings geklärt: Die Anschuldigungen aus Pristina waren falsch. Zum Anschlag bekannte sich eine bisher unbekannt nationalistische Gruppe mit dem Namen „Armee der Republik Kosova“. Für eine Beteiligung der Deutschen konnten dagegen keinerlei Indizien vorgelegt werden. Aber dennoch bleiben viele Fragen.

Vor allem die Umstände der Verhaftung haben zu erheblichen Irritationen in Berlin geführt. Denn statt sich hinter den Kulissen um eine stille diplomatische Beilegung der Probleme zu bemühen, wie zwischen befreundeten Staaten in geheimdienstlichen Affären sonst üblich, hatte die politische Führung in Pristina mit ihren falschen Anschuldigungen eine wahre Kampagne entfacht. Die drei deutschen ehemaligen Bundeswehrsoldaten wurden in Handschellen gefesselt den Medien vorgeführt wie Schwerverbrecher. Ende November sprach der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestags (PKG), Thomas Oppermann (SPD), von „unmenschlichen Bedingungen“, unter denen die Männer zum damaligen Zeitpunkt seit neun Tagen festgehalten würden.

Wie verschiedene Medien berichten, waren schließlich „massivster Druck“ der Bundesregierung und die Drohung der Kürzung von finanziellen Hilfsleistungen notwendig, um die Behörden in Pristina zur Freilassung der Agenten zu bewegen. Am 28. November wurde das Trio in einer kleinen Sondermaschine des BND außer Landes geflogen. Bis heute verweigert die Kosovo-Regierung eine Entschuldigung für ihre Vorgehensweise. Vizeaußenministerin Vlora Citaku bezeichnete die Affäre lediglich als eine „unglückliche Sache“.

In Deutschland wird nun Kritik am mangelnden Krisenmanagement des BND-Chefs Ernst Uhrlau laut, der von Sicherheitsexperten und Oppositionsabgeordneten beschuldigt wird, zu spät und nur wenig konsequent gehandelt zu haben. Aber viel interessanter als die Rekonstruktion von Pleiten, Pech und Pannen im offenbar schlecht organisierten deutschen Auslandsgeheimdienst scheint die Frage, warum die Kosovo-Regierung einen diplomatischen Skandal mit der Bundesrepublik Deutschland offensichtlich bewusst inszenierte. Berlin ist immerhin einer der großzügigsten Finanziers des jungen Staates und unterstützte im vergangenen Frühjahr die völkerrechtlich heftig umstrittene einseitige Unabhängigkeitserklärung von Serbien.

„Racheakt“ des „Mafia-Staates“

Eine Erklärungsmöglichkeit wird von der konservativen Tageszeitung Die Welt aus nicht näher genannten „Sicherheitskreisen“ kolportiert. Demnach handelte es sich bei der Affäre um einen „Racheakt“ der Kosovo-Mafia gegen die Aufklärungsversuche des BND im Bereich der Organisierten Kriminalität. In eine ähnliche Richtung argumentiert die liberale Süddeutsche Zeitung. Sie zitiert zustimmend einen anonymen hochrangigen BND-Mann, der erklärt: „Die Bundesregierung hat sich von einem Land, in dem organisierte Kriminalität die Staatsform ist, am Nasenring durch die Weltpolitik führen lassen.“

Tatsächlich scheint diese Vermutung plausibel zu sein. Denn auch wenn den drei verhafteten BND-Agenten wohl zu Recht von ihren eigenen Vorgesetzten „Tollpatschigkeit“ bei ihren Ermittlungsarbeiten im Fall der Bombenexplosion vor dem EU-Gebäude attestiert wird, muss doch auch betont werden, dass der BND in den vergangenen Jahren im Kosovo scheinbar ziemlich erfolgreich Aufklärungsarbeit zur Verknüpfung der politischen Eliten aus den Reihen der ehemaligen „Kosovo-Befreiungsarmee“ UCK mit der Organisierten Kriminalität durchgeführt hat.

Dies zeigt unter anderem ein BND-Dossier vom Februar 2005, das bereits vor drei Jahren auf unbekannten Wegen in die Hände des Frankfurter Mafia-Experten Jürgen Roth gelangt ist und von ihm auszugsweise in der Schweizer Weltwoche veröffentlicht wurde. Nachdem es in den vergangenen Jahren in der Presse immer wieder zitiert wurde, hat sich Roth nun entschieden, den gesamten Text auf seiner Homepage online zu stellen. Der Erkenntnisgewinn ist erheblich.

Das BND-Dokument

In dem als „VS –vertraulich amtlich geheim gehalten“ klassifizierten Dokument werden in einem „Lagebild“ zunächst einige Grundinformationen zur Bedeutung der Organisierten Kriminalität im Kosovo zusammengefasst. Demnach spielen „Gruppen ethnischer Albaner“ in „allen einträglichen Deliktfeldern der OK [Organisierte Kriminalität] auf dem Balkan und in einer wachsenden Zahl europäischer Länder (EU und EFTA) eine führende Rolle“. Dem Kosovo komme als „Transitregion und Drehscheibe“ eine „Schlüsselrolle“ im „Drogenschmuggel nach Europa“ zu. So heißt es:

Ein großer Teil der Opiumernte in Afghanistan gelangt in Form von Heroin über den Balkan auf den europäischen Markt.

Die Organisierte Kriminalität stelle dabei einen „bedeutenden Wirtschaftsfaktor“ dar, der „Staat und Gesellschaft“ durchsetze. Über die „Finanzierung paramilitärischer Gruppen/Ordnungskräfte“ sowie „Bestechung von politischen Funktionsträgern“ resultiere erheblicher politischer und militärischer Einfluss.

Diese allgemeinen Aussagen werden nachfolgend anhand von Beispielen detailliert dargestellt. Nach Angaben des BND-Dokumentes ist der Kosovo in drei „OK-Interessenzonen“ unterteilt, die jeweils von verschiedenen ehemaligen Führern der UCK kontrolliert würden. Der derzeit amtierende Premierminister und ehemalige UCK-Kommandant Hashim Thaci wird als Kopf der „Drenica-Gruppe“ bezeichnet, die „eng mit OK-Strukturen in Albanien, Mazedonien, Bulgarien und in der Tschechischen Republik“ zusammenarbeite. Der frühere Premierminister Ramush Haradinaj – im Krieg von 1997 bis 1999 Kommandant der UCK-Einheiten, die von Nord-Albanien aus nach Kosovo einsickerten – soll dagegen seine Herkunftsregion Dukagjini im Südwesten des Kosovo an der Grenze zu Montenegro und Albanien kontrollieren.

In einem dritten Teil mit der Überschrift „Fazit und Ausblick“ heißt es in der BND-Studie, die kosovo-albanische Organisierte Kriminalität stelle „nach wie vor ein hohes Bedrohungspotenzial für Europa dar“ und baue „ihre Position weiter aus“. Über „key player“ wie Thaci, Haradinaj und andere bestünden „engste Verflechtungen zwischen Politik, Wirtschaft und international operierenden OK-Strukturen im Kosovo.“ Weiter wird konstatiert:

Diese OK-Strukturen haben kein Interesse am Aufbau einer funktionierenden staatlichen Ordnung, durch die ihre florierenden Geschäfte beeinträchtigt werden könnten. Die OK schafft sich vielmehr ein geeignetes politisches Umfeld, was sich auch in der Verankerung einzelner OK-Akteure in der Politik darstellt.

Vor diesem Hintergrund dürfte es für die internationale Gemeinschaft schwierig werden, rechtsstaatliche und demokratische Strukturen im Kosovo zu verankern. Der Kosovo und der gesamte West-Balkan-Raum werden bis auf weiteres eine Schlüsselrolle als Transitregion für den Drogenhandel in Richtung (West-)Europa behalten. Gerade der Kosovo gilt dabei als ein Zentrum der OK, aus dem kriminelle Aktivitäten in ganz Europa gesteuert werden.

UNMIK und die UCK: Partner bei der Durchsetzung der Unabhängigkeit

Trotz der Erkenntnisse über die Machenschaften der ehemaligen UCK-Führer fungierten diese in der Vergangenheit als enge Partner der westlichen Staaten. Figuren wie Thaci und Haradinaj genossen faktisch Immunität vor Strafverfolgung bzw. staatsanwaltlichen Ermittlungen nicht nur, wenn es um ihre mutmaßliche Rolle im Drogen- und Menschenhandel ging. Die Spitze der UN-Übergangsverwaltung in Kosovo (UNMIK), welche die Provinz seit Kriegsende 1999 de facto regierte, sabotierte sogar die Arbeit des Den Haager Kriegsverbrechertribunals bei einem Prozess gegen Haradinaj, dem von Chefanklägerin Carla del Ponte schwere Verbrechen an Serben, Roma und albanischen UCK-Gegnern vorgeworfen wurden.

Wie die Anklagebehörde in Den Haag während des Prozesses im Laufe von 2007 immer wieder beklagte, schüchterten die demonstrativen Sympathiebekundungen der UNMIK-Chefes Soren Jessen-Petersen (Dänemark) und Jochim Rücker (Deutschland) gegenüber Haradinaj potentielle Zeugen ein, die in Den Haag aussagen sollten. Mindestens neun Zeugen waren bereits im Vorfeld des Prozesses liquidiert worden. Der Prozess endete im April 2008 schließlich mit einem skandalösen Freispruch aus „Mangel an Beweisen“, der die Reputation des Haager Tribunals schwer beschädigte (UCK besiegt Carla del Ponte).

Der Hauptgrund für die jahrlange ungeschminkte Unterstützung von Thaci und Haradinaj durch die internationalen Institutionen scheint die Hoffnung westlicher Politiker gewesen zu sein, mit den ehemaligen UCK-Kommandanten die nach wie vor prekäre Sicherheitslage in der Region am besten kontrollieren zu können. Die „Kriegshelden“ verfügen einerseits bei der albanischen Bevölkerung über hohes Ansehen und Durchsetzungsfähigkeit gegenüber potentiellen Störenfrieden. Ihre Präsenz war andererseits auch ein effektives Drohpotential gegenüber der renitenten serbischen Minderheit. In enger Abstimmung mit Haradinaj und Thaci gelang es UNMIK, Nato und EU in den vergangenen Monaten nicht nur die Unabhängigkeit Kosovos zu proklamieren, sondern auch mögliche Gewaltexzesse zu verhindern.

Doch mittlerweile beginnt sich die Situation zu verändern. Denn im Gegenzug für die Unterstützung der völkerrechtlich heftig umstrittenen Unabhängigkeitserklärung des Kosovo-Parlamentes vom 17. Februar 2008 durch die führenden westlichen Staaten, (Auf dem Weg in die Spaltung) will Brüssel in Zukunft das bisherige Laissez-faire Prinzip beim Umgang mit der Kosovo-Mafia durch effektive Verbrechensbekämpfung ersetzen. Das renommierte US-amerikanische Institut Strategic Forcasting (Sratfor) bringt dies in einer neuen Analyse auf den Punkt:

Brussels wants to begin clamping down on the rampant narcotics- and human-smuggling operations in the newly minted country.

Zur Umsetzung dieser Absicht sollen zwei Institutionen dienen, die auf der Grundlage des „Ahtisaari Plans“ in der neuen Kosovo-Verfassung verankert wurden. Ein International Civilian Office unter Führung des Niederländers Pieter Feith übt als Repräsentant der EU in Zukunft die „höchste Gewalt“ (final authority) in Kosovo aus und kann gewählte Funktionsträger oder lokale Beamte absetzen. Unterstützt wird er dabei von der Rechtsstaatsmission EULEX. Unter Führung des französischen Generals Yves de Kermabon sollen in Zukunft etwa 2.000 internationale Polizisten und Staatsanwälte rechtsstaatliche Verhältnisse aufbauen. Es handelt sich um die bisher größte zivile Auslandsmission der EU.

Über die neue Ernsthaftigkeit der EU bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität im Südosten Europas gibt das Beispiel Bulgarien Auskunft. Die EU-Kommission hat Ende November zum ersten Mal Sanktionen gegen ein Land beschlossen, das unverantwortlich mit EU-Geldern umgeht. Wegen grassierender Korruption und Verknüpfung der politischen Eliten mit mafiösen Strukturen wurden Bulgarien nach mehreren Warnungen 220 Millionen Euro an Fördergeldern endgültig gestrichen.

Massenproteste gegen EULEX

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen spricht also viel dafür, dass Regierungskreise in Pristina mit der spektakulären Verhaftung und öffentlichen Vorführung der BND-Agenten ein Signal an ihre bisherige westlichen Donatoren und Förderer, aber auch Aufseher senden wollten. „Die Botschaft ist klar: das unabhängige Kosovo demonstriert Souveränität“, kommentierte die Berliner tageszeitung das Geschehen in Pristina treffend. Vor allem gegenüber ICO und EULEX, die in diesen Tagen ihre Arbeit aufnehmen, sollte wohl deutlich gemacht werden, dass die EU-Funktionäre mit Widerstand zu rechnen haben, wenn sie ihre Absichten der Verbrechensbekämpfung tatsächlich effektiv umsetzen wollen.

Allerdings wird die Konfliktlage durch einen weiteren Aspekt kompliziert. Denn auch die Rechtsgrundlage und das Mandat von EULEX sind scharf umstritten. Im Gegenzug für eine Zustimmung Serbiens und Russlands für die Implementierung von EULEX haben Brüssel, Washington und UN-Generalsekretär Ban Ki Moon Belgrad und Moskau in einem „Sechs-Punkte-Plan“ eine Reihe von Zugeständnisse gemacht. Bei einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates wurde am 26. November die EULEX-Mission einstimmig als "statusneutral" definiert.

UNMIK soll demnach nicht vollständig aus Kosovo abziehen, die Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates vom Juni 1999 (die unter anderem Kosovo als Bestandsteil von Serbien definiert) soll in Kraft bleiben. In den mehrheitlich von Serben bewohnten Landkreisen des Kosovo soll UNMIK weiter stärker präsent bleiben und damit der Realität einer de facto Teilung des Landes Rechnung tragen. Dies wurde von der serbischen Regierung als großer Erfolg in ihrem diplomatischen Kampf um eine Neueröffnung von Verhandlungen über den völkerrechtlichen Status des Kosovo gefeiert. Die Unabhängigkeits- und Souveränitätsansprüche Pristina wurden dagegen brüskiert, obwohl die westlichen Staaten versprochen haben bei ihrer Anerkennung Kosovos zu bleiben.

Bereits am 8. Oktober konnte sich Serbien in der UN- Generalversammlung mit einer anderen Initiative durchsetzen. Trotz des Widerstandes der USA hat die Mehrheit der UN-Mitglieder eine Resolution angenommen, in dem der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag beauftragt wird, die Rechtmäßigkeit der Kosovo-Unabhängigkeitserklärung zu bewerten. Die EU-Staaten enthielten sich bei der Abstimmung. Grund für die Zurückhaltung dürfte neben der eigenen Uneineinigkeit im Umgang mit der Kosovo-Unabhängigkeit vor allem der Versuch sein, die neue pro-europäische Regierung in Belgrad nicht zu brüskieren. Ein unmittelbarer Effekt des Erfolges Belgrads dürfte das für Pristina schmerzliche Stocken bei der diplomatischen Anerkennung Kosovos durch Drittstaaten sein. Bisher haben ohnehin nur 53 Staaten von 192 UN-Mitgliedern Kosovo anerkannt.

Kein Wunder also, dass in der albanischen Bevölkerung im Kosovo ein Stimmungswechsel eintritt. Nach der Euphorie im Gefolge der Unabhängigkeitserklärung im Frühjahr wird immer mehr Menschen klar, dass die Konflikte der Vergangenheit nicht gelöst sind. Am 2. Dezember und 19. November konnte die radikale Jugendbewegung Vetevendosje (Selbstbestimmung) viele tausend Anhänger zu ihren bisher größten Demonstrationen auf die Straßen mobilisieren. Der amtierende UNMIK-Chef Lamberto Zannier wurde dabei in Sprechchören auf den serbisch klingenden Namen „Zanierovic“ umgetauft. Der Führer von Vetevendosje, Albin Kurti, erklärte ihn zur „unerwünschten Person in Kosovo“.

Kurti lehnt auch die EULEX Mission grundsätzlich ab und sagte zum „Sechs-Punkte-Plan“ des UN-Sicherheitsrates:

With this plan, the will of the people of Kosovo for an independent state is being violated and the territorial integrity of Kosovo is being endangered.

Aus der Perspektive der Befürworter einer Unabhängigkeit Kosovos hat Kurti zweifellos Recht.