Der Künstler als Informatiker

Medienschulen im Überblick. Folge 2: Kunsthochschule für Medien in Köln

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Am diesjährigen Rundgang der Kunsthochschule für Medien in Köln (KHM) war auch das „Institut für experimentelle und spekulative Informatik" beteiligt, eine Unterabteilung der Kunst- und Medienwissenschaften. Jedes Jahr gegen Ende des Sommersemesters stellen Studenten der KHM ihre Arbeitsergebnisse einer interessierten Öffentlichkeit vor. Ehrfurchtsvoll schleicht diese dann durch die vielen Gebäude rund um den Peter-Welter-Platz oder schaut sich staunend den Neubau am Filzengraben an. Kunst gibt es dort im Überfluss: Neben der eigentlichen Medienkunst stellen auch die Fächer Mediengestaltung, Film und Fernsehen sowie die Medienwissenschaften ihre künstlerischen Jahresergebnisse vor.

Virtualcor (KHM)

Auch im so genannten Interface-Labor, das von Studenten der „experimentellen Informatik“ betrieben wird, kann man dem künstlerischen Work-in-Progress über die Schulter blicken. Da fräst ein kleiner Bohrer auf einer Tischplatte willkürlich Löcher ins Holz. Angesteuert wird er von einem Computer, der die Daten einiger Meta-Suchmaschinen auswertet - die häufigsten Stichwörter graben sich am tiefsten ein. Auf einem anderen Arbeitsplatz fahren kleine Roboter, auf Geräusche und Klänge reagierend, über eine Bahn Fotopapier und belichten sie. Auch mit der Pain Station, einem Video-Tennis, das den Spieler mittels elektrischer Stromstößen zu Höchstleistungen anspornt, hatte die Informatik an der KHM bereits für belustigte Aufmerksamkeit gesorgt.

Dass Informatik an der KHM überhaupt unterrichtet wird, ist der besonderen Ausrichtung dieser Kunsthochschule zu verdanken, die sich 1991, in den frühen Jahren des Medienbooms, gegründet hat. „Wir sind keine traditionelle Kunsthochschule", erläutert Rektor Andreas Henrich, „sondern wir verfolgen einen integrativen Ansatz, der neue künstlerische Ausdrucksweisen verfolgt und auf gesellschaftliche Tendenzen kritisch reagiert." Zu diesen neuen künstlerischen Ausdrucksweisen zählen eben auch digitale Medien und Computertechnologie, wobei es von Weitblick zeugt, zu einer Zeit, als der Personal Computer in den meisten Haushalten noch längst nicht vertreten war, bereits auf digitale Medien und deren Programmierung gesetzt zu haben.

Painstation (KHM)

Von Anbeginn hat Georg Trogemann den Fachbereich Informatik an der KHM betreut. Der gelernte Schreiner und promovierte Mathematiker, hat 1994 den Lehrstuhl für Informatik übernommen und erinnert sich heute an seine Anfangszeit an der KHM:

1990 war die Verbindung von Technologie und Kunst noch weitgehend unbekannt. Das war damals absolute Pionierarbeit und meine ehemaligen Informatikkollegen hatten sich schwer gewundert, dass ich an eine Kunsthochschule gehen wollte. Wir starteten damals mit 24 Studenten, von denen einige sehr große Vorbehalte gegenüber Technologie hatten.

Zur Erinnerung: Zu jener Zeit war das uns heute bekannte World Wide Web noch gar nicht vorhanden, „gesurft“ wurde mit UNIX-Befehlen auf einer reinen Textoberfläche. Eine Software wie Photoshop war zwar Grafikern geläufig, doch niemandem sonst. Videoschnitt wurde noch analog gemacht und nicht mit semiprofessionellen Programmen wie Adobe Premiere. Die KHM war eine der ersten Schulen, die damals mit 3D-Animationssoftware und sündhaft teuren Workstations von Silicon Graphics aufwarten konnte, an denen Spezialeffekte für Filme oder Werbung entstanden. Heute beherrscht das jeder schnellere PC. Andererseits erfuhr in den beginnenden neunziger Jahren die Medienkunst eine ungeheure Aufmerksamkeit, und wichtige Festivals wie die Ars Electronica im österreichischen Linz erreichten ihren Bedeutungszenit.

Kunst und Können

Kunst kommt immer auch von Können - und Können hat mit Handwerk zu tun. So ist auch eine Informatik an einer Kunsthochschule auf ein Handwerk angewiesen: auf die Programmierung. Ohne detaillierte Kenntnisse in verschiedenen Programmiersprachen und deren Anwendung könnte keine Medienkunst entstehen. Daher legt man an der KHM neben dem Interface-Design, der Gestaltung von Nutzer-Schnittstellen, ebenso großen Wert auf die Programmierung von Software-Anwendungen.

Dessous Tapete (KHM)

Vorzugsweise geschieht dies in JAVA oder – im Falle von Kunstinstallationen und Messepräsentationen – mittels der Interaktionssoftware Max/MsP/Jitter, mit der Motion-Tracking-Systeme angesteuert werden. Ein Codekit genannter „Java-Programmierkurs für künstlerische Ausbildungskontexte“ bietet nicht nur eine theoretische Fundierung, sondern gibt den Studenten auch einen Werkzeugkasten mit einer Sammlung häufig benutzter Java-Programmalgorithmen an die Hand, die jeder frei benutzen kann.

Eine Kunsthochschule wie die KHM würde indessen ihrem Namen nicht gerecht, wenn sie das eigene Treiben nicht auch gebührend reflektieren und in einen Theoriekontext einbinden würde. Georg Trogemann hat sich mit diesem Thema in einem aktuellen Buch befasst: „Code@Art - Eine elementare Einführung in die Programmierung als künstlerische Praktik“ (Verlag Springer, Wien/ New York, 2005) begreift Programmierung als grundlegende Arbeits- und Kulturtechnik des ausgehenden 2o. und des 21. Jahrhunderts und untersucht, welche gesellschaftlichen Änderungen mit dem Computer und seiner Programmierung verbunden sind.

Weil Software zum „allgegenwärtigen Material“ unserer Gesellschaft geworden sei, komme der Kunst die Aufgabe zu, den zugrunde liegenden Code transparent und lesbar zu machen und spielerisch auf seine Bedeutung hinzuweisen. So wie Videokunst auf die Grenzen des Mediums Fernsehen aufmerksam machte und oft genug die Möglichkeiten thematisierte, von denen das Fernsehen keinen Gebrauch macht, widmen auch Software-Kunst oder „Code-Art“ sich den Leerstellen und Rändern der Programmierung.

Ein Beispiel: Die Programmierung von industrieller Software gründet auf der weit gehenden Ausgrenzung von Zufall; die Systeme sollen so funktionieren, wie man sie programmiert hat. Doch bereits die „Software-Krise“ in den sechziger Jahren hatte die Unmöglichkeit, ab einem gewissen Komplexitätsgrad noch zuverlässige (und kosteneffiziente) Systeme zu schaffen, vor Augen geführt. So kann ein Team von zwanzig oder dreißig Spieleentwicklern unmöglich alle Eventualitäten vorhersehen, die anschließend von Millionen von Spielern ausprobiert werden. Aus diesem Grund sind nicht nur im Spielebereich verschiedene Beta-Prüfversionen die Regel geworden.

Anders als die Industrie kann Kunst nun spielerisch mit solchen Unzulänglichkeiten umgehen. Zufall und Aleatorik haben ohnehin eine gewisse Tradition in der Kunst: Musiker wie John Cage und Jannis Xenakis experimentieren seit Jahrzehnten mit der Einbeziehung von Zufall in ihren Kompositionen. Auch die „experimentelle Informatik“, wie sie an der KHM praktiziert wird, will die Unvorhersehbarkeit in die Entwicklung von Softwaresystemen einbeziehen und sie nutzbar machen und auf diese Weise eben auch die positivistischen Stützpfeiler der Informatik kritisch reflektieren.

Solche Freiräume genießt vor allem die Medienkunst, wie sie auf Festivals wie der Ars Electronica oder der Transmediale vertreten ist oder am Zentrum für Kunst und Medientechnologie und an den Kunsthochschulen entsteht. Die Arbeitsfelder für eine kultur- und kunstbezogene Informatik sind indessen viel größer: Sie reichen von der Mediengestaltung über Web- und Interface-Design bis zur 3D-Animation und Computerspieleentwicklung. Auftraggeber sind häufig Theater-, Ausstellungs- und Tanzprojekte. Erst unlängst war in Berlin im Rahmen des Einstein-Jahres die Cross-Media-Oper „C – Speed of light“ zu bestaunen, die mit Hilfe modernster Medientechnologie die Gedankenwelt Einsteins visualisierte. Auch kommerzielle Ausstellungs- und Messepräsentationen, beispielsweise seitens der Automobilindustrie, setzen immer häufiger multimediale Inszenierungen ein.

Vergleichbare Studien wie an der KHM werden auch an folgenden Ausbildungsinstituten angeboten. An der Karlsruher Hochschule für Gestaltung kann man Medienkunst mit den Schwerpunkten Video, Computergrafik und Animation studieren. An der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst lässt sich trotz des antiquierten Namens ebenfalls das Fach Medienkunst belegen. Und die Hochschule für Bildende Künste in Saarbrücken bietet ebenfalls computergenerierte Medien innerhalb des Fachs Freie Kunst an.