Der Militärputsch im Nato-Staat scheint gescheitert zu sein

Der Coup soll vor allem von der Luftwaffe ausgegangen sein, Erdogan sieht die Gülen-Bewegung dahinter

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der gestern ernannte Stabschef Ümit Dündar berichtete, dass die Streitkräfte den Coup niedergeschlagen hätten, der der Gülenbewegung in die Schuhe geschoben wird. Die Türkei habe der Welt gezeigt, dass sie der Demokratie verpflichtet sei.

Nach Dündar ist der Putschversuch vornehmlich von Soldaten der Luftwaffe ausgegangen. Offenbar war vor allem der Luftwaffenstützpunkt Akıncılar betroffen, zu dem die Putschisten den Stabschef Hulusi Akar mit einem Hubschrauber gebracht hätten. Er sei befreit und der Luftwaffenstützpunkt wieder eingenommen worden. Allerdings sollen weitere hohe Militärs noch nicht gefunden sein.

Er sagte, 90 Menschen seien getötet worden, darunter 41 Polizisten und 47 Zivilisten, 1.154 Menschen seien verletzt. Es seien auch 104 Pro-Putschisten getötet worden. Mindestens 1.563 Soldaten sind nach dem Innenministerium verhaftet worden. 5 Generäle und 29 Leutnants wurden vom Dienst suspendiert.

Erdogan hatte noch am Freitagnacht, als der Putschversuch bekannt wurde, die Türken aufgerufen, auf die Straße zu gehen: "Lasst uns ihnen die beste Antwort geben." Er blieb bis zur Früh im Atatürk-Flughafen in Istanbul, der kurzzeitig von Panzern belagert worden war, und sagte, es gebe "eine kleine Spannung" in Ankara. Er werde bleiben, bis die Situation sich wieder normalisiert hat. Angeblich war gestern das Hotel in Marmaris bombardiert bzw. mit schweren Waffen und Hubschraubern angegriffen worden, in dem sich Erdogan bis zwei Stunden vor dem Angriff aufgehalten hatte. Hier soll es auch zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Militär gekommen sein. Überdies soll nach CNNTürk ein Kampfflugzeug Bomben auf einen Ort in der Nähe des Präsidentenpalastes abgeworfen haben, wobei 5 Menschen getötet worden sein sollen.

Auch Erdogan machte den seit 1999 in den USA lebenden islamischen Prediger Fetullah Gülen für den Putsch verantwortlich. Gülen hat noch viele Anhänger in der Türkei, wo er Hunderte von Schulen gründete und seine Bewegung mit Unternehmen und Medien verbunden ist und in Behörden und Ministerien ein Netzwerk aufgebaut haben soll. Er floh deswegen in die USA, weil man ihm vorwarf, das Militär zu unterwandern. Für Erdogan wurde Gülen zum großen Gegenspieler aufgebauscht, der den Staat unterwandern will, einen "tiefen Staat" aufbaut, überall Komplotte ausheckt und für alles Schlechte verantwortlich gemacht wird. Erdogan wirft Gülen den Aufbau eines Parallelstaats vor und ließ immer wieder Polizisten, Richter, Staatsanwälte und andere Mitarbeiter staatlicher Behörden festnehmen oder aus dem Amt entlassen. Seit 2015 gibt es einen neuen Haftbefehl gegen Gülen, dem die Gründung und Leitung einer bewaffneten Terrororganisation vorgeworfen wird. Also auch hier wird der Terrorvorwurf für den großen inneren Feind gebraucht, der auch benutzt wird, um Oppositionelle, Intellektuelle und Medien zu unterdrücken.

Auch heute warf Erdogan Gülen vor, eine Terrororganisation zu führen und die demokratisch gewählte Regierung mit dem Putschversuch abzusetzen. Er forderte ihn auf, in die Türkei zurückzukehren, um sich vor Gericht zu verantworten. Gülen wies gestern Nacht jede Beteiligung zurück und verurteilte den Putschversuch. Regierungschef Binali Yıldırım erinnerte daran, dass die Türkei an die USA bereits ein Auslieferungsgesuch gestellt haben, und erklärte auch Richtung USA, jedes Land, das sich hinter Gülen, den "Führer einer Terrorbande" stelle, könne nach dieser Nacht kein Freund der Türkei mehr sein.

Auf den Aufruf hin, sollen hunderttausende Türken in der Nacht im Land auf die Straße gegangen sein, berichtet Hurriyet. Yıldırım erklärte am Morgen, eine Gruppe habe mehrere Hubschrauber und Flugzeuge unter ihre Kontrolle gebracht und offenbar mehrere Ziele in Istanbul und Ankara angegriffen. Es hatte auch einen Angriff auf das Parlament gegeben, das Gebäude wurde beschädigt, es sei aber wieder alles auch durch Mitwirken der Abgeordneten der Oppositionsparteien wieder unter Kontrolle, so der Regierungschef. Ausdrücklich dankte er den Führer der Oppositionsparteien, die Demokratie geschützt zu haben. Die Oppositionsparteien, auch die HDP, haben den Putschversuch verurteilt. Allerdings soll das Hauptquartier der Armee in Ankara noch besetzt sein.

Der Putsch hatte damit begonnen, dass putschierende Soldaten die zwei Brücken über den Bosporus sperrten, die sich aber in der Nacht ergaben. Der Putsch war offenbar von langer Hand geplant. Berichtet wird, dass versucht wurde, alle Polizeistationen im Land unter die Kontrolle der Aufständischen zu bringen. Der staatliche Fernsehsender TRT wurde kurzzeitig besetzt, andere Medien wurden ebenfalls angegriffen, so waren auch in die Gebäude von Hurriyet und CNNTürk Soldaten eingedrungen. Die in den Fernsehsender Eingedrungenen nannten sich "Frieden im Rat des Landes" und zwangen den Sprecher von TRT eine Botschaft zu verlesen, in der allen gedroht wurde, die das Land verraten haben, vor Gericht zu stellen. Es wurde auch eine Ausgangssperre verkündet, allerdings sagte der Verteidigungsminister, die Besetzer des Fernsehsenders seien nicht mit den Militärs verbunden.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier gab bekannt, "zutiefst beunruhigt über die jüngsten Entwicklungen in der Türkei" zu sein: "Alle Versuche, die demokratische Grundordnung der Türkei mit Gewalt zu verändern, verurteile ich auf das Schärfste. Ich rufe alle Beteiligten dazu auf, die demokratischen Institutionen der Türkei zu respektieren und die verfassungsmäßige Ordnung zu achten. Alle Verantwortlichen müssen sich an die demokratischen und rechtsstaatlichen Spielregeln halten und dafür sorgen, dass weiteres Blutvergießen verhindert wird. Es ist ermutigend, dass sich die im türkischen Parlament vertretenen Parteien zu den demokratischen Prinzipien bekannt haben."