Der Neue Mittlere Osten - und Europa

Seite 3: In Libyen weiß man nach dem Militäreinsatz jetzt politisch nicht mehr weiter

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Jetzt einmal zu Libyen. Was halten Sie von dem Militäreinsatz gegen Libyen? Ist das ein Zeichen, das der "Westen" jetzt an die arabische Welt senden sollte?

Udo Steinbach: Mir scheint der Militäreinsatz extrem fraglich. Ich vermute, man will in Libyen Demokraten unterstützen. Da frage ich mich nur: Wo sind diese Demokraten? Insgesamt glaubt man wohl, dass die Situation in Libyen vergleichbar wäre mit der Situation in Tunesien und in Ägypten. Dort hat es Druck gegeben und unter dem Druck sind die Diktatoren gefallen. Das sieht in Libyen ganz anders aus. Gaddafi scheint, bei allen Schwächen und bei aller Repression, auf denen das Regime beruht hat, eine relativ breite Basis zu haben. Anders ist es nicht zu erklären, dass relativ große Teile der Armee noch zu ihm stehen. Das heißt auch, dass ein gewisser Teil der Bevölkerung noch zu ihm steht. Wir haben es hier also mit einer bürgerkriegsähnlichen Situation zu tun.

Ob da die auswärtigen Mächte gut beraten waren, sich einzumischen, wird die Zeit zeigen. Ich bin eher skeptisch. Militärisch war das Ganze anfangs ein Spaziergang. Etwas anderes konnte man auch gar nicht erwarten. Politisch weiß man jetzt aber nicht mehr weiter. Und das wirft natürlich einen Schatten auf jedes System, das nach Gaddafi errichtet wird.

Wie kommt es denn, dass sich die anderen arabischen Staaten mit ihrer Hilfe für Libyen so zurückgehalten haben?

Udo Steinbach: Auf der einen Seite ist Gaddafi natürlich für die meisten arabischen Regime ein rotes Tuch. Er hat den Pan-Arabismus militant durch die Jahrzehnte hoch gehalten, meistens gegen andere Regime, einschließlich des ägyptischen Regimes und den Regimen auf der arabischen Halbinsel. Sie mögen ihn also nicht und hätten gerne, dass er verschwindet. Aber dazu aktiv beizutragen, riecht nach auswärtiger Einmischung und manches dieser Regime ahnt, dass es in eine ähnliche Situation wie das libysche Regime kommen könnte und sich dann möglicherweise auch die Frage nach der Einmischung stellt.

Hätte man sich nicht vielleicht schon im Jemen einmischen sollen, wo es sehr blutig zugegangen ist in den letzten Wochen? Was wäre, wenn es in Syrien zu einer Auseinandersetzung zwischen dem baathistischen Regime und der Bevölkerung kommt? Das scheint eine sehr blutige Auseinandersetzung zu werden. Soll man sich da dann einmischen oder nicht? Die Arabische Liga ist deswegen gespalten. Am Ende hat sie sich entschlossen mitzumachen, aber wir sehen durchaus viele Wackelkandidaten innerhalb der Arabischen Liga.

Am ehesten hat das ausgerechnet der letzte Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mussah, auf den Punkt gebracht, als er sagte, die auswärtigen Mächte und die Vereinten Nationen hätten doch die Bevölkerung schützen und nicht angreifen sollen. Im Grunde genommen ist Amr Mussah der internationalen Gemeinschaft damit schon in den Rücken gefallen. Ich würde deshalb nicht allzu viel darum geben, was die Arabische Liga tut.

Erstaunlich ist es aber, dass sich Staaten wie die Vereinigten Arabischen Emirate oder Katar aktiv am Militäreinsatz beteiligen. Was sie dazu treibt, ob das ihre enge Verflechtung mit Amerika ist oder ob es andere Motive sind, ist schwer zu sagen. Aber es ist erstaunlich, weil es das erste Mal ist, dass arabische Staaten so weit gehen, aktiv, auch aus der Luft, in einen um sich greifenden Bürgerkrieg einzugreifen.

Warum meinen Sie, dass der Westen so viel Wert auf die Zustimmung der Arabischen Liga gelegt hat? Da sitzen doch auch noch eine ganze Menge Despoten.

Udo Steinbach: Das ist zwar richtig, aber das zeigt ja nur, wie unwohl im Grunde vielen bei diesem Einsatz gewesen ist. So hat man die Arabische Liga wenigstens scheinbar im Boot. Das macht sich einfach besser. Auf diese Weise kann man auch verhindern, dass von Anfang an Mitgliedstaaten der Arabischen Liga oder die Arabische Liga selber mit dem Finger auf die intervenierenden Mächte zeigen.

Wenn die Arabische Liga von Anfang an mit dem Finger auf die ausländischen Mächte zeigen würde und den Begriff des Imperialismus, des Neo-Imperialismus und der Kreuzzüge auf die Agenda gebracht hätte, würde sich das sehr schlecht ausnehmen für die Allianz. Es würde dann möglicherweise noch schneller zu Rissen in der Allianz kommen.

Und was halten sie von der deutschen Zurückhaltung in der Libyen-Frage?

Udo Steinbach: Ich glaube, sich zu enthalten, war eine richtige Entscheidung, besonders vor dem Hintergrund der vielen Unklarheiten, die sich damit verbinden.

Vor dem Hintergrund der Geschichte. Deutschland ist bei derartigen Akten, wenn es um den arabischen Raum ging, nie dabei gewesen. Wir haben eine lange Geschichte einer friedlichen Koexistenz mit den Arabern.

Ich halte es für also für richtig, dass Deutschland sich enthalten hat. Falsch war es allerdings, wie man das hinterher verkauft hat. Indem man eine Form von militärischer Drückebergerei gezeigt und immer wieder, insbesondere seitens des Außenministers, betont hat, man werde auf keinen Fall militärisch dabei sein. Das hat doch den Graben innerhalb der Allianz, den Graben innerhalb der EU, den Graben vor allen Dingen aber auch zu den Vereinigten Staaten von Amerika vertieft und das kann nicht in unserem Interesse gewesen sein.

Wenn so etwas beschlossen wird, auch mit deutscher Enthaltung, dann hätte es genügend Plätze innerhalb der Allianz und natürlich auch innerhalb der NATO gegeben, wo deutsche Soldaten sitzen könnten, ohne dass das nach außen hin auffällt und ohne dass das als eine Form von aktiver Teilnahme an einem Feldzug gegen Libyen hätte ausgelegt werden können. Niemand würde zum Beispiel zählen, wie viele deutsche Soldaten und wie viele Engländer und Franzosen in einem Aufklärungsflugzeug sitzen.

Dann hat man natürlich auch politische Ungeschicklichkeiten unternommen. Wie lange haben wir nicht darüber diskutiert, keine deutschen Soldaten in die Awacs-Flugzeuge über Afghanistan zu schicken? Mit einem Mal wurden deutsche Soldaten dort eingesetzt, um den Alliierten die Möglichkeit zu geben, ihrerseits über Libyen aufzuklären. Solche Widersprüche können für das Ansehen Deutschlands nicht gut sein, sie sind aber auch nicht gut für die Art und Weise, wie wir den Arabern begegnen.

Website von Sarah Meggle. Prof. Dr. Udo Steinbach war bis 2007 Direktor des Deutschen Orient Instituts in Hamburg, derzeit lehrt er am Zentrum für Nah- und Mitteloststudien der Philipps-Universität in Marburg.