Der Professorenschlag
Seite 2: Politische Seilschaften
Für ihre Bemühungen um die Entbürokratisierung der Hochschule und für ihre effiziente Hochschulleitung wurde die FU im November 2006 zur "unternehmerischsten Hochschule" Deutschlands gekürt. Verliehen hat ihr diesen Titel der neoliberale Thinktank Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, als deren Berater auch FU-Präsident Lenzen fungiert. Die vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall gegründete und von weiteren Wirtschaftsverbänden sowie Unternehmen getragene PR-Agentur verfolgt in erster Linie das Ziel, die Bevölkerung von wirtschaftsliberaler Reformpolitik zu überzeugen. Ihr beeindruckender Erfolg (vgl. Lautsprecher des Kapitals) macht sie nicht nur zum politischen Kontrahenten der Rosa-Luxemburg-Stiftung, auch die gewerkschaftsnahe Boeckler-Stiftung fühlt sich ins Schussfeld gedrängt (vgl. Speth: Die politischen Strategien der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft).
Ob die Linkspartei, deren Mitglied Scharenberg im Übrigen nicht ist, nun in Berlin regiert oder nicht – es dürfte unter den Hochschullehrern an den Universitäten Berlins noch so manchen „Kalten Krieger“ geben, der für Lenzens Intervention herzliches Verständnis aufbringen kann. Und zwar wegen Scharenbergs Nähe zur politischen Linken und weil die offizielle Ablehnungsbegründung des Präsidiums so gar nichts damit zu tun haben scheint.
Zur Illustration sei hier die Belehrung eines Professors der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) wiedergegeben, die sonst nicht als sonderlich konservativ bekannt ist. Dieser hatte in seiner Vorlesung über neuere Rechtsgeschichte am 24. Januar 2007 so en passant dem Auditorium seine Auffassung über die Eignung von wissenschaftlichem Personal eröffnet, was wenig später auf zahlreichen E-Mail-Verteilern die Runde machte:
Wissenschaftliche Qualität. Politische Einstellung. Passt der zu uns? Das sind übrigens die Kriterien für jede Einstellung. Irgendwo und überall. Ob sie Vorstand werden wollen eines Unternehmens oder sonstwas. Leistung, passt der politisch bei uns in die Landschaft. Drittens: Wie ist der menschlich, d.h. auf allen Ebenen können sie abgeschossen werden. Also ich verrate glaube ich kein Geheimnis, dass wir einen Vertreter der extremen Parteien von der Rechten wie von der Linken in dieser Fakultät mit größter Wahrscheinlichkeit nicht berufen würden. Das ist kein Geheimnis. Einen PDS-Mann würde ich nicht berufen. Das würde ich nicht machen. Gleich raus. Aber das würde ich nie sagen. Ich würde sagen, wissen sie, was der geschrieben hat – wissenschaftlich. Und wie schießt man jemand wissenschaftlich ab? [...] Ähnlich ist aber das Problem, dies aber nur ganz unter uns, in Bezug auf die Berufung von Frauen. Vor guten Frauen fallen wir auf die Knie. Wir fallen auf die Knie und sagen: Bitte kommen sie zu uns! Und dann haben sie das Problem, dass sich bei Bewerbungen Frauen bewerben, die die Qualität nicht haben. Ohne das laut zu sagen. Das wird zum größten Problem.
„Eine politische Auswahl gibt es bei uns nicht“
HU-Vizepräsident für Haushalt, Personal und Technik, Dr. Frank Eveslage, ärgert sich über solche Kollegen im eigenen Hause. Als Verantwortlicher für die Berufungsverhandlungen der Universität glaubt er es besser zu wissen. Zwar könne auch er über Personaleinzelangelegenheiten keine Auskunft geben, „aber so etwas wie eine politische Auswahl gibt es bei uns nicht.“ Ablehnende Entscheidungen hätten immer rein fachliche Gründe und würden stets zwischen Präsidium, Dekanat und Institutsleitung abgestimmt. Allerdings kommt Eveslage auch erst zum Abschluss des Berufungsverfahrens ins Spiel. Wer es nicht einmal bis zur Einladung zur Probevorlesung oder auf die Berufungsliste geschafft hat, bleibt auch ihm zumeist verborgen.
Deswegen wurden an der HU so genannte Senatsberichterstatter eingeführt. Sie gehören zumeist nicht der Fakultät an, die das Berufungsverfahren durchführt, und haben daher nur beratende Funktion. Sie sollen neben der Frauenbeauftragten auf die Einhaltung der Verfahrensregeln achten und darüber im Akademischen Senat und gegenüber dem Präsidium berichten. Zu diesem Zweck sind sie auch befugt, eigene Gutachten über die Eignung der Bewerberinnen und Bewerber in Auftrag zu geben. Allerdings ist diese zentrale Qualitätskontrolle nicht unumstritten.
Die Senatsberichterstatter wurden eingeführt, um in Zweifelsfällen bereits im laufenden Verfahren auf die Einhaltung von Vorschriften und auf Fairnes zu achten. Damit soll einer Begünstigung unter Fachkollegen vorgebeugt werden. Auf diese Weise soll nicht immer erst reagiert werden, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Bisher blieben solche Aufgaben an den Frauenbeauftragten hängen. Eigentlich eine gute Idee, allerdings war die Entsendung von Berichterstattern nur für den Konfliktfall vorgesehen – z.B. auf Antrag eines Mitglieds der Berufungskommission. Der Präsidenten hat sie jedoch zum Standard erhoben. Ich sehe schon die Gefahr, dass er auf diese Weise versucht, auf die Verfahren Einfluss zu nehmen, nicht nur aus Sorge um die Einhaltung von Formalien. Zumal gegenwärtig er die Senatsberichterstatter auswählt, nicht der Akademische Senat.
Peter Hartig, studentisches Mitglied im Akademischen Senat der HU
Das Kreuz mit dem Alter
Die Humboldt-Universität hat ihre ganz eigenen Erfahrungen mit jenem Argument gemacht, das FU-Präsident Lenzen gegen Scharenberg anführt: 2006 sollte eine Berufungskommission der Theologischen Fakultät eine geeignete Besetzung für eine Juniorprofessur im Fach Systematische Theologie finden. Auf einer ersten Berufungsliste nominierte die Kommission auf den ersten zwei Plätzen Frauen, auf dem dritten ein Mann. Dann geschah etwas, was das Findungsergebnis über den Haufen warf – die Kommission machte sich die Auffassung zueigen, Bewerber für eine Juniorprofessur sollten das 35. Lebensjahr nicht überschritten haben. Damit waren die zwei Wissenschaftlerinnen plötzlich wieder aus dem Rennen. Eine zweite Ausschreibung brachte offenbar die gewünschten Ergebnisse: Der zunächst Drittplatzierte rutschte auf Platz zwei und auch für die übrigen Plätze wurden noch zwei Herren gefunden.
Die ursprünglichen Favoritinnen waren gleich doppelt ausgeknockt – als Frau und als zu alt. Da die Juniorprofessur auf die Vorbereitung einer Habilitation zielt, wird durch die Altersschranke ausgedrückt, die Frauen seien zu alt, als dass noch eine wissenschaftliche Qualifizierung von ihnen erwartet werden könne. Dass es in der Biographie von Frauen mitunter zu Verzögerungen in der Karriere kommt, die eine andere Beurteilung auch ihrer Forschungskapazitäten erforderlich macht als bei männlichen Kollegen, ist zwar nicht neu, wird aber gerne unter dem Deckmäntelchen der Gleichheit versteckt. Mit dem Antidiskriminierungsgesetz ist das kaum zu vereinbaren. Komisch auch, dass der in der zweiten Runde von der Berufungskommission auf Platz eins gesetzte Bewerber bereits habilitiert war, also für eine Juniorprofessur völlig überqualifiziert ist.
Das vermochte auch die Senatsberichterstatterin nicht zu verhindern – vielleicht, weil sie mit dem Ergebnis ganz zu gut leben konnte. Auch das Präsidium der HU intervenierte nicht. Erst die Senatsverwaltung stoppte das Verfahren, verweigerte die Berufung des Erstplatzierten und forderte eine Neuausschreibung unter Berücksichtigung der ursprünglichen Bewerbungen. Sie begründete die Maßnahme in einer auf den Fall Scharenberg übertragbaren Weise:
Eine Altersgrenze von 35 Jahren für die Besetzung einer Juniorprofessur hat keine Grundlage im Berliner Hochschulgesetz und kann deshalb auch nicht zur Begründung einer Entscheidung herangezogen werden. [...] Da eine Altersgrenze von 35 Jahren für sich genommen nicht vorgesehen ist, stellt sich die Entscheidung, die beiden Kandidatinnen nicht zu berücksichtigen, als verfahrensfehlerhaft dar. Wäre eine solche Altersgrenze nicht zugrundegelegt worden, wäre die endgültige Entscheidung möglicherweise anders getroffen worden.
Staatssekretär Dr. Hans-Gerhard Husung im Schreiben vom 21. September 2006
Inzwischen gibt sich die HU lernfähig. Auf den Fall Scharenberg an der FU angesprochen, erklärt HU-Pressesprecherin Christine Schniedermann, für die Universität gäbe es keine von § 102a BerlHG abweichenden Kriterien für Juniorprofessuren. Zwar würden eher junge Menschen für solche Stellen gesucht, aber das sei kein Auswahlkriterium. Dies zeige auch das breite Altersspektrum unter den Juniorprofessoren an der HU von Anfang 30 bis Ende 40:
Wenn Sie über das Alter von Wissenschaftlerinnen reden, müssen Sie auch immer Mutterschaftszeiten berücksichtigen.
Wer hat, der hat...
Für hochspezialisierte Wissenschaftler stellt die Nicht-Berufung nicht selten ein ernsthaftes Problem in der Lebensplanung dar. Denn entweder sie qualifizieren sich rechtzeitig auf einem anderen Themengebiet oder riskieren das Ende ihrer wissenschaftlichen Karriere. Schließlich werden die viel begehrten Professuren auf Lebenszeit nur selten neu besetzt – wenn überhaupt. Demgegenüber arbeitet das wissenschaftliche Personal mit Zeitverträgen, die in der Regel nur zwei Mal verlängert werden können. Wer mit der Habilitation den Höhepunkt seiner fachlichen Qualifizierung erreicht hat, kann zwar als Privatdozent über die Runden kommen, bleibt aber oftmals auf Nebenverdienste angewiesen.
Auf diese Weise kann selbst hochqualifizierten Koryphäen ihres Fachs ein eigener Lehrstuhl auf Dauer verwehrt bleiben. Der inzwischen emeritierte Politikwissenschaftler Prof. Frank Deppe von der Universität Marburg hält das für ein typisch deutsches Problem.
In den USA haben es selbst in zutiefst konservativen Zeiten kritische Köpfe auf die Lehrstühle des Landes geschafft. Denken Sie nur an die Vertreter des Poststrukturalismus. Auch unter der Regierung Thatcher gab es in Großbritannien immer linke Köpfe an den Universitäten. Bedingt durch das Stiftungsrecht hat das vor allem mit der größeren Autonomie der Hochschulen im anglo-amerikanischen Kulturkreis zu tun. Denn nicht nur die Universitäten selbst haben dort viel mehr Rechte gegenüber dem Staat. Auch innerhalb der Hochschulen ist bspw. der Einfluss der Dekane sehr viel größer als der der Hochschulleitung. Es kommt dann nur darauf an, jemanden zu finden, der dich finanziert. Dort heißt es: Du musst gut sein, selbst wenn du links bist. Dann hast auch du eine Chance. In Deutschland ist das kein maßgebliches Kriterium für die Frage danach, wer eine Professur bekommt und wer nicht.
Das bekam auch sein Kollege Dr. Alex Demirovic zu spüren, der sich 2002 auf eine Soziologieprofessur in Frankfurt a.M. bewarb. Zwei Mal wurde das engagierte Mitglied des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi) vom Fachbereich für Gesellschaftswissenschaft mit großer Mehrheit auf Platz 1 der Berufungsliste gesetzt. Doch Präsident Prof. Rudolf Steinberg war dieser beinahe letzte Vertreter der Frankfurter Schule samt seiner kritischen Schriften zum neoliberalen Umbau der Hochschulen (vgl. z.B. Wissenschaft als Privateigentum) ein Dorn im Auge. Um Demirovic zu verhindern, argumentierte er zunächst, seine Berufung würde gegen das Verbot der Hausberufung verstoßen. Diese Regelung verbietet die Berufung von Bewerbern, die bereits Mitglied der Hochschule sind. Auf diese Weise soll der überregionale Austausch gefördert, die Chancen auswärtiger Bewerbungen, die gegenüber Hauskandidaten kaum Aussicht auf Erfolg haben, erhöht und vermieden werden, dass sich die Lehrstuhlinhaber ihre „Nachfolger“ selbst heranziehen.
Jedoch war Demirovic zum Zeitpunkt seiner Bewerbung schon länger an einer ganz anderen Hochschule tätig, was im Allgemeinen als ausreichend gilt. Das bestätigten nachträglich auch zwei Rechtsgutachten.
"Das war auch dem Präsidenten klar.“, erinnert sich ein früheres Mitglied des Fachbereichsrates: „Deswegen hat er auch seinerzeit mit einem Tatbestand argumentiert, den es gar nicht gab, nämlich einer Hausberufung im materiellen Sinn. Damit konnte nur und war de facto gemeint, dass sich Demirovic bei seiner wissenschaftlichen Arbeit nicht ausschließlich, aber eben doch auch deutlich der Kritischen Theorie verpflichtet fühlt."
Uni-Präsident Steinberg teilte dem Fachbereich brieflich mit, dass dieser Demirovic auf keinen Fall erneut für Platz 1 nominieren solle. Als der Fachbereich nach Einholung dreier weiterer vergleichender Gutachten an seiner Entscheidung festhielt und der Präsident nunmehr zur Weiterleitung der Berufungsliste an den Minister verpflichtet war, gab dieser seinerseits drei weitere Gutachten in Auftrag, die Demirovic offensichtlich eine mangelnde Eignung für die ausgeschriebene Professur bescheinigen sollten. Die Gutachter, darunter ein angesehener Soziologe aus München, schreckten selbst vor wahrheitswidrigen Behauptungen nicht zurück. So trug der Münchener Kollege vor, keiner der Kandidaten hätte jemals empirisch gearbeitet. Das war aber weder für die Professur entscheidend noch korrekt. Denn Demirovic war gut zehn Jahre am Institut für Sozialforschung beschäftigt und hatte dort auch an umfangreichen empirischen Untersuchungen teilgenommen.
Zusammen mit einem negativen Votum des Akademischen Senats und den Gegengutachten des Präsidenten gelangte die Liste schließlich doch noch zum CDU-geführte Wissenschaftsministerium. Mit zahlreichen Briefen ausländischer Kollegen sollte bis zuletzt auch die von Steinberg bestrittene Internationalität Demirovics nachgewiesen werden. Unter den Petenten fanden sich namhafte Wissenschaftler wie Judith Butler, Wendy Brown, Bob Jessop, Nancy Fraser, Iris Young, mehrere Wissenschaftler aus Brasilien, Türkei, Japan und Kanada. Doch auch das hatte letztlich keinen Erfolg. Das damals für die Berufung von Hochschullehrern noch zuständige Ministerium lehnte Demirovics Berufung ab. Inzwischen werden in Hessen die Professoren nur noch von den Hochschulleitern berufen (vgl. Demirovic: Demokratische oder autokratische Hochschule
Am Ende kann man nur sagen: Wer hat, der hat. Mittlerweile fährt die Hochschulleitung nach China, wird auf die Frankfurter Schule angesprochen, aber es gibt hier niemanden mehr, der das fachlich noch vertreten würde. So fragt sie dann plötzlich Wissenschaftler ganz anderer Herkunft zur Rettung des internationalen, längst vergangen Rufs der Universität, etwas in diese Richtung zu tun. Das ist wirklich bürokratisch von oben her gedacht, so als würde man einem Marxisten sagen, er solle sich in seiner Forschung die neoliberale Sozialstaatskritik von Hayeks zu eigen machen.
Eine Dozentin