Der Professorenschlag
Seite 3: Der kritische Geist erstickt
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Politisch motivierte Personalpolitik wie diese zielt selten allein gegen die Personen, deren Berufung als Hochschullehrer verhindert werden soll. Oftmals sind es die dahinter stehenden wissenschaftlichen Ansätze, Konzepte und Schulen, die dem Establishment missfallen. Waren es im Fall Demirovic die kritischen Ansätze der Frankfurter Schule, sind es an der Universität Marburg die neogramscianischen Forschungsansätze zur Internationalen Politischen Ökonomie (vgl. zur Einführung Christoph Scherrer: Internationale Politische Ökonomie) und die von Wolfgang Abendroth begründete kritische Analyse des globalen Kapitalismus. Zwei Forschungsschwerpunkte, welche die wissenschaftliche Karriere von Prof. Frank Deppe vom Marburger Institut für Politikwissenschaft neben anderen Themengebieten maßgeblich prägten und die er zusammen mit seinem Kollegen, Juniorprofessor Dr. Hans-Jürgen Bieling, zur Forschungsgruppe Europäische Integration (FEI) ausbaute.
Als 2006 an dem Institut ein Generationenwechsel anstand, waren vier Professuren neu zu besetzen, darunter auch die Nachfolge von Deppe, mit der eine Fortsetzung der Arbeit des FEI sichergestellt werden sollte. Berufungskommission und Fachbereich einigten sich bei einer Gegenstimme auf eine Dreierliste. Der Erstplatzierte, ein an der Universität Nottingham tätiger Wissenschaftler, wurde von Uni-Präsident Nienhaus sogar zur Berufungsverhandlung eingeladen. Die für die Ausstattung der Professur zur Verfügung stehenden Mittel waren aber so gering, dass sie mit der Konkurrenz kaum mithalten konnten. Eine Einigung gelang daher nicht. Der Erstplatzierte kehrte auf seinen Lehrstuhl in Nottingham zurück; wohl auch deswegen, weil die Berufungsverhandlung in einer „sehr unerfreulichen Gesprächs- und Verhandlungsatmosphäre“ geführt wurde, „die niemals den Eindruck aufkommen ließ, dass von Seiten des Präsidiums ein wirkliches Interesse an der Berufung dieses Wissenschaftlers nach Marburg bestünde.“
Immerhin gab es ja den Fall der letzten, vorangegangenen Berufung in der Politikwissenschaft, bei der der Erstplazierte der Liste ebenfalls ein ungenügendes Verhandlungsangebot ablehnen musste (wie er versicherte), während dem Drittplatzierten später ein [offenbar so günstiges – Anm.d.Red.] Angebot unterbreitet wurde, das den Erstplatzierten sogar zeitweilig zum Gedanken an eine Klage gegen die Philipps-Universität veranlasste. In diesem Fall lag auf jeden Fall die Vermutung nahe, dass die Universitätsleitung ihre Gründe hatte, den Erstplazierten nicht berufen zu wollen.
Aus einem Brief von Prof. Deppe an den Präsidenten der Philipps-Universität Marburg, Prof. Nienhaus
Eigentlich hätte nun die Aufnahme von Berufungsverhandlungen mit dem Zweitplatzierten, einem international gut vernetzten, thematisch qualifizierten und didaktisch begabten Wissenschaftler vom Wissenschaftszentrum Berlin, angestanden, zumal der Drittplatzierte zwischenzeitlich einen Ruf nach Frankfurt angenommen hatte. Statt dessen aber beschloss die Universitätsleitung, den ehemals von Deppe geleiteten Lehrstuhl komplett zu streichen und die dadurch frei werdenden Mittel als Verfügungsmasse für die Ausstattung der drei anderen Lehrstühle zu nutzen.
Späte Rache für '68
An diesem Verfahren ist zwar formal nichts auszusetzen, weil der Fachbereich regelmäßig keinen Anspruch darauf hat, dass eine freigewordene Stelle wieder auf gleiche Art verwendet wird. Allerdings steht die Entscheidung über die Verwendung der Stelle am Anfang jedes Berufungsverfahrens und legt sich die Hochschule mit der Ausschreibung einer Professur auch einklagbar auf die veröffentlichte Stellenstruktur fest. Eine Verwendungsentscheidung zugunsten der Nachfolge Deppes hatte es zu Beginn des Verfahrens gegeben. Die nachträgliche Streichung begründete Präsident Nienhaus – ähnlich seinem Kollegen Lenzen im Fall Scharenberg an der FU Berlin – damit, dass „die Ergebnisse des bisherigen Berufungsverfahrens [...] unter Qualitätsmerkmalen einer Prüfung nicht standhalten.“ Alles spricht indes dafür, dass die Streichung der Professur weniger aus kapazitären Gründen erfolgte als aus inhaltlichen. Der Wirtschaftswissenschaftler Nienhaus möchte sich keinesfalls mit linken Federn schmücken, selbst wenn es die eigenen sind; er will sie loswerden.
Dass der Marburger Universitätspräsident in der kritischen Tradition, in der sein Institut für Politikwissenschaft seit Wolfgang Abendroth steht, kein Potential für eine offensive Profilbildung im internationalen Ideenwettbewerb sieht, sondern eher ein Makel im Wettlauf um Forschungsgelder und Renome, stellt sich für Prof. Deppe als allgemeiner Trend in der Geistes- und Sozialwissenschaft dar. Dieser Rollback sei auch als späte Rache für '68 zu verstehen, als mit der Öffnung der Universitäten und dem Neugründungsboom der Ära Brandt für eine kurze Zeitspanne immer mehr kritische Köpfe auf die deutschen Lehrstühle gelangten.
Dazu hat ohne Zweifel beigetragen, dass die Einflussnahme der Studierenden und Assistenten auf die Berufungsverfahren und -entscheidungen im Zuge der Hochschulrevolte stetig stieg, was das Bundesverfassungsgericht 1973 in einer Grundsatzentscheidung dazu veranlasste, für alle Berufungsfragen eine besondere Mehrheit unter den Hochschullehrern vorzuschreiben. Auf diese Weise können die Professoren von den anderen Universitätsmitgliedern nicht mehr überstimmt werden.