Der Professorenschlag

Seite 4: Freiheit der Wissenschaft und politische Steuerung

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Angesichts solcher Beispiele erscheint die Forderung der Hochschulpräsidenten nach dem Berufungsrecht kaum als Fortschritt für die Hochschulautonomie, noch weniger für eine autonome Wissenschaft. Einige Bundesländer haben diesem Verlangen auch schon stattgegeben. Keinesfalls sind die Landesministerien frei von politischer Einflussnahme. Im Gegenteil, die Auseinandersetzungen in Berufungsfragen zwischen den Berliner Universitäten und den Wissenschaftssenatoren Manfred Erhardt und Peter Radunski in der Nachwendezeit sind legendär.

Allerdings passt sich die Forderung der Hochschulpräsidenten in einen Prozess umfassender Hochschulumstrukturierung ein, in dem die deutliche Tendenz besteht, die aufwändigen demokratischen Institutionen der akademischen Selbstverwaltung zugunsten von autoritären, marktorientierten Managementmodellen aufzugeben, die den Universitätspräsidien umfassende Handlungsspielräume selbst bei der Definition dessen einräumen, was in Zeiten knapper Kassen auch zukünftig als Wissenschaft förderungs- und damit überlebenswert gilt. Die Betroffenen werden dadurch von der Wahrnehmung ihrer Interessen ausgeschlossen.

Zwar erscheint der Verzicht der Wissenschaftsministerien auf eine Einmischung in die Berufungspolitik der Hochschulen zunächst als ein Gewinn an Hochschulautonomie. Diese ist aber nicht als Wert für sich zu verstehen, sondern steht im Dienste der Wissenschaftsfreiheit, die nicht nur die Institution Universität als Ganzes schützt, sondern vor allem die Tätigkeit ihrer Mitglieder. In Berufungsfragen können sich daher auch weniger die Hochschulpräsidenten auf die Wissenschaftsfreiheit berufen, als die Fachbereiche und Institute, deren Arbeit und Überleben von der Wiederbesetzung ihrer Stellen abhängt. Daher genießt auch deren Entscheidung, wer worüber wo forschen können soll, einen höheren Grundrechtsschutz.

Ein Eingriff in diese Freiheiten, wie es die Beanstandung oder Korrektur einer Berufungsliste darstellt, bedarf daher besonderer Legitimation und muss einem vorrangigen öffentlichen Zweck entsprechen. Eine Berechtigung des Staates und der für ihn handelnden Ministerien ergibt sich bereits daraus, dass dieser die meisten Professuren finanziert. Zudem sind auch die Hochschulen gesellschaftlichen Bindungen unterworfen. Daher kann man zwar an der politischen Einflussnahme durch die Ministerien berechtigte Kritik erheben, demokratietheoretisch sind diese dazu aber sehr viel eher dazu legitimiert als irgendein Universitätspräsident.

So geht denn auch das Bundesverfassungsgericht BVerfGE 15, 256, 264 f. davon aus, dass aufgrund der Verfassung „bei der Besetzung von Lehrstühlen das Vorschlagsrecht der Fakultäten und das staatliche Berufungsrecht miteinander verbunden sind.“

Der entscheidende Grundgedanke ist dabei, dass zwei Willensfaktoren bei einem Akt beteiligt sind, um in wechselseitiger Korrektur dessen größtmögliche Sachrichtigkeit zu erzielen. Dass das Grundgesetz hieran etwas hat ändern wollen, ist schon im objektiven Interesse der Forschung und Lehre selbst, aber auch der unverändert fortbestehenden Verantwortung des Staates für die Förderung der Wissenschaft, die Erziehung und auf dem Gebiet der Finanzen nicht anzunehmen.

BVerfGE 15, 256, 264 f.

Daraus ergibt sich, dass zwar den Fakultäten bzw. Fachbereichen kein unbeschränktes Berufungsrecht zusteht, andererseits aber auch der Staat bei der Berufung von Hochschullehrern keineswegs frei ist. Vielmehr stellt der Berufungsvorschlag der Hochschule einen maßgeblichen Willensakt dar, von dem nach der Rechtsprechung (z.B. OVG Lüneburg, Urteil vom 11.08.1982, Az.: 2A 181/76) nur aus schwerwiegenden Gründen abgewichen werden darf.

Zum anderen aber ist den Universitätspräsidien über eine Mitwirkung bei der Entscheidung über die Verwendung frei werdender Stellen hinaus auch verfassungsrechtlich kein eigenständiger Entscheidungsspielraum eingeräumt. Solange also die Präsidenten der Hochschulen nicht durch die Bevölkerung gewählt werden, stellt die Übertragung des Berufungsrechts auf diese eine unzulässige Beeinträchtigung der Wissenschaftsfreiheit der Fachbereiche dar und würde sich der Staat auf verfassungswidrige Weise wesentlicher Kernaufgaben entledigen.

Von den USA lernen

Schlechte Aussichten also für die Schnell- und Alleinentscheider in den deutschen Hochschulpräsidien, die ihre Einflussnahme nicht selten damit begründen, dass Personalentscheidungen über Professuren immer auch die Außendarstellung der Hochschule und damit ihren Verantwortungsbereich beträfen. Auch wenn es dabei meist ganz und gar nicht um große Personalpolitik geht, sondern um reine Gefälligkeiten. So mancher Mitarbeiter am Winckelmann-Institut der HU mag da an das ungewöhnlich starke Engagement seines Präsidenten denken, eine ganz bestimmte Frau auf einen Spitzenplatz der Berufungsliste zu setzen. Und wenn man den Flurgesprächen glauben darf, handelt es sich bei dieser nicht ganz zufällig um die Assistentin eines sehr guten Präsidentenfreundes. Wie schön, dass nicht jeder Skandal politisch motiviert ist.

Geschichten wie diese hört man hinter vorgehaltener Hand landauf, landab. Die Kette der Beispiele könnte fortgesetzt werden. Die meisten der hier beschriebenen Verfahren sind noch nicht abgeschlossen. Die Hochschulleitungen können sich eines Besseren besinnen. Die Scientific community sollte dies einfordern und tut dies gelegentlich auch. Oftmals aber ist sie im Elfenbeinturm viel zu weit entfernt vom Leben der anderen. Gute Bedingungen für autoritäre Personalpolitik.

Es wäre wirklich notwendig, etwas mehr Rationalität in die Nachwuchsrekrutierung an deuschen Universitäten zu bringen. So vieles wird aus den USA übernommen, leider nicht das dortige Muster der Nachwuchsgewinnung. Dies öffnet mittlerweile einer ideologischen Machtpolitik Tür und Tor, die oftmals wissenschaftsferner nicht mehr sein kann. Aber wahrscheinlich gilt dies auch für andere gesellschaftliche Bereiche.

Alex Demirovic