Der Staat als Selbstbedienungsladen der Politik

Seite 3: Systematische Verstöße gegen die Verfassung

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Doch über dieses Urteil setzen sich der Bundestag und die meisten Landtage einfach hinweg. Wenn ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts den politischen Parteien nicht in den Kram passt, dann gibt's nur eines: ignorieren, ignorieren, ignorieren.

Das Bundesverfassungsgericht hatte am Beispiel Thüringens Zulagen aus Steuermitteln an Funktionsträger wie stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Ausschussvorsitzende für verfassungswidrig erklärt, weil sie "gegen die Freiheit des Mandats und den Grundsatz der Gleichbehandlung der Abgeordneten" verstoßen. Das Urteil gilt auch für den Bundestag und die anderen Landtage. Dennoch werden im Bundestag und in den meisten Landtagen unverdrossen weiter Funktionszulagen gezahlt.

Die Länder mit den höchsten jährlichen Ausgaben für Zulagen sind Bayern (940.000 Euro), NRW (880.000 Euro), Niedersachsen (570.000 Euro), Baden-Württemberg (510.000 Euro), Rheinland-Pfalz (450.000 Euro) und Sachsen-Anhalt (310.000 Euro). Darin sind die Zulagen für Fraktionsvorsitzende noch nicht einmal enthalten.

Der Präsident des Landesrechnungshofs Sachsen-Anhalt und Vorsitzende der Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der Rechnungshöfe des Bundes und der Länder, Ralf Seibicke, erklärte in Bezug auf den Landtag in Sachsen-Anhalt: "Wir haben festgestellt, dass über die Hälfte der Abgeordneten Zulagen erhalten. Da kommt man ganz klar zu dem Ergebnis, dass das nicht mehr den Intentionen des Bundesverfassungsgerichts gerecht wird."

Die Landtagsfraktionen veröffentlichen nicht, in welcher Höhe sie Zulagen an einzelne Funktionsträger zahlen. Sie werden wissen, weshalb sie das nicht tun. Von Transparenz halten sie nicht viel, wenn es um die eigenen halbseidenen Einnahmequellen geht.

Viele Fraktionen geben diese Zahlen auch auf Anfrage nicht bekannt. Auf die Umfrage von "Report Mainz" unter den 63 Landtagsfraktionen der Flächenländer antworteten 35 Fraktionen mit konkreten Angaben, welche Funktionsträger welche Zulagen erhalten. 28 Fraktionen verweigerten konkrete Auskünfte. Aus den Rechenschaftsberichten der Fraktionen gehen aber in der Regel die Jahressummen hervor, die Fraktionen für Funktionsträger ausgeben.

Im Reich der reichlichen Zulagen

Auf Grundlage der Antworten der Fraktionen sowie der Rechenschaftsberichte ergibt sich eine Summe von 4,5 Millionen Euro jährlich. Diesen Betrag verteilen die Landtagsfraktionen aus Steuergeldern an ihre Funktionsträger in den Landtagen, obwohl es ein eindeutiges Verfassungsgerichtsurteil gibt, das ihnen das untersagt.

Die Höhe der jeweiligen Zulagen ist von Land zu Land und von Fraktion zu Fraktion unterschiedlich. So erhält ein Arbeitskreisvorsitzender der CSU in Bayern 2.000 Euro pro Monat zusätzlich zu seinen Diäten und Aufwandsentschädigungen, ein Arbeitskreisleiter der Linken in Sachsen-Anhalt bekommt 500 Euro. Ein stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD in Bayern bekommt 1.900 Euro, ein stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU Niedersachsen rund 3.000 Euro.

Die Abgeordneten aller Parlamente und ihre Parteien haben sich der repräsentativen Demokratie höchst komfortabel eingerichtet. Sie versorgen sich ungeniert aus dem reichen Füllhorn der öffentlichen Mittel und haben ein lebhaftes Interesse daran, dass ihnen diese Pfründe auch in Zukunft erhalten bleiben.

Den politischen Parteien ist aber auch kein noch so mieser Trick zu billig, wenn es darum geht, von irgendwoher Gelder in ihre Kassen gespült zu bekommen. Nachdem 2002 das Parteispendengesetz verschärft wurde und Parteispenden von über 50.000 Euro seither unverzüglich beim Bundestagspräsidenten angezeigt und anschließend veröffentlicht werden und Parteispenden über 10.000 Euro in den Rechenschaftsberichten der Parteien veröffentlicht werden müssen, haben die politischen Parteien eine neue Geldquelle entdeckt: das Sponsoring.

Und das geht so: Ein Unternehmen geht mit einem Informationsstand auf eine Parteiveranstaltung wie zum Beispiel einen Parteitag. Dort informiert es über seine Produkte, bietet Kaffee und Kuchen, Brezeln oder sonstige Leckereien gratis an.

Die Parteitagsdelegierten, die sich bei den endlos langen Reden sowieso zu Tode langweilen, können sich dort gratis bedienen. Alle sind glücklich. Die Delegierten wegen des Kuchens und die Unternehmen wegen der Chance, direkten Kontakt zu Entscheidern zu bekommen. So weit, so gut.

Für die Informationsstände allerdings zahlen die Unternehmen horrende Gebühren. So verlangte und bekam die FDP 2013 auf ihrem Parteitag in Frankfurt am Main pro Quadratmeter Standfläche 250 Euro. Die Internationale Automobilausstellung verlangt nur 150 Euro. Die Grünen verlangten auf ihrem Parteitag sogar 275 Euro, mehr als doppelt so viel wie die "Grüne Woche" (130) in Berlin. Und bei der SPD zahlten die Sponsoren mindestens 320 Euro pro Quadratmeter, fast zweimal so viel wie auf der Internationalen Funkausstellung (Ifa) (184 Euro).

Parteien machen auch Kohle mit Sponsoring

Diese Preise liegen weit über Marktniveau und sind anders als Spenden noch steuerlich absetzbar. Die SPD kassierte auf ihrem Parteitag mit Sponsoring rund eine halbe Million Euro. Es handelt sich in allen Fällen um eine illegale und verdeckte Form der Parteispende.

In den Rechenschaftsberichten kommt Sponsoring erst gar nicht vor. Die Sponsoringeinnahmen werden mit anderen zu einem Mischposten verrührt. Allein bei der SPD standen da 2011 insgesamt rund 18 Millionen Euro.

Nach Recherchen des TV-Magazins "Monitor" sind bei der CDU 250 Euro pro Quadratmeter ein normaler Preis. Für den Volkswagen-Konzern wäre das beim Bundesparteitag 2011 ein Betrag von fast 70.000 Euro. Als Parteispende müsste das sofort veröffentlicht werden, als Sponsoring-Einnahme nicht.

Und dann gibt es da noch Anzeigenwerbung in Parteizeitungen. Die meisten politischen Parteien geben mehrere Parteizeitschriften heraus. Für Anzeigen in ihren Mitgliederpostillen bekommen sie erstaunliche Preise. Zum Vergleich eine der bundesweit größten Mitgliederzeitschriften - die "Mieterzeitung". Pro tausend Exemplare kostet eine ganzseitige Anzeige bei der Mieterzeitung 18 Euro. Beim "Vorwärts" der SPD ist es wieder pro tausend Exemplare das Doppelte. Andere Parteizeitungen nehmen geradezu Mondpreise. Der Vergleichswert bei der CSU: 346 Euro. Das 19-fache der "Mieterzeitung" und immer noch das Sechsfache des "Spiegel".

Da es möglicherweise schlecht aussähe, wenn sich die politischen Parteien alle ihre Gelder aus einem einzigen Topf holen würden, haben sie sich darauf eingerichtet, Geld aus vielen verschiedenen Töpfen zusammenzuklauben. Da fällt es nicht so auf, welche Unsummen sie sich holen.

Das Familienministerium zahlt die Jugendorganisationen der Parteien

So lassen sich die Parteien ihre Jugendorganisationen natürlich aus dem Haushalt des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bezahlen. Dabei handelt es sich eindeutig um verkappte Parteienfinanzierung; denn die Gelder werden nicht für fröhliche Jugendförderung mit Lagerfeuerromantik verwendet, sondern für den Nachwuchs der politischen Parteien. So bekommen allein die Junge Union und die Jungsozialisten jeweils stolze 472.000 Euro, die Jungen Liberalen und die die Grüne Jugend je 164.000 Euro (Zahlen für 2011) und bescheren den politischen Parteien Jahr für Jahr zusätzliche 1,3 Millionen Euro. Lediglich die Jugendorganisation der Linken, Solid, bekommt kein Geld, weil sie im Ruche steht, verfassungsfeindliche Ziele zu verfolgen.

2012 schob das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg einen Riegel vor die rechtswidrige Praxis, nachdem die Jugendorganisation der Linken geklagt hatte. 2006 hatte Solid die Zuschüsse beantragt. Das Ministerium lehnte die Förderung ab, da es an der Verfassungskonformität der Organisation zweifelte.

Im Berufungsverfahren wies das Oberverwaltungsgericht die Klage nun ab, da es generelle Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Finanzierung aller Jugendorganisationen gebe. Wenn politische Jugendorganisationen vom Staat finanziell unterstützt werden, wirke sich das auf die politische Willensbildung aus.

Solid wollte eigentlich auch nur ein ordentliches Stück des Kuchens haben. Und als sie das nicht bekam, klagte sie beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, das dann erst einmal die Auszahlung für alle Jugendverbände der Parteien stoppte. Dumm gelaufen.

Nur wer die Trickserei der politischen Parteien beim Staatschröpfen nicht kennt, könnte jetzt meinen, die Jugendverbände der politischen Parteien bekämen nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts überhaupt keine staatlichen Gelder mehr bewilligt. Schließlich lässt der Wortlaut des Urteils keinen Zweifel.

Doch nur wer so kacknaiv ist, noch an die Verfassungs- und Demokratietreue der politischen Parteien zu glauben, kann das ernsthaft annehmen. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat natürlich schnurstracks seine Fördermittel zur Unterstützung der Jugendverbände von CDU, CSU, FDP, SPD und Bündnis 90/Die Grünen um 200.000 Euro gegenüber dem ursprünglichen Regierungsentwurf aufgestockt. Das erklärte die Bundesregierung in ihrer Antwort (17/5535) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke (17/5339).

Und der linke Jugendverband Solid einigte sich 2013 mit dem Bundesfamilienministerium auf einen Vergleich. Er bekam 160.000 Euro gezahlt. Damit sind sämtliche vom Jugendverband zwischen 2006 und heute gestellten Anträge auf Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt erledigt. Anträge des Verbands ab dem Haushaltsjahr 2014 wird das Ministerium auf derselben Rechtsgrundlage behandeln, die es auf Zuwendungsanträge anderer Jugendorganisationen politischer Parteien anwendet. Wer hat etwas anderes erwartet?

Man könnte die politischen Parteien gewissermaßen als Selbstversorger bezeichnen, weil sie darüber, wie sie versorgt werden, selbst entscheiden, wäre da nicht dieser etwas unschöne kleine Haken: Sie versorgen sich aus den Mitteln der Steuerzahler, das heißt, sie leben - gar nicht so schlecht - von "other people’s money (OPM)", vom Geld anderer Leute. Und aus lauter Dankbarkeit richten sie dieses Land zu Grunde…

Der Teil 8 unserer demokratiekritischen Artikelreihe beschreibt die entwickelte repräsentative Demokratie als "eine Scheindemokratie im institutionellen Gehäuse einer vollwertigen Demokratie". Alle Institutionen sind leere Hülsen ohne Inhalt und ohne Substanz. Die Parlamente haben nichts mehr zu entscheiden, was nicht an anderer Stelle und vor ihnen längst entschieden wurde. Die Wahlkämpfe sind zu großangelegten Schaukämpfen verkommen, in denen außer Schaumschlägerei nichts passiert.