Der Sympathie-Faktor: Wie die Nato die Köpfe und Herzen der Europäer gewinnt
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Zustimmung zur Nato war in Europa immer hoch, nicht erst seit dem Ukraine-Krieg. Das hat seinen Grund. Wie die Militärallianz als Netzwerk und Influencer operiert.
Die Europäer haben insgesamt eine positive Grundhaltung gegenüber der Nato. In Deutschland zum Beispiel erklären bei Umfragen deutlich über 50 Prozent der Befragten seit 15 Jahren, dass sie eine gute Meinung von dem westlichen Militärbündnis haben.
Steigende Werte durch Alarmstimmung
Die Umfragewerte sind dabei durchaus Schwankungen unterlegen. Während nach Ausbruch der Ukraine-Krise 2014, den Maidan-Protesten und dem Sturz der Janukowitsch-Regierung die Zustimmung der Deutschen bei 55 Prozent lag, stieg sie mit Beginn des russischen Ukraine-Kriegs in 2022 auf 69 Prozent. 2024 ging dieser Wert dann wieder auf 64 Prozent zurück.
In Frankreich liegen die Werte insgesamt unter den deutschen und der Effekt des Ukraine-Kriegs auf die öffentliche Meinung ist abgeschwächter. So gaben im Jahr 2020 50 Prozent der Franzosen an, die Nato positiv zu sehen, 2023 stieg der Wert auf 56, um in diesem Jahr auf 54 Prozent zu sinken.
Die Zunahme an Zustimmung zur Nato seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs hat sicherlich mit einem wieder erwachten Bedrohungsgefühl gegenüber Russland zu tun, das nicht zuletzt von großen Teilen der Medien und der Politik durch Alarmstimmung genährt wird. Das Narrativ ist dabei, dass Europa sich in einem neuen Kalten Krieg mit Moskau befindet und die Nato der einzige Weg ist, sich militärisch gegen die imminente Gefahr aus dem Osten zu schützen.
Blackout: Debatte über Sinn der Nato
Jenseits des jüngsten Attraktivitätsschubs für die Militärallianz durch den Ukraine-Krieg stellt sich jedoch die Frage, warum die Nato seit dem Ende des Kalten Kriegs Anfang der 1990er-Jahre, als die sowjetische Bedrohung verschwand, relativ konstant einen derart guten Ruf genießt. Die Zustimmungswerte waren ja auch vor der Ukraine-Krise bereits hoch.
Ein wesentlicher Grund dafür ist sicherlich, dass es eine offene Debatte über Sinn und Unsinn der Nato auf der politischen Bühne in Europa seit den Friedensprotesten in den 1980er-Jahre nicht mehr gegeben hat. Damals wurde diese Debatte durch politisch-mediales Gegenfeuer schnell beendet. Die Frage, ob die Nato den Kontinent tatsächlich sicherer macht oder Teil des Problems ist, stand und steht ebenso wenig auf der Agenda wie eine Diskussion über den Realitätsgehalt der russischen Bedrohung sowie Alternativen zur Nato-Aufrüstung.
Zugleich werden die militärische Ausrichtung der Nato, die illegalen Kriege, die hohen Kosten des Bündnisses, die atomaren Risiken und die Umweltschäden von immer größeren gesellschaftlichen Kreisen als unvermeidbar akzeptiert. Nach einer anderen, nachhaltigeren und inklusiveren Strategie für Europas Sicherheit zu suchen, wie sie der französische Präsident Charles de Gaulle ins Spiel brachte – eine Sicherheitsarchitektur, die Russland einbindet, unabhängig von den USA –, wirkt heute wie ein Projekt von einem anderen Stern.
Die zweifache Legitimationsstrategie
Alle großen Parteien in Europa unterstützen meist kritik- und bedingungslos die Nato, inklusive der Sozialdemokraten und Grünen (in Deutschland schwenkten letztere nach der Kosovo-Debatte rund um Außenminister Joschka Fischer in die Nato-Linie ein). Die Leitmedien lassen in der Berichterstattung ebenfalls keinen Zweifel daran, dass das Bündnis alternativlos und notwendig ist.
In diesem engen Debattenraum können sich Nato-kritische Stimmen, linke Parteien, die weiter eine Überwindung der Nato fordern, und die breiten, international ausgerichteten Anti-Nato-Bewegungen praktisch kein Gehör verschaffen. Da sie keinerlei Resonanz in Medien und Politik finden, verhallen die Einwände meist wirkungslos.
Die Wissenschaftlerin Merje Kuus von der University of British Columbia in Kanada spricht von einer "zweifachen Legitimationsstrategie", mit der die Nato versucht, das Militärbündnis für die Europäer attraktiv zu machen. Erstens werde die Nato als gewöhnlich und unauffällig, als langweilig und alltäglich dargestellt, und zweitens stelle man sie als über jeden Vorwurf erhaben, als lebenswichtig und als absolutes moralisches Gut dar.
Dies führe dazu, dass die Nato gleichzeitig banalisiert und verherrlicht werde: Sie erscheint als derart bürokratisch, dass sie außerhalb jeglicher Debatte stehe, und sie sei zugleich "existenziell und essenziell", womit sie über allen Debatten stehe.
Feministischen Außenpolitik à la Nato
In jüngster Zeit konzentriert man sich darauf, dem Bündnis ein feministisches Gesicht zu geben, man spricht von einer "New Feminist Foreign Policy", einer feministischen Außenpolitik, die sich insbesondere die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock auf die Fahnen geschrieben hat.
Diese neue Ausrichtung, die auch von Frankreich, den Niederlanden, Luxemburg und Spanien übernommen wurde (Schweden hatte das Modell schon 2014 eingeführt), verleiht dem kosmopolitischen Militarismus einen feministischen Anstrich und macht das Politikfeld Krieg und Sicherheit für Frauenrechtsaktivist:innen und progressive Strömungen interessant.
Die Nato hat dafür die "Women, Peace, and Security Agenda" gegründet. Mit der Kampagne will die Nato öffentlichkeitswirksam unterstreichen, dass man für Frauenrechte steht, sowohl bei den Einsätzen als auch innerhalb der eigenen Strukturen.
Und das kann man durchaus glaubwürdig vermitteln. So traten auf einer Veranstaltung der Nato-Frauen-Agenda auf dem Nato-Gipfel in Madrid 2022 die allesamt weiblichen Außen- und Verteidigungsministerinnen von Kanada, Norwegen, Schweden, Großbritannien, Island, Slowenien, Deutschland und Belgien zum Fototermin zusammen, siehe oben das Artikelbild.
Jolie und Stoltenberg
Sie verkörperten perfekt die erwünschte Nato-Botschaft: Seht her, hier stehen die nüchternen Feministinnen als das sichtbare Gegenstück zu den autoritären "starken Männern", den Putins und den Xis.
Bereits im Januar 2018 organisierte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg eine außergewöhnliche Pressekonferenz mit Angelina Jolie. Während das Magazin InStyle berichtete, dass Jolie "ein schwarzes schulterfreies Etuikleid, ein passendes kurzes Cape und klassische Pumps (ebenfalls schwarz) trug", gab es einen tieferen Grund für dieses Treffen: sexuelle Gewalt im Krieg.
Stoltenberg und Jolie hatten gerade einen gemeinsamen Artikel für den britischen Guardian mit dem Titel "Why Nato must defend women's rights" veröffentlicht. Auf dem Höhepunkt der #MeToo-Bewegung war das mächtigste Militärbündnis der Welt zu einem feministischen Verbündeten geworden.
"Die Beendigung der geschlechtsspezifischen Gewalt ist eine wichtige Frage des Friedens und der Sicherheit, aber auch der sozialen Gerechtigkeit", heißt es in dem Stoltenberg-Jolie-Artikel. "Die Nato kann bei diesen Bemühungen eine führende Rolle spielen."