Der Target-2-Hoax

Seite 4: Fall 3: Kauf von Staatsanleihen im EU-Ausland

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Wenn eine italienische Bank bei einer deutschen Bank Staatsanleihen kauft, fließt Geld nach Deutschland, und die italienische Notenbank verbucht ein Minus.

Warum soll die italienische Notenbank dann Schulden bei der Bundesbank haben? Auch das ist absolut widersinnig. Die Schulden hat der jeweilige Staat, der Staatsanleihen ausgegeben hat, bei deren Inhabern. Punkt.

Die Austrittsfrage und politische Nebelkerzen

Bemerkenswert ist zunächst, wie widersprüchlich die Darstellungen des angeblichen Problems sind.

Die Deutsche Bundesbank sieht gar kein Problem, sondern nur eine buchungstechnische Zahl, aber weder Forderung noch Schulden. Andererseits widerspricht sich EZB-Präsident Draghi, weil er 2017 im EU-Parlament behauptete, dass Italien 426 Milliarden € an die EZB zahlen müsse, wenn z.B. die Movimento 5 Stelle es wagen sollte, aus dem Euro auszusteigen.

Sollte Podemos in Spanien die nächste Wahl gewinnen und aus dem Euro aussteigen, müsste nach Draghis Logik Spanien 389 Mrd. € an die EZB zahlen. Sollte in Frankreich entweder der Front National oder Mélenchons neue Partei "La France insoumise" die nächste Wahl gewinnen (und die Chancen dafür steigen immer weiter) und aus dem Euro austreten, müsse Frankreich über 100 Mrd. € zahlen. Das 10-Millionen-Volk der Griechen wäre mit 46 Mrd. € dabei. Das wäre pro Kopf so viel, als müsse Deutschland 368 Mrd. € zahlen.

Das sind nicht nur völlig absurde Zahlen. Das entbehrt - siehe oben - auch jeglicher Rechtsgrundlagen und Logik. Draghi wirft hier eine durchschaubare politische Nebelkerze, um das Auseinanderfallen der Eurozone zu verhindern. Genau genommen: Um sie hinauszuzögern. Denn an den Ursachen des Target 2 Ungleichgewichts ändert sich nichts: Der Euro ist für Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit zu billig und für Südeuropa zu teuer.

Eine unvollständige Statistik

Target 2 ist nichts als eine unvollständige Statistik von begrenzter Aussagekraft. Es fehlt zum Beispiel der direkte Bargeld-Transfer. Wenn ein Italiener, Franzose oder Spanier mit einem Geldkoffer nach Luxemburg fährt (Kapitalflucht, siehe oben) und dort ein Konto eröffnet, ist das der gleiche Betrag, also ob er über die EZB laufen würde. Nur werden Bargeldtransfers dort überhaupt nicht verbucht.

Eine noch größere Irrelevanz hat Target 2 durch die Nicht-Berücksichtigung von Überweisungen aus dem nicht-Euro-Ausland. Mit den USA und dem Rest der Welt gibt es ebenfalls Exportüberschüsse, auch bei anderen Ländern gibt es Kapitalflucht und Staatsanleihenverkäufe, aber keine Target-Buchungen.

Und schließlich könnte sich künftig der direkte Finanztransfer durchsetzen, also über Paypal, Skrill, Kryptowährungen, Azimo, TransferGo, TransferWise, Revolut, Western Union, & Co. Nichts davon läuft über das Target-System.

Forderungen fällig stellen bedeutet Ende des Euro

Die FAZ-Autoren, das Autoren-Duo Weik & Friedrich und praktisch alle Target 2 Kritiker würden die angeblichen "Forderungen" gern fällig stellen, um den erfundenen Vermögensverlust zu vermeiden. Aber was würde dann passieren?

Da die betroffenen Zentralbanken im Euro-System nicht mehr die Möglichkeit haben, Geld in ihrer Währung zu drucken, wären sie zahlungsunfähig. Würde man die Staaten als Eigentümer in Haftung nehmen, gäbe es den Massenstaatsbankrott. Damit wären wir bei Weik & Friedrichs Wunsch "Der Crash ist die Lösung" - wobei es keine Lösung wäre, weil sich an den strukturellen Schwächen der Defizitländer gar nichts ändert und sich nach dem Reset die gleichen Defizite wieder neu aufbauen. So produktiv wie Deutschland werden Spanien, Italien, Griechenland, Portugal und auch Frankreich zumindest in den nächsten Jahrzehnten nicht (wer weiß, wie später die Digitalisierung die Karten neu mischt).

Wer Target 2 -"Salden" fällig stellen will, hat nicht über die Konsequenzen nachgedacht: Massenhafte Staatsbankrotte (bei denen die Gläubiger leer ausgehen), ein Neuanfang mit den früheren Währungen und damit das Ende des Euro. Dabei wäre Deutschland der große Verlierer. Denn dann sind nicht nur die echten Kredite verloren.

Da Wechselkurse grundsätzlich im Verhältnis zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit stehen, würde das bedeuten: Die D-Mark würde erheblich aufgewertet. Eine Aufwertung auf 130% wäre eher die Untergrenze. Der Kurs von Drachmen, Lira und Peseta würde mindestens um ein Drittel abgewertet. Dann wären zum Beispiel Autos aus Deutschland für die Griechen, Italiener und Spanier doppelt so teuer, während Importe nur noch die Hälfte kosten. Auch gegenüber Frankreich, Großbritannien, den USA, China etc. wird die D-Mark viel teurer. Dann würde Deutschlands Exportüberschuss ganz schnell zu einem Defizit. Deutschlands bisheriges Geschäftsmodell würde nicht mehr funktionieren.

Fazit

Es ist völlig unzutreffend, wenn Spiegel, FAZ und andere behaupten, die Bundesbank würde auf einer Billionen-Forderung sitzenbleiben und ein "gewaltiges Problem" haben. Forderungen existieren nicht, und wie hoch die Clearing-Differenzen sind, ist für die Bundesbank völlig egal. Die "Bombe" ist ein Blindgänger. Selbst Hans-Werner Sinn räumt ein, dass die "Forderung" wertlos ist und man sie daher abschreiben muss. Wobei es gar nichts abzuschreiben gibt, da - siehe oben - keine Forderungen existieren.

Target 2 ist lediglich eine öffentliche, ungenaue und unvollständige Clearing-Statistik und ein Beleg dafür, dass Deutschland vor allem durch Exportüberschüsse Kaufkraft aus anderen Ländern absaugt und den Rest Europas destabilisiert. Deutschland ist also nicht Opfer, sondern Täter.

Es ist verständlich, wenn interessierte Kreise ihre Bücher, Zeitungen und Geldrettungsseminare durch Panikaussagen verkaufen wollen. Aber: Nichts wird passieren. Jedenfalls nicht durch Target 2, das nur eine Folge, aber keine Ursache eines fehlkonstruierten Systems ist.

Jörg Gastmann, Jahrgang 1964, lebt in Bergisch Gladbach und ist Sprecher der NGO economy4mankind.org, die das alternative Wirtschaftssystem "Economic Balance System" vertritt. Bereits in den 80er Jahren wunderte er sich beim Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum über die Widersprüche zwischen Volkswirtschaft und Betriebswirtschaft. Von 2009-2011 war er Bundesvorsitzender der Kleinpartei "Deutsche Demokratische Partei ddp", die als "Partei zur Entmachtung der Parteien" (Telepolis berichtete) an drei Landtagswahlen teilnahm (die Partei wurde 2014 von den Nachfolgern aufgelöst).

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