"Der Teufel ist ein kristallklarer Theologe"

Seite 4: Fehlbesetzung in der Glaubenskongregation: Wie lange noch?

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Gerhard Ludwig Müllers Dogmatik

Die Glaubenskongregation, Nachfolgerin der Theologenpolizei aus finsteren Zeiten, sorgt einstweilen dafür, dass das Lehrgebäude kristallklar bleibt. Hier mag man z.B. keine selbstbewussten Nonnen und Theologinnen, die allzu kreativ ein soziales Evangelium leben und unerlaubte Fragen stellen. Präfekt dieser Kongregation ist seit Juli 2012 der ehemalige Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller.

In diesem Jahr hat Franziskus ihn in das Kardinalskollegium aufgenommen und ein freundliches Geleitwort zu seinem Buch "Armut" beigesteuert. Der besagte Buchtitel, in dem kaum die Hälfte der Seiten von dem per Umschlag ausgewiesenen Autor stammt, hat erneut das Gerücht genährt, Gerhard Ludwig Müller sei eigentlich ein Befreiungstheologe. Auf mich persönlich hat die Lektüre indessen eher wie ein ziemlich langweiliger Vortrag über kirchliche Soziallehre gewirkt.

Besondere Initiativen der Glaubenskongregation zugunsten der Kirche der Armen, etwa ein Gutachten zum Martyrium im Einsatz für Gottes leibhaftige Ebenbilder auf der Erde, sind bislang nicht bekannt geworden. Zu Müllers Gunsten spricht, dass ihn die Traditionalisten vom Rechtsaußenrand nicht mögen.

Die von Gerhard Ludwig Müller seit Antritt seines Bischofsamtes in Regensburg praktizierte "Befreiungstheologie" findet man dokumentiert z.B. in den Büchern "Zum Wohl der Kirche" (2007) von Fritz Wallner und "Kirchlicher Rechtsweg" (2012) von Johannes Grabmeier. Im Kern bestand die befreiende Bistumspraxis aus einer Kriegführung gegen unliebsame Laien und einer neuen Monologkultur.

2011 verbot Bischof Müller auch dem katholischen Intellektuellen und ehemaligen ZdK-Vorsitzenden Hans Maier einen Auftritt in kirchlichen Räumen. Katholischen Gruppen, die sich nicht aus Kirchensteuern finanzieren und doch auf Kirchentagen dabei sein wollen, hat Müller 2012 eine "parasitäre Existenzform" bescheinigt.

Zu einer Chronik mit weiteren Freundlichkeiten dieser Art gehört auch die bischöfliche Maßregelung von Theologieprofessoren mit moderater Reformorientierung. Bekannt geworden ist Müllers Klage, die Medien verstärkten durch ihre Berichterstattung eine Pogromstimmung (!) gegen die Kirche. Als sein besonderer Einsatz für eine arme Kirche wurde zuletzt ironisch die mutige Fürsprache des Glaubenspräfekten zugunsten von Franz-Peter Tebartz-van Elst bewertet.

1995 hat Gerhard Ludwig Müller eine "Katholische Dogmatik" veröffentlicht. Die mir vorliegende 8. Auflage ist vom Herder-Verlag sehr passend in hohe, blau eingefärbte Kathedralen-Mauern eingebunden worden. Die dogmengeschichtlichen Anteile folgen bisweilen einem bemerkenswerten Muster. Der frühe Kirchenschriftsteller X hat etwas angedeutet, der heilige Kirchenvater Y hat es unter notwendigen Korrekturen klar ins Licht gerückt und Synode Z (alternativ ein Papst) hat es ein für alle Mal geklärt.

Wahrheit hat im Rückblick immer derjenige erkannt, dessen Nachsinnen mit dem amtlichen Endergebnis der Wahrheitsfindung übereinstimmt. Ausgeschlossen ist, dass die Lektüre dieses Buches einen im Katechismus gefestigten Leser in irgendeiner Weise verunsichern wird.

In Müllers Dogmatik findet man auch ein Kapitel "Das Sakrament der Ehe". Es liest sich so trübselig, dass es wohl kaum einen Lutheraner von der Sakramentalität des Liebesbundes zweier Menschen überzeugen wird. Zum Thema hat sich der Autor im letzten Jahr auch in der Funktion des obersten Glaubenswächters zu Wort gemeldet, als sich eine offene kirchliche Debatte über den Sakramenten-Empfang wiederverheirateter Geschiedener abzeichnete.

In dem von ihm veröffentlichten Kuriendokument werden die orientalischen Kirchen scharf attackiert, da ihre seit alters her geübte Praxis - womöglich aufgrund zu großer Staatsnähe - die "absolute (!) Unauflöslichkeit der Ehe" verleugne. (Dass der Ostkirche an dieser Stelle vielleicht eine tiefere Mystik des Erbarmens hilfreich zur Seite steht, kommt dem aggressiven Oberlehrer der Lateiner nicht in den Sinn.)

In der Sache gehe es um eine zweifelsfrei erwiesene "göttliche Norm", "über die die Kirche keine Verfügungsgewalt hat" - auf Teufel komm raus: Nein! Lob kommt für wiederverheiratete Kirchenmitglieder, die sich zumindest um Verständnis für die kirchenamtliche Lehre bemühen und an das Kommunionverbot der Hierarchie halten.

Allerdings bringt Müller in seinem Text dankenswerterweise nicht, wie jüngst der neue Passauer Bischof Stefan Oster in einem Interview, ein gewisses Bibelwort ins Spiel: "Wer mein Jünger sein will, der nehme sein Kreuz auf sich." (Peinlicher als im genannten Interview geht es nicht mehr.)

Im Vorfeld der jüngsten Bischofssynode erschienen auch noch Berichte über die gezielte Veröffentlichung eines Buches, zu dessen Autoren neben anderen Spitzenblockieren aus der Kurie wiederum Kardinal Gerhard Ludwig Müller gehört.

Rom wird sich noch wundern, wie viele Energien der Glaubenspräfekt aus Deutschland der Kirche beim Versuch einer Aufarbeitung von Altlasten entziehen wird - Energien, die beim Aufbruch hin zu einer Weltkirche für die Armen und eine menschliche Zukunft dringend benötigt werden. Was immer auch Franziskus dazu bewogen haben mag, den Glaubenswächter seines Vorgängers zu bestätigen, diese Geschichte kann nicht gutgehen.

Mit Kardinal Müller wird es, so ist am ersten, dogmatisch vergleichsweise unproblematischen Exempel erwiesen, keine Öffnung geben. Wenn er auf seinem derzeitigen Thron bleibt, setzt sich der Bischof von Rom dem Verdacht aus, es sei ihm selbst am Ende mit einer Öffnung nicht besonders ernst.