Der Urzustand des Universums

Auf der Suche nach dem Quark-Gluon-Plasma

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Selbst in einer naturwissenschaftlichen Paradedisziplin wie der modernen Physik sind viele Dinge umstritten und keineswegs bewiesen. Doch über einige grundsätzliche Annahmen ist sich die Mehrheit der Forscher wenigstens einig. So soll das Universum kurz nach dem Urknall vor etwa 14 Milliarden Jahren aus einer kosmischen Ursuppe bestanden haben, die mit subatomaren Elementarteilchen, den sogenannten Quarks und Gluonen, angefüllt war. Aus diesem Quark-Gluon-Plasma, das millionenfach heißer als die Oberfläche unserer Sonne und etwa 20 Mal dichter als ein normaler Atomkern war, entstanden innerhalb von Sekundenbruchteilen größere Partikel, die sich schließlich zu Protonen und Neutronen weiterentwickelten.

Kollisionen von Gold-Ionen am Relativistic Heavy Ion Collider des Brookhaven Lab

Seit Jahren bemühen sich Physiker aus aller Welt darum, diesen Urzustand des Universums, in dem sich die später fest im Atomkern verankerten Grundbausteine der Materie noch frei bewegen konnten, unter Laborbedingungen nachzubilden. Einem internationalen Forscherteam mit 350 Wissenschaftlern von mehreren Dutzend Universitäten scheint vor wenigen Wochen ein entscheidender Durchbruch gelungen zu sein. Im Verlauf ihrer Testreihen am eigens für diese Untersuchungen errichteten Schwerionen-Beschleuniger des Brookhaven National Laboratory in Upton könnten sie das mysteriöse Quark-Gluon-Plasma tatsächlich künstlich erzeugt haben.

Während der Experimente am Relativistic Heavy Ion Collider (RHIC), dem derzeit leistungsstärksten Schwerionen-Beschleuniger der Welt, wurden Gold-Atomkerne mit annähernder Lichtgeschwindigkeit frontal aufeinander geschossen, wodurch nach Auskunft der Wissenschaftler kurzfristig eine extrem hohe Dichte der Zerfallsteilchen entstand und Temperaturen von über einer Billion Grad Celsius erreicht wurden (Ungenießbare kosmische Ursuppe). In diesem schmalen Zeitfenster könnten sich die Quarks für einige Mikrosekunden aus den Neutronen und Protonen herausgelöst und das Quark-Gluonen-Plasma gebildet haben. Das würde immerhin auch erklären, warum sich beim Zusammenstoß eines Gold-Atomkerns mit leichteren Atomkernen zwei Teilchenschauer bildeten, während sich bei der Gold-Gold-Kollision nur ein Teilchenschauer registrieren ließ und der andere möglicherweise vom dichten Plasma "geschluckt" wurde.

Klaus Reygers, der zusammen mit Rainer Santo ein Forschungsteam des Instituts für Kernphysik der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster leitete, erklärt auf Nachfrage von Telepolis, dass zumindest "starke Indizien" für einen bahnbrechenden wissenschaftlichen Erfolg sprechen:

Natürlich sind noch viele Kollegen skeptisch, und von einem endgültigen Beweis können wir in der Tat bisher nicht sprechen. Aber ein Vergleich unterschiedlicher Kernkollisionen weist doch darauf hin, dass während des besagten Experiments ein neuer Phasenzustand erreicht wurde.

Reygers war für die Messung neutraler Pionen verantwortlich, die wegen ihrer geringen Masse besonders häufig produziert werden. Nach der Auswertung der Versuche stand fest, dass bei der Kollision der Gold-Atomkerne in etwa so viele Pionen entstanden waren, wie es die Forscher bei der Bildung eines Quark-Gluon-Plasmas vermutet hätten.

Doch damit sind die Bemühungen der Physiker noch lange nicht beendet. Nachdem die insgesamt dritte Versuchsreihe abgeschlossen ist - erste spektakuläre Ergebnisse eines Experiments mit Bleiatomen wurden bereits im Jahr 2000 aus dem Europäischen Kernforschungszentrum CERN vermeldet -, sollen Ende des Jahres neue Experimente folgen. Die Physiker werden sich zu diesem Zweck erneut über mehrere Wochen treffen und ihre Untersuchungen im 24 Stunden-Schichtdienst fortsetzen:

Wir brauchen unbedingt eine große Anzahl von Gold-Gold-Kollisionen, um den statistischen Aussagewert weiter zu erhöhen. Ob wir ein Quark-Gluon-Plasma wirklich im Labor herstellen können, werden wir erst nach vielen weiteren Messungen genau wissen.

Dass die folgenden Untersuchungen zentrale Fragen nach der Entstehung des Universums beantworten und damit einen uralten Menschheitstraum erfüllen könnten, ist Klaus Reygers durchaus bewusst:

Wir tasten uns langsam an den Urknall heran. Ja, man kann vielleicht sagen, wir sind nur noch eine Millionstel Sekunde von ihm entfernt. Wenn Sie mich fragen, ob wir da ein Quark-Gluon-Plasma erzeugt haben, würde ich antworten: es sprechen viele Details dafür. Ganz ehrlich gesagt, würde ich sogar darauf wetten wollen. Aber das ersetzt natürlich noch keinen abschließenden wissenschaftlichen Beweis.

Trotzdem steht Reygers mit seiner optimistischen Einschätzung nicht allein. Für Raymond L. Orbach, Direktor des Wissenschaftsbüros im amerikanischen Energieministerium, sind die bisherigen Ergebnisse schon jetzt von "fundamentaler Bedeutung" und das gleich unter mehreren Gesichtspunkten: "Die Menschen waren immer fasziniert von der Frage, wie unsere Welt entstanden ist. Und immer, wenn etwas Fundamentales gelernt wird, profitiert eventuell die ganze Gesellschaft davon, entweder durch das Wissen selbst oder durch die Technologie, die entwickelt wird, um in seinen Besitz zu kommen."