Der Widerstand der Juristen
Seite 3: Die Stunde der Legislative
Schon im März 2020 warnten Juristen, dass die Übertragung von Entscheidungskompetenzen der Länder durch den Bundestag auf das Gesundheitsministerium sehr viel schwerwiegender sei als die massiven Grundrechtseingriffe. Durch das Infektionsschutzgesetz habe der Gesetzgeber die "Gesetzesbindung von Regierung und Verwaltung weitgehend zur Disposition gestellt", schrieben die Rechtsprofessoren Klaus Ferdinand Gärditz und Florian Meinel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ).
Der Deutsche Bundestag habe "am 25. März 2020 den Löffel abgegeben", schrieb Heribert Prantl im November in der Süddeutschen Zeitung. Es sei zwar richtig gewesen, "die epidemische Lage von nationaler Tragweite" festzustellen, "aber die damit verbundene freiwillige Selbstentmachtung war falsch, gefährlich und anhaltend schädlich".
Der gerade in das Infektionsschutzgesetz eingefügte Paragraph 5 Abs. 2 ermächtigt nämlich den Gesundheitsminister, durch Rechtsverordnung von verschiedenen anderen Gesetzen abzuweichen, wie das Arzneimittelgesetz, das Apothekengesetz, das Betäubungsmittelgesetz und andere Gesetze im Gesundheitswesen. Die Legislative hat damit ihr Gestaltungsrecht und ihre Gestaltungspflichten an die Exekutive abgegeben und sich aus der Verantwortung der unmittelbaren Krisenbewältigung gestohlen. In ganz anderen Zusammenhängen hat das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung aus dem verfassungsrechtlichen Vorbehalt des Gesetzes gefolgert, dass wesentliche Entscheidungen vom Gesetzgeber selbst zu treffen sind und nicht an die Exekutive delegiert werden dürfen.
Im GG steht nicht, dass in der Not die Stunde der Exekutive schlägt
Das gilt auch für die Grundrechtseinschränkungen in Corona-Zeiten. Niemand wird anzweifeln, dass es sich hier um wesentliche Entscheidungen handelt. Es ist zwar populär zu sagen, dass in der Not die Stunde der Exekutive schlägt. Das steht jedoch nicht in der Verfassung und widerspricht ihr. Artikel 80 des Grundgesetzes bindet die Rechtsverordnungen der Verwaltung strikt in ihrer Zielsetzung und Reichweite an den parlamentarischen Gesetzgeber. Das ist nicht nur ein Erfordernis des Rechtsstaats, sondern eine der Grundlagen des demokratischen Regierungssystems, das die Rückbindung der Verwaltung an den demokratischen Mehrheitswillen sichert.
Ein Corona-Kabinett bei der Kanzlerin und eine "Konklave" der Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin, die über die Grundrechtsbeschränkungen entscheiden, sind in der Institutionenordnung des Grundgesetzes nicht vorgesehen und widersprechen ihr. Daher bestehen auch verfassungsrechtliche Bedenken gegen den im November 2020 neu formulierten Paragraphen 28a im Infektionsschutzgesetz. Er nennt zwar in 17 Punkten eine Auswahl von Einzelmaßnahmen, die die Verwaltung zum Schutz der Bevölkerung erlassen können.
Diese Punkte sind aber in ihren Voraussetzungen und Zielen außerordentlich vage und vor allem in ihrem Ausmaß völlig unkalkulierbar, da sie alle gleichzeitig ergriffen werden können. Gerade in gesellschaftlichen Notlagen soll die Gesetzesbindung der Exekutive den Machtmissbrauch und die Etablierung einer unterparlamentarischen Rechtsordnung verhindern. Unsere historischen Erfahrungen mit einem untergesetzlichen Verordnungsrecht in Zeiten der Not hat diese enge Gesetzesbindung in das Grundgesetz gebracht. Sie sollte mit besonderer Sensibilität beachtet und behütet werden.
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