Der Widerstand der Juristen

Seite 5: Daseinsvorsorge in öffentliche Hand!

Die immer wieder bestätigte Erkenntnis, dass dieser Bereich der Daseinsvorsorge in öffentliche Hand gehört, um ihn nach medizinischen und sozialen Kriterien statt nach Rendite-Interessen zu steuern, kann sich offenbar nicht gegen den neoliberalen Marktkonsens durchsetzen. Ihre Umsetzung in praktische Politik wäre zumindest ein Ansatz zur Lösung.

Oft meint der hilfesuchende Blick nach Ostasien dort Beispiele für konsequente Anwendung des Lockdowns zu finden. Richtig daran ist nur, dass viele der Länder, insbesondere die Volksrepublik China, Japan, Südkorea und Taiwan besser durch die Pandemie gekommen sind als die Länder Westeuropas. Doch wahr ist auch, dass man in diesen Ländern in letzter Zeit ohne flächendeckenden Lockdown ausgekommen ist:

"Was hierzulande nur noch ein Wunschtraum scheint, bleibt in weiten Teilen Ostasiens Realität: das Alltagsleben läuft dort weiterhin weitgehend normal ab", schrieb der Sinologe Dominic Sachsenmaier Ende Januar in der FAZ. "In den meisten Ländern bleiben Restaurants und Geschäfte mit einigen Einschränkungen geöffnet; auch die Schulen und Kindergärten sind seit dem Frühjahr nicht vollständig geschlossen worden." Auch in den Wintermonaten blieben demnach die Fallzahlen in vielen Ländern unter dem europäischen Durchschnittsniveau des Sommers.

"Selbstgewählte technologische Rückständigkeit"

Der Autor sieht im Wesentlichen zwei Faktoren, die den Unterschied erklären. Zum einen der technologische Fortschritt im Einsatz des Smartphones zur Identifizierung von Infektionen, ihrer systematischen Abgleichung mit dem Netz und Information der Kontaktpersonen, um ihnen Test- oder Verhaltensanweisungen zu geben und Infektionsketten einzugrenzen. In dieser Technologie habe der Westen erst die "Möglichkeiten des mittleren zwanzigsten Jahrhunderts" erreicht. Auch in anderen Bereichen der Vorsorge - zum Beispiel Restaurantbesuche mit handschriftlicher Adressenangabe auf Zetteln - verharre Europa in "selbstgewählter technologischer Rückständigkeit".

Das beliebte Gegenargument des strengeren Datenschutzes verliert angesichts der täglich freiwilligen Abgabe von Daten über Twitter, Facebook, Instagram, Google, WhatsApp oder die elektronischen Zahldienste an Überzeugungskraft. Zum anderen sieht er den Vorteil in der viel effizienteren Organisation der verschiedenen Instanzen der Verwaltung, was er "die Fähigkeit zur Orchestrierung zwischen Ministerien, Kommunen und verschiedenen Behörden" nennt.

Da mag der Föderalismus hinderlich sein, eröffnet aber andererseits die besseren Möglichkeiten, schneller und differenzierter auf besondere Entwicklungen und Veränderungen in der Region zu reagieren. Die autoritäre Kontrolle der Gesellschaften in Ostasien ist, China einmal ausgenommen, wohl ein Mythos und kein gutes Argument, nicht doch Lehren aus den dortigen Erfahrungen mit der Pandemie zu ziehen.

Am 24. Februar 2021 ergab eine Umfrage des Spiegel, dass sich die Hälfte der Bevölkerung eine Lockerung des Shutdowns wünscht. Das ist noch keine Forderung und kein Aufstand. Eine Gesellschaft, die von der Pandemie in Schach gehalten wird, muss sich aber entscheiden, wann und wie sie sich aus diesem Notstand befreien kann. Dies nicht nur wegen der augenblicklichen Misere, sondern wegen der Zukunft, in die sie dieses Herrschaftsinstrument, und sei es nur in der Reserve für neue Krisen begleiten wird.

Dieser ist Beitrag eine Vorabveröffentlichung aus dem Sammelband "Herrschaft der Angst. Von der Bedrohung zum Ausnahmezustand" (Hrsg. Hannes Hofbauer und Stefan Kraft), der in Kürze im Promedia-Verlag erscheint. Die Online-Version wurde von Telepolis leicht redaktionell bearbeitet.

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