Der Wüstensatellit

NASA-Orbiter Cassini entdeckt auf dem Saturnmond Titan großflächige Dünenlandschaften, die an irdische Wüsten erinnern

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Sanddünen prägen nicht nur das Gesicht der Sahara oder der Wüste Gobi – sie erstrecken sich auch auf den Erdnachbarn Mars und Venus in bestimmten Regionen großflächig. Neueste Bilder vom Saturnmond Titan, die der RADAR-Imager des NASA-Forschungsorbiters Cassini aufnahm, belegen nun, dass auch auf dem Saturnmond Titan sandige Wüstenareale das Landschaftsbild bereichern. In „Science“ (5. Mai 2006) zeigen sich die Forscher vor allem von den Dünenfeldern angetan, die große, äquatornahe Bereiche des Saturnmondes dominieren. Wie diese allerdings entstanden sind und woraus sie genau bestehen, ist noch völlig unklar.

Fast 1,5 Milliarden Kilometer von der Erde entfernt befindet sich ein von Menschenhand geschaffener und mit allen diplomatischen Vollmachten ausgestatteter irdischer Gesandter auf heikler Mission. Zwar hat ihn der zweitmächtigste Planet des Sonnensystems herzlich willkommen geheißen und in die Familie der sage und schreibe bislang bekannten 47 anderen Satelliten aufgenommen. Aber im Genuss kosmischer Immunität steht der akkreditierte Neuankömmling beileibe nicht.

Aufnahme vom NASA-Orbiter Cassini (26. Oktober 2004). Bildauflösung: Zwei bis vier Kilometer pro Pixel (Bild: NASA/JPL/Space Science Institute)

Denn gegen das vorherrschende raue kosmische Klima am Ringplaneten Saturn, wo seit Tausenden von Jahren riesige Mengen Staub und Myriaden von Eis- und Steinbrocken unterschiedlichster Art den Orbit unsicher machen, ist auch die NASA-Sonde Cassini nicht "immun". Trotzdem arbeiten die Instrumente Cassinis bis auf dem heutigen Tag unbekümmert auf Hochtouren und beglücken die Forscher mit immer neuem Datenmaterial – so wie es das leistungsfähige RADAR-Instrument der Cassini-Sonde im Oktober 2005 erneut in die Tat umsetzte.

Sanddünen aus Wassereiskristallen?

Wie ein internationales Wissenschaftlerteam unter der Leitung von Ralph Lorenz vom „Lunar and Planetary Laboratory“ der Universität von Arizona (Tucson/Arizona) in der heutigen Ausgabe des US-Fachjournals Science (5. Mai 2006, Bd. 312, S. 724-727) berichtet, entdeckte der irdische „NASA-Botschafter“ Cassini im Oktober des letzten Jahres auf dem größten Saturnmond Titan eine weit gestreckte sandige Dünenlandschaft, die viele Charakteristika mit der Sahara, der Namib-Wüste in Nambia (Afrika) und der Großen Arabischen Wüste, der Rub al Khali in Saudi-Arabien gemein haben. „Was die Geometrie, die Länge und Breite anbelangt, ähneln die Dünen jenen, die wir von der Namib-Wüste und vom Rub al Khali kennen. Sie zeigen Muster und topographische Strukturen, die direkte Parallelen mit irdischen Wüstenregionen haben“, erklärt Nicholas Lancaster, der zu den weltweit führenden Sanddünen-Experten zählt, in einem Begleitartikel im „Science“ (5. Mai 2006, Bd. 312, S. 702).

Huygens-Bild während des Landeanflugs aus acht Kilometer Höhe (Bild: ESA/NASA/JPL/University of Arizona)

Auf den Bildern, die der Cassini RADAR-Imager aufnahm, sind in Äquatornähe riesige Sandwüsten mit langen Dünenkämmen zu sehen, die sich bis zu 150 Meter auftürmen und Hunderte von Kilometern lang sind. Der längste Dünenkamm erstreckt sich über ein Areal, das 1500 mal 200 Kilometer groß ist. Auch wenn die chemische Zusammensetzung des Oberflächenmaterials der Sandberge unbekannt ist, vermuten die Forscher, dass diese entweder aus organischem Material auf der Basis von Methan – oder schlichtweg aus Wassereiskristallen bestehen.

Große Sandkörner

Die Anwesenheit von Sanddünen auf Titan deutet auf geologische Prozesse hin, welche die Bildung von sandgroßen Körnern begünstigen: von Partikeln, die mindestens eine Größe von 100 bis 300 Mikrometern haben, schreiben die Forscher im „Science“. Damit dürften die titanischen Sandkörner im Vergleich zum irdischen Fein- und Mittelsand zirka dreimal dicker sein. Da die Sanddünen grob in Ost-West-Richtung angeordnet sind, vermuten die Forscher, dass diese durch östliche Winde geformt wurden.

Titan – der Wüstensatellit: Cassini-Radarbild von wüstenartigen Strukturen mit Dünenkämmen in der Äquatornähe des Saturntrabanten (Bild: NASA)

Um das Material zu befördern, braucht der Wind auf Titan wegen der geringen Schwerkraft des Mondes aber nur schwach zu wehen. Für den Transport der Sandkörner war eine Windgeschwindigkeit von rund zehn bis siebzig Millimeter pro Sekunde ausreichend, was auch auf die geringe Gravitation des Mondes zurückzuführen ist.

Zurück mit Ballon?

Die Anwesenheit der Ablagerungen weist auf eine trockene Gegend ohne vegetationsähnliche Strukturen oder größere Flächen von Seen oder anderer Flüssigkeiten hin. Ansonsten, so vermuten die Forscher um Ralph Lorenz, wäre das körnige Material davon aufgefangen worden.

Radarbild der Namib-Wüste in Namibia (Afrika); aufgenommen von der US-Raumfähre Endeavour am 9. April1994 (Bild: NASA)

Da die Sandwüsten sich genau in jenen dunklen Gebieten um den Titanäquator befänden, wo man noch vor kurzem Ozeane vermutet habe, sei damit endgültig geklärt, dass es zumindest in dieser Region keine Ozeane mit flüssigem Methan gäbe, berichten die Wissenschaftler im „Science“

Es ist bizarr. Die Bilder vom Saturnmond sehen wie Radarbilder von Namibia oder Arabien aus. Es ist aufregend, dass das Radar von Cassini, das hauptsächlich für das Studium der Oberfläche von Titan vorgesehen war, uns so viel über die dortigen Windverhältnisse sagt. Diese Informationen werden hilfreich sein, wenn wir in der Zukunft Titan wieder besuchen, vielleicht mit einem Ballon.

Ralph Lorenz auf Space.com

Geologisch aktiver Satellit

Dass Titan ein geologisch aktiver Trabant ist, wissen die Forscher seit der Landung der ESA-Sonde Huygens am 14. Januar 2005. Dank der Bits und Bytes, die das ESA-Landegefährt während seiner knapp vierstündigen Operationsphase zur Erde funkte, zeigte sich Titan als ein Himmelskörper mit einer dynamischen Atmosphäre, der auf eine lebhafte Geschichte zurückblicken kann. Denn im Verlauf seiner Geschichte war die Oberfläche des Mondes gewaltigen, erdähnlichen geologischen Prozessen unterworfen, die starke Veränderungen bewirkten.

Diese Dynamik spiegelt sich in den Huygens-Aufnahmen deutlich wider, auf denen komplizierte Oberflächenstrukturen zu sehen sind, die auf Windeinwirkung, tektonische Prozesse und Flussläufe hinweisen. Sie zeigen auch einige kreisartige Formen, die Einschlagskrater sein könnten und flussähnliche Strukturen. Und seit Cassini-Huygens wissen die Planetenforscher auch, dass Titan ein windiger Trabant ist: Auf ihm peitschen in der unteren Atmosphäre in einer Höhe von acht Kilometer Winde mit einer Geschwindigkeit von fünf bis sechs Metern in der Sekunde – in seiner Troposphäre flitzten die „Luftmassen“ sogar mit einem Tempo von sage und schreibe 34 Meter in der Sekunde.

Bild aus dem Huygens-Video "A View from Huygens - Jan. 14, 2005" (Bild: Credit: ESA/NASA/JPL/University of Arizona)

Übrigens hatte das Radarsystem des NASA-Orbiters bereits Monate zuvor auf der Oberfläche des Saturnmondes schwache Hinweise auf den Transport leichten Materials entdeckt, die für Windaktivitäten sprachen. Auf den damaligen Bildern erkannten die NASA- und ESA-Wissenschaftler aber nur dunkle Streifen und diffuse Muster, die wenig aufschlussreich waren. Mit den Cassini-Bildern vom Oktober 2005 konnten diese jedoch die Auflösung um den Faktor 300 verbessern und somit nachweisen, dass Titan zumindest am Äquator ein waschechter Wüstensatellit ist.

NASA und ESA veröffentlichten vor wenigen Stunden zwei sehr sehenswerte Videos/Animationen von der Huygens-Landung im Januar 2005: NASA, ESA