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Ein hohes Selbstwertgefühl ist nicht immer auch ein gesundes Selbstwertgefühl: Wer sich seiner selbst nicht wirklich sicher ist, lässt Kritik nicht an sich heran

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Also, jetzt mal kein Widerspruch bitte. Die Überschrift ist übertrieben? Der Vorspann rätselhaft? Den Absätzen fehlen die Übergänge? Kann ja gar nicht sein. Jeder Experte wird bestätigen, dass dieser Artikel in Form und Inhalt einfach perfekt ist. Und wer mir nicht glaubt, dem schicke ich meinen großen Bruder ins Haus…

Zugegeben - die Darstellung ist nicht ganz unbescheiden. Sie passt aber zur Diskussion, die Psychologen der University of Georgia in der aktuellen Ausgabe des Journal of Personality angestoßen haben. Ein hohes Selbstwertgefühl - die Psychologen nennen den Faktor auch Selbstwertschätzung - ist nicht automatisch ein wünschenswertes Kennzeichen einer Persönlichkeit. Zu welchem Verhalten es führt, hängt von seiner Ausprägung ab.

Ist das Selbstwertgefühl stabil, dann resultiert es daraus, erfolgreich mit den Lebensumständen umzugehen und authentisch und im Alltag man selbst sein zu können. In Beziehungen ergibt es sich daraus, dafür geschätzt zu werden, was man ist - und nicht dafür, was man erreicht hat. Menschen mit stabilem Selbstwertgefühl akzeptieren sich mit ihren Schwächen, und sie haben nicht das Bedürfnis, sich stets und ständig im Vergleich mit anderen zu bestätigen. Individuen mit instabilem Selbstwertgefühl hingegen definieren sich auf Tagesbasis.

Sie sind vom Erreichen konkreter Ziele und Werte abhängig, bleibt die Bestätigung aus, fällt auch ihre Selbstwertschätzung. Interessanterweise ändert sich der Eigenwert, den Menschen sich zuordnen, über das gesamte Leben betrachtet nur sehr langsam. Dies sagt allerdings noch nichts über seine Stabilität, die um den Grundwert im Tages- und Wochenrhythmus mehr oder weniger stark schwanken kann.

Gewisses Verhältnis zu gesteigerter Aggressivität

Hohes Selbstwertgefühl muss sich im Alltag auch nicht immer positiv auswirken - ihm wurde zum Beispiel von der Forschung in letzter Zeit ein gewisses Verhältnis zu gesteigerter Aggressivität zugeordnet. Zudem, das zeigten andere Forscher, können von sich selbst überzeugte Menschen auf Kritik an ihrem Ego auf durchaus unsympathische Weise reagieren. Allerdings nicht notwendigerweise, wie Michael Kernis und Kollegen nun in ihrem Artikel beschreiben.

Die Fähigkeit der Kritikannahme hängt offenbar stark von der Art des Selbstwertgefühls ab. Vor allem, wenn die Selbstwertschätzung instabil ist (und zwar unabhängig davon, ob sie hoch oder niedrig ist), neigen Menschen wohl dazu, sich verbal gegen Kritik abzusetzen, bis hin zur offenen Aggression. Diese Individuen waren zudem im Mittel mit ihrem Leben weniger zufrieden. Kernis & Co. unterzogen dazu etwas mehr als 100 Personen einem Interview, das aus Fragen mit steigendem Stressanteil bestand.

Übrigens zeigen Individuen mit instabilem hohem Selbstwertgefühl außerdem aggressiveres Verhalten als solche mit stabilem oder instabilem niedrigem Selbstwertgefühl. Am friedlichsten verhalten sich schließlich Menschen, die sich stabil einen hohen Eigenwert zuordnen. Ein weiteres Problem, so Kernis und Kollegen, besteht darin, dass wir ein implizites (unbewusstes) und ein explizites Selbstwertgefühl mit uns herumtragen. Auch, wer bewusst stolz auf sich sein, kann unbewusst ein gekränktes Ego besitzen.

„Name Letter Effect“-Test

Das unbewusste Selbstwertgefühl können Psychologen testen, indem sie den „Name Letter Effect“ ausnutzen: Den Buchstaben des eigenen Namens weisen Menschen mit hohem impliziten Selbstwert automatisch einen höheren Stellenwert zu. Wenn explizites und implizites Selbstwertgefühl nicht übereinstimmen, ist ein Konflikt programmiert. Die Studienautoren folgern, dass nur bei Menschen mit stabilem und kongruenten Selbstwertgefühl negative Informationen über das Ego nicht bedrohlich wirken und deshalb auch nicht abgeschüttelt oder entwertet werden müssen.