Der chinesische Kampf gegen den Terrorismus

Amnesty ruft zur Beendigung des Vorgehens gegen die Uiguren unter dem Deckmantel des "Kriegs gegen den Terrorismus" auf

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Die Anschläge vom 11.9. haben nicht die ganze Welt verändert, aber sie haben zumindest dafür gesorgt, dass das Vorgehen gegen den Terror mit der Ausweitung des Begriffs leichter zu legitimieren ist. Und weil nach amerikanischer Regierungssicht die Welt nur aus Guten und Bösen besteht und der Kampf gegen den Terrorismus keiner Begründung bedarf, dürfen die Guten unter dem Deckmantel des Kampfs gegen den Terrorismus fast beliebig nach US-amerikanischem Vorbild vorgehen. Geflissentlich sieht man inzwischen in der Allianz der Guten über den grausamen Krieg der Russen in Tschetschenien hinweg, der für reichlich menschlichen und ideologischen Nachschub an muslimischen Terroristen sorgt (Terrorismusbekämpfung auf Russisch), oder hält sich bei der Kritik an der israelischen Politik zurück, wohlwissend, dass die Spirale der Gewalt damit nicht beendet werden kann. Und ganz weit weg haben die Chinesen ihren Kampf gegen Unabhängigkeitsbestrebungen der muslimischen Uiguren nun natürlich auch zum Krieg gegen den Terrorismus verstärkt.

Karte von Uyghur Human Rights Coalition

Mittlerweile dient der weitgehend undifferenziert gebrauchte Begriff des Terrorismus für viele Regime dazu, jede Art von Widerstandbewegung bekämpfen zu können (UN kann sich nicht über eine allgemeine Definition des Terrorismus verständigen). Das ist schön, weil man dann nicht mehr nach den Ursachen oder den Zielen dieser Bewegungen fragen muss, sondern die Lösung nach amerikanischen Vorbild primär in der militärischen Zerschlagung der Terrornetzwerke besteht. Ebenso wie sich hinter dem Kampf gegen den Terrorismus die unterschiedlichsten Interessen verstecken, lassen sich auch die wirklichen oder angeblichen terroristischen Gruppen kaum über einen Kamm scheren. Auch die Frage, ob Terror nicht das letzte Mittel der Gegenwehr gegen ein repressives Regime sein könnte, das sich um Menschenleben, geschweige denn Menschenrechte nicht kümmert, ist nach dem 11.9. weitgehend verstummt. Klar aber dürfte sein, dass der von den USA initiierte Kampf gegen den Terrorismus unter solchen Bedingungen nicht nur wirklich "enduring" wird, sondern auch die Ausbreitung und die Legitimierung des Terrorismus in bestimmten Regionen oder für bestimmte Bevölkerungsgruppen fördern dürfte.

Ein Beispiel dafür ist China. Schon lange kämpft die kommunistische Regierung nicht nur gegen politische Opponenten, die mehr Freiheit und Demokratie fordern, sondern auch gegen Bevölkerungsgruppen, die Achtung der Menschenrechte und ihrer Kultur einfordern. Durch fortwährende Unterdrückung entstehen separatistische Bestrebungen und auch Formen des Widerstands, die mitunter auch zu terroristischen Mitteln greifen müssen, weil eine demokratische Opposition nicht möglich ist. Schon kurz nach dem 11.9. hat die chinesische Regierung das Geschenk der Stunde erkannt und ihren Kampf gegen die Uiguren in der Provinz Xinjiang (Ostturkestan) in den Deckmantel des Kampfs gegen den muslimischen Terrorismus gehüllt. Ausdrücklich wurde auch erklärt, dass extremistische, illegale religiöse und separatistische Gruppen dem Terrorismus angehören und dementsprechend bekämpft werden müssen, also mit aller Schärfe. Und nachdem die Verbindung zwischen uigurischen Muslimen und al-Qaida räumlich und kulturell schnell hergestellt werden kann, kämpft nun auch China vereint mit den USA und ihren Alliierten im eigenen Land verstärkt gegen das Böse (Wie es beliebt).

Die Provinz Xinjiang (Neue Grenze), in der 8 Millionen Uiguren leben und die Ende des 19. Jahrhunderts von China erobert wurde, ist geopolitisch und wirtschaftlich für China von großer Bedeutung. Die autonome Region grenzt an Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan, an die Mongolische Volksrepublik, sowie an Afghanistan, Pakistan, Indien und Tibet. Hier gibt es aber auch große Öl- und Gasvorkommen und andere Bodenschätze wie Kohle, Uran, Platin, Gold, Silber oder Eisen. Auch chinesische Atomwaffentests wurden hier durchgeführt.

Ähnlich wie in Tibet versucht die chinesische Regierung den schon lange auch mit Bombenanschlägen und Geiselnahmen geführten Widerstand neben oft willkürlichen Festnahmen von Zehntausenden von Menschen durch Sinisierung zu brechen, also durch die Umsiedlung von Chinesen nach Xinjiang, so dass der Anteil der Uiguren hier ständig zurückgeht und irgendwann die Vorstellung einer Unabhängigkeit der ethnischen Gruppe durch die geschaffenen Fakten unterminiert wird. Mittlerweile sind schon weniger als die Hälfte der Menschen in Xinjiang, noch 1949 stellten sie mit 93 Prozent die überwältigende Mehrheit. Oft leben Uiguren und die chinesischen Zuwanderer strikt voneinander getrennt.

Seit dem 11.9., so warnte gestern erneut amnesty international in einem aktuellen Bericht, habe die chinesische Regierung den Kampf gegen die Uiguren verstärkt und Tausende von Menschen festgenommen. Angeblich sei bei einigen Uiguren nach "öffentlichen Gerichtsverhandlungen" auch sofort das Todesurteil vollstreckt worden. Viele seien zu langen Gefängnisstrafen verurteilt worden. 8.000 muslimische Imams mussten sich "politischer Schulung" unterwerfen, um ihnen "ein deutlicheres Verständnis der ethnischen und religiösen Politik der Partei" zu vermitteln. Unter dem angeblichen Vorgehen gegen Terroristen habe die Regierung viele Menschen festgenommen, die oft nicht mehr getan hätten, als ihre Religion auszuüben oder ihre Kultur zu verteidigen. Amnesty wendet sich an die internationale Gemeinschaft, um über die Menschenrechtskommission in Genf China unter Druck zu setzen, damit die Regierung nicht länger Menschenrechtsverletzungen über den Krieg gegen den Terrorismus rechtfertigt.

Nach Amnesty habe es in den letzten Jahren praktisch keine terroristischen Aktivitäten mehr in Xinjiang gegeben, gleichwohl sei die Regierung nicht nur verschärft vorgegangen, sondern habe auch neue Verbote eingeführt. So sei während des Ramadan das Fasten in Schulen, Krankenhäusern und Behörden untersagt worden. Moscheen in der Nähe von Schulen seien geschlossen worden, weil sie einen negativen Einfluss auf junge Menschen ausüben könnten. Schulungen gab es auch für Menschen, die in den Bereichen Kultur, Medien oder Sozialwissenschaften arbeiten. Man habe alle "potenziellen abweichenden und oppositionellen Aktivitäten, auch die friedliche Meinungsäußerung über Gedichte, Lieder, Bücher, Pamphlete, Briefe oder das Internet", ins Visier genommen.