Der chinesische Wissenschaftskalender

Seit dem Jahr 2000 ruft die Initiative Wissenschaft im Dialog des Bundesministerium für Bildung und Forschung Wissenschaftsjahre aus. 2008 ist zum ersten Mal die Mathematik an der Reihe.

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Mit der Mathematik hat es nach Meinung der Mathematiker die Königin der Wissenschaften erwischt: die Untersuchung einer in sich geschlossenen Welt, die alleine durch selbst aufgestellte Axiome bestimmt wird. Zugleich ist es eine Binsenweisheit, dass Mathematik in nahezu allen anderen Wissenschaftsdisziplinen als Hilfswissenschaft benötigt wird. Insofern ist die Wahl des Bildungsministeriums durchaus treffend.

Ziel eines Wissenschaftsjahres ist die Stärkung des Interesses in der Öffentlichkeit an der jeweiligen Wissenschaft und das Heranführen junger Menschen an die Themen. Konkreter formuliert: Die Öffentlichkeit soll überzeugt werden, dass die Wissenschaft mehr Geld benötigt; Jugendliche sollen zu einem Studium in diesem Fach ermutigt werden.

Neben dem Ausrichter, der Initiative Wissenschaft im Dialog, wird das Jahr der Mathematik auch von der Deutschen Mathematikervereinigung und der Deutsche Telekom Stiftung unterstützt. Ziel der Stiftung ist es, "für eine Verbesserung der Bildung in den Bereichen Mathematik, Naturwissenschaften und Technik" einzutreten.

Im Vorstand der Deutsche Telekom Stiftung sitzen neben dem Vorstandsvorsitzenden der Deutsche Telekom AG der ehemalige Außenminister Klaus Kinkel und Sigmar Wittig, ehemaliger Vorstandsvorsitzender des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt und jetzt Lehrstuhlinhaber an der Universität Karlsruhe. Im Kuratorium befinden sich weitere illustre Persönlichkeiten: Neben der ehemaligen Bundesbildungsministerin Edelgard Buhlmahn, ihrer Nachfolgerin Anette Schavan und anderen Forschungsfunktionären finden sich dort auch Michael Rogowski, ehemaliger Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), der Aufsichtsratsvorsitzende der Münchner Rück Hans-Jürgen Schinzler und Vorstände der Deutschen Telekom AG.

Zwar hat sich die Stiftung noch nicht mit Arbeitsweisen der Bertelsmann-Stiftung in der Öffentlichkeit präsentiert, jedoch möchte sie an Hochschulen "im Exzellenzbereich einen Beitrag zur Stärkung des Bildungs- und Wissenschaftsstandorts Deutschland [...] leisten". Hierfür unterstützt sie "ausgewählte Universitäten dabei, ihre Leistungsfähigkeit zu erhöhen und damit ihr Profil im nationalen wie internationalen Wettbewerb zu schärfen." Sie hat auch schon zwei Lehrstühle gestiftet: An der Freien Universität Berlin den Lehrstuhl Wertschöpfungsorientiertes Wissensmanagement und an der Ludwigs-Maximilians-Universität München das Institut für Kommunikationsökonomie.

Effektivität der Wissenschaftsjahre

Welchen Effekt hatten die bisherigen Wissenschaftsjahre? Da die Ziele nur schwer messbar sind, muss man mit Studentenzahlen arbeiten. In der Physik stiegen die Studienanfänger nach einem Tief Mitte der 1990er Jahre wieder an, wobei der Trend nach dem Jahr der Physik 2000 leicht verstärkt zu sehen ist. Das zweite Jahr der Physik 2005 brachte jedoch keinen weiteren Anstieg, wobei der Wert etwa auf dem Niveau um das Jahr 1990 herum liegt. Dies könnte jedoch ebenso eine Folge der Einführung von Bachelor-/Masterstudiengängen sein, für die an vielen Universitäten zunächst Naturwissenschaften ausgewählt wurden.

Für die Informatik bietet sich ein anderes Bild: 2006 war das Jahr der aus der Kybernetik entstandenen Wissenschaftsdisziplin, dennoch gingen in jenem Jahr die Studentenzahlen weiter zurück - allerdings hatte es ein Maximum erst im Jahr 2000 gegeben. Vergangenes Jahr stieg die Zahl der Studienanfänger in diesem Fach wieder leicht an. Eventuell ist dieser Anstieg mit dem Jahr der Informatik zu erklären.

Die Kurve der Studienanfänger in der Mathematik verlief während der 1990er Jahre und frühen 2000er Jahre parallel zu derjenigen der Physik. Ob also die Wissenschaftsjahre einen Einfluss auf die Wahl des Studiums haben, ist zumindest nicht nachweisbar.

Auswahl der Wissenschaften

Interessanter ist aber die Tatsache wie die Jahre verteilt werden: Gab es in bisher acht Ausgaben bereits zwei (!) alleine für die Physik, so mussten sich das Jahr 2007 alle Geisteswissenschaften teilen. An einer größeren Universität bedeutete das, dass nicht mal ein Monat pro Fakultät zur Verfügung stand. Ähnlich verhielt es sich mit Lebens- und Geowissenschaften sowie Technik. Einzig Chemie, Informatik und jetzt eben auch die Mathematik bekamen ganze Jahre als einzelne Wissenschaften zugewiesen.

Dies liegt zum Großteil an dem Ausrufer der Wissenschaftsjahre: die eigens für diesen Zweck gegründete Initiative Wissenschaft im Dialog, eine gemeinnützige GmbH mit verschiedenen Wissenschaftsverbänden als Gesellschaftern. Dazu gehören die Max-Planck-Gesellschaft, die Fraunhofer-Gesellschaft, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Hochschulrektorenkonferenz. Vergleicht man die Liste der Gesellschafter mit derjenigen der Wissenschaftsjahre, so zeigt sich eine schöne Koinzidenz: Das Jahr der Lebenswissenschaften wurde wohl von der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte angeregt, die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungseinrichtungen bekam das Jahr der Technik zugewiesen.