Der moderne Mensch eroberte direkt Arabien
Homo sapiens machte sich viel früher als bisher angenommen von Afrika aus auf den Weg direkt Richtung Osten
Die meisten Forscher gehen heute davon aus, dass der anatomisch moderne Mensch in Afrika entstand und von dort aus nach und nach die ganze Welt eroberte. Allerdings besteht bislang keine Einigkeit darüber, wann genau er aufbrach und welche Wege er einschlug. Neue Grabungsergebnisse aus den Vereinigten Arabischen Emiraten legen jetzt nahe, dass der direkt aus Afrika zugereiste Homo sapiens bereits vor rund 100.000 Jahren dort siedelte.
Vor ungefähr 200.000 Jahren kam Homo sapiens in Ostafrika zur Welt - die kürzlich gefundenen, angeblich 400.000 Jahre alten Homo sapiens-Zähne, überzeugen die große Mehrheit der Forschungswelt nicht.1
Schon unser früher Vorfahre, der Homo erectus, der aufrecht gehende Mensch, wurde in Afrika geboren und machte sich von dort aus vor circa zwei Millionen Jahren auf, um sich die Erde untertan zu machen.2 Seine direkten Nachkommen entwickelten sich später lokal in Europa zu den Neandertalern, und in Asien zu den Java- und Pekingmenschen.
Der Stammbaum des Menschen wird seit Jahren immer komplizierter und komplexer. Höchst wahrscheinlich gab es viele verschiedene Linien mit vielen, am Ende toten Seitenarmen - und sehr unterschiedliche menschliche Vorfahren lebten immer wieder lokal und zeitlich parallel (vgl. Ein neuer Mensch und Hobbit-Vorfahren). Homo sapiens, der anatomisch moderne Mensch, ist unser direkter Ahne - auch wenn neueste genetische Untersuchungen zeigten, dass z.B. der Neandertaler einige wenige genetische Spuren in uns hinterließ, so war er doch von anderer Art, und sehr unterschiedlich von allen heute lebenden Menschen (vgl. Anderes Hirn und jede Menge Sex). Unsere ureigenste Geschichte beginnt mit dem Auszug des Homo sapiens aus Afrika.
In der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Science stellt ein Forscherteam um Simon J. Armitage vom Royal Holloway College der Universität London seine spektakulären Neuentdeckungen vor.3 Die Archäologen aus Großbritannien, den Emiraten, den USA, der Ukraine und Deutschland sind sich sicher, den Nachweis in Händen zu halten, dass anatomisch moderne Menschen bereits vor 125.000 Jahren auf der arabischen Halbinsel lebten - und dass sie direkt aus Ostafrika zugewandert waren.
Felsdach und Faustkeile
Seit 2003 graben Archäologen der Universität Tübingen im Auftrag der Regierung des Emirats Schardscha unter einem Felsvorsprung am Jebel Faya, einem eine Autostunde von der Hauptstadt entfernte Kalksteinmassiv nahe des Persischen Golfes.
Ein tiefer Felsvorsprung am Berg diente ganzen Familien unseren Vorfahren als Schutz vor Sonne, Sturm und Regen. Die Forscher fanden Artefakte aus verschiedenen Zeitperioden, das natürliche Dach erfreute sich über eine sehr lange Zeit großer Beliebtheit als menschlicher Aufenthaltsort. Immer tiefer gruben sich die Wissenschaftler in die Sedimente, bis sie 2008 unter einer fundfreien Schicht aus dem Neolithikum auf Spuren aus der Altsteinzeit stießen.
Tief im Schotter am Fuß des Jebel Faya fanden die Archäologen um Co-Autor Hans-Peter Uerpmann Faustkeile, Schaber und Locher, sowie ein relativ primitives Beil. Hauptautor Simon Armitage nahm in London die optisch stimulierte Lumineszenzdatierung vor. Diese Methode ermittelt, wann Gestein das letzte Mal dem Sonnenlicht ausgesetzt war. Das festgestellte Alter liegt bei 100.000 bis 125.000 Jahren - sensationell, denn niemand hätte vermutet, dass so früh bereits moderne Menschen auf der arabischen Halbinsel lebten. Die Frage stellt sich nun: Wo kamen sie her?
Die Co-Autoren Anthony Marks von der Southern Methodist University in Dallas und Vitaly Usik vom Archäologischen Institut der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften in Kiew sind überzeugt, dass die Bearbeitung der Steinwerkzeuge beweist, dass ihre Erschaffer direkt aus Ostafrika zugewandert sind. Technologisch fehlt ihnen die Kunstfertigkeit, die aus derselben Epoche stammende, vergleichbare Fundstücke aus dem Nahen Osten, der Levante oder dem Iran aufweisen. In ihrer Bearbeitung ähneln sie nach Einschätzung der Experten stark Steinklingen früher modernen Menschen aus Ostafrika.
Daraus schließen die Forscher, dass die Menschen, die sie einst verwendeten, nicht durch einen Technologie-Schub zu ihrer Wanderung veranlasst wurden.
Das widerspricht einem Modell, das technische Innovation als Initialzündung für den großen Aufbruch des Menschen ansieht (vgl. Beschleuniger der Expansion 29239). Und auch den gängigen Ansätzen, die Homo sapiens über das Niltal und anschließend durch den Nahe Osten Richtung Europa wandern sehen.
Es gibt schön länger kritische Stimmen, zum Beispiel von Genetikern, die dieser Theorie widersprechen (vgl. Out of Africa). Es mehren sich auch die Zeichen, dass es nicht eine Auswanderungswelle gab, sondern mehrere. Unterschiedliche Gruppen wanderten über verschiedene Wege in Richtung Eurasien (vgl. Mehrere Auswanderungswellen). Anthony Marks geht davon aus, dass es diese verschiedenen Auswanderungswellen gab und die aktuellen Ergebnisse ein Beweis dafür sind.
Um das zu untermauern, holte das Team den Geographen und Umweltarchäologen Adrian Parker von der Oxford Brookes Universität an Bord. Heute ist Jebel Faya von karger Wüste umgeben, aber vor rund 100.00 Jahren sah der Landstrich völlig anders aus. Während der Kaltzeit war viel Wasser in den Eispanzern auf dem Land gebunden, der Meeresspiegel lag deutlich tiefer. Zu dieser Zeit war es deshalb möglich, die Meerenge Bab al-Mandab am südlichen Ende des Roten Meeres, die die Arabische Halbinsel vom Horn von Afrika trennt, gefahrlos zu durchqueren. Adrian Parker erläutert:
Vor 130.000 Jahren war der Meeresspiegel noch rund 100 Meter tiefer als heute, während das Nedj-Plateau bereits passierbar war. Es gab einen kurzen Zeitraum, in dem frühe moderne Menschen in der Lage waren, den direkten Weg zwischen Ostafrika und Jebel Faya zu benutzen.
Zudem sah das lokale Klima zu dieser Zeit völlig anders aus. Am Ende der Eiszeit gab es verstärkte Niederschläge über dem heute wasserlosen Nedj-Plateau. Die arabische Halbinsel war von Flüssen und Seen durchzogen, überall wuchsen Pflanzen, die einer Vielzahl von Tieren als Nahrung dienten. Klimatisch stand dem direkten Weg der Menschen von Ostafrika zum Persischen Golf also nichts entgegen. Simon Armitage ist sicher:
Diese anatomisch modernen Menschen - wie Sie und ich - entwickelten sich in Afrika vor etwa 200.000 Jahren und breiteten sich von dort aus allmählich in die restliche Welt aus. Unsere Funde werden wahrscheinlich die Frage neu entfachen, auf welche Weise der moderne Mensch zu einer globalen Spezies wurde.
Archäologie ohne Jahreszahlen ist wie ein Puzzle ohne klare Umrisslinien - man hat viele einzelne Teile mit Informationen, kann sie jedoch nicht zu einem Gesamtbild zusammensetzen. Bei Jebel Faya enthüllen die Jahreszahlen ein faszinierendes Bild davon, wie der moderne Mensch begünstigt durch globale Änderungen des Meeresspiegels und klimatische Änderungen auf der Arabischen Halbinsel viel früher als bisher angenommen von Afrika aus abwanderte.
In Science findet sich aber auch ein begleitender News-Artikel, in dem andere Wissenschaftler zu Wort kommen - und nicht alle teilen die Schlüsse des Teams um Simon Armitage. Paul Mellars von der University of Cambridge äußert heftige Zweifel:
Ich bin überhaupt nicht überzeugt. Es gibt nicht den kleinsten Beweis, dass diese Werkzeuge von anatomisch modernen Menschen gemacht wurden - und auch nicht dafür, dass diese Menschen aus Afrika kamen. Alles hängt davon ab, ob diese Materialien wirklich afrikanisch ist - und ich sehe das nicht.
Er merkt an, dass überhaupt erstmal gründlich ausgeschlossen werden müsse, dass die Fundstücke nicht von Neandertalern oder sogar Homo erectus gefertigt wurden.
Eine Studie kann als Beweis für die Out-of-Africa-via-Arabia Hypothese in jedem Fall nicht genügen. Selbst Hans-Peter Uerpmann gibt zu, dass Knochenfunde nötig sein werden, um definitiv zu belegen, dass Homo sapiens vor rund 100.000 Jahren in der Region lebte und diese Steinklingen geschaffen haben könnte. Am Jebel Faya sind durch die spezielle Beschaffenheit der Sedimente keine Fossilien gefunden worden - Knochen konnten sich hier nicht erhalten. Es wird jetzt die Aufgabe anderer Grabungsteams sein, dem arabischen Boden knöcherne Beweise zu entlocken.
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