Der neue, alte Energieplan der USA

Die Republikaner nehmen den Demokraten ihre wahltaktischen Floskeln

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Am 21. April stimmte das Abgeordnetenhaus der USA für den Energieplan der Bush-Regierung. Nun muss noch der Senat darüber abstimmen. Vermutlich wird dieser einwilligen, auch wenn das eine oder andere Detail modifiziert werden muss. Groß ändern wird sich jedoch nichts, denn der Plan sieht weder vor, den Konsum zu drosseln, noch die Produktion wesentlich zu erhöhen. Letzteres wäre übrigens auch gar nicht möglich.

Die USA besitzen 3% der weltweiten Ölreserven, konsumieren aber 25% der weltweiten Produktion. Im Augenblick decken deshalb Ölimporte über 60% des Bedarfs - Tendenz stark steigend.

Zapfsäule in den USA, wo die Oktanzahlen niedriger als in Europa sind. Zum Teil liegt das an der Höhe über dem Meeresspiegel, aber selbst hier im flachen Texas beträgt das neue V-Power von Shell lediglich 93 Oktan (in Europa: 100 Oktan) und ist damit unter dem Niveau des europäischen Super mit 95 Oktan.

Deshalb rufen viele Amerikaner seit Jahrzehnten schon nach mehr Unabhängigkeit vom Öl. Es sind bei weitem auch nicht alle Umweltaktivisten, sondern dazu gehören unter anderem James Wooley, ehemaliger CIA-Chef, der in der Ölabhängigkeit eine Sicherheitsgefahr sieht. Der von der Bush-Regierung vorgelegte Plan, der vieles mit dem Plan von 2001 gemein hat, soll mehr Unabhängigkeit bringen.

I believe the next 25 years the changes are going to be even more dramatic. Our country is on the doorstep of incredible technological advances that will make energy more abundant and more affordable for our citizens. By harnessing the power of technology, we're going to be able to grow our economy, protect our environment, and achieve greater energy independence. That's why I'm so optimistic about our future here in America.

US-Präsident Bush am 27. April über seine Energiepolitik

In Wirklichkeit wird aber gar nichts passieren, denn der ganze Plan ist nur ein Versuch, den Demokraten weniger Angriffsfläche anzubieten. Wenn es den Anschein hat, die Bush-Regierung würde sich auch für Energie-Unabhängigkeit einsetzen, können die Demokraten das Feld nicht für sich verpachten. Viele Beobachter sehen hier den Grund für John Kerrys Niederlage in der Präsidentschaftswahl: Demnach sei es den Demokraten nicht gelungen, die Unabhängigkeit von Energieimporten zum Wahlthema Nummer Eins zu machen. Das sei gerade deshalb ein tragisches Versagen, weil viele Amerikaner hinter der Idee der inländischen Innovation als Ersatz für Importe aus suspekten arabischen Ländern stehen könnten.

Die Hauptpunkte im Energieplan

  1. Die Auflagen für den Bau von neuen Raffinerien sollen gelockert werden. Insbesondere sollen Raffinerien auf alten Militärbasen entstehen, wo kaum mit Widerstand zu rechnen ist. Die letzte Raffinerie wurde in den 1970ern in den USA gebaut. Seitdem werden lediglich bestehende Anlagen ausgeweitet.
  2. Mehr Öl soll innerhalb der USA gefördert werden, um den Import zu dämpfen. Insbesondere ist das vom republikanischen Präsidenten Eisenhower vor rund 50 Jahren unter Schutz gestellte Naturreservat in Alaska (Arctic National Wildlife Refuge oder ANWR) im Visier.
  3. Rund $1,7 Milliarden sollen bis 2010 in Wasserstoffautos investiert werden.
  4. Die Steuererleichterung für Hybridautos (Otto- oder Dieselmotor mit Batterieunterstützung) soll ausgeweitet werden
  5. Neue Andockstationen für Schiffe, die verflüssigtes Erdgas (LNG = liquified natural gas) transportieren, sollen gebaut werden, wenn die Auflagen gelockert worden sind.
  6. Mehr Unterstützung für "clean coal" und neuartige Kohlekraftwerke (Kohle als Brücke zur erneuerbaren Zukunft).
  7. Der Bau von neuen Kernkraftwerken soll erleichtert werden, indem das Haftungsrisiko noch weiter durch Steuergelder gedeckt wird.
  8. Energiefirmen sollen vor laufenden Klagen aufgrund der Verseuchung von Grundwasser durch den Benzinzusatz MTBE geschützt werden.
  9. Erneuerbare Energien sollen durch Steuererleichterungen in Höhe von $1,9 Milliarden bis 2015 gefördert werden. Das sieht zwar vergleichbar mit der Förderung für Wasserstoff (Punkt 3) aus, aber es ist nur 1/6 so viel, denn erstens erstreckt sich die Summe über 10 Jahre statt 5 und zweitens handelt es sich um Abschreibungen, d.h. man bekommt in der Regel eher 30% zurück.

Welche Probleme werden damit gelöst?

Kehren wir zurück zu der viel beklagten Abhängigkeit des Landes von Ölimporten, so wird klar, dass das Problem mit diesem Plan nicht gelöst werden kann.

Punkt 1: Zwar laufen die US-Raffinerien seit langem auf Hochtouren, aber der Bau von neuen Raffinieren wird nicht zu weniger Importen führen - im Gegenteil. Auch Punkt 7 wirft einige Rätsel auf. Erstens importiert das Land kaum Strom, dafür aber viel Öl. Kernkraftwerke produzieren nur Strom, Abwärme und atomaren Abfall. Zweitens wurde der Bau von neuen Kernkraftwerken seit dem Unfall auf Three Mile Island nicht etwa durch Versicherungsbedenken gehemmt (seit eh und je ist die Haftung der Kernkraftindustrie beschränkt; wenn alle Risiken eines GAUs von den Kraftwerkbetreibern versichert sein müssten, gäbe es keine Kernkraft), sondern durch den Widerstand aus der Bevölkerung.

Auch wenn immer mehr Menschen die Kernkraft als CO2-emissionsfreie Energiequelle (Den Teufel mit Beelzebub austreiben) wieder entdecken, so ist heute das größte Problem auf dem Weg zu neuen Kernkraftwerken trotzdem nicht die Versicherung dieser, sondern die Endlagerung des Atommülls, denn die Zwischenlager in den USA sind voll. Wie sagte es neulich John W. Rowe, CEO der Atomkraftfirma Exelon?

We won't have a new generation of nuclear plants unless the government keeps its 50-year old promise of waste disposal.

Darauf geht der Energieplan jedoch nicht ein.

Weniger Importe kommen entweder durch mehr inländische Ölförderung (Punkt 2), durch Energiesparen (Punkt 4) oder durch Ersatzquellen (Punkt 9). Allerdings ist das Potenzial im ANWR (Punkt 2) sehr begrenzt: Die Reserven in Alaska können den Bedarf des Landes höchstens für wenige Monate decken bzw. den Import langfristig um wenige Prozentpunkte senken - und das sowieso erst in einigen Jahren.

Bei Punkt 4 ist anzumerken, dass der Umstieg auf Hybridmotoren - an sich eine gute Idee - nur langsam voranschreiten kann, denn Autos laufen gut 10 Jahre. Außerdem können sich nur die besser Betuchten ein Hybrid leisten, denn wer arm ist, hat erstens das Geld nicht für die teueren Modelle, noch lohnt sich eine Steuervergünstigung (Punkte 4 und 9), wenn man weit vom Spitzensteuersatz ist.

Wichtig ist jedoch auch, dass man in den USA vor allem daran denkt, Hybridmotoren in bestehende Autos einzubauen, ohne auf sparsamere Modelle umzusteigen. Der Komfort wird in den USA hochgehalten; zukünftige Generationen müssen also selbst sehen, wie sie mit weniger Ressourcen zurecht kommen. Die Stimmung in den USA lässt einfach nicht zu, dass Autos wie der VW Lupo oder der Audi A2 dort verkauft werden, denn diese machen auch Abstriche am Gewicht, um den Verbrauch zu senken. Der 3-Liter Lupo hat beispielsweise mehr Kopfraum als der normale Lupo, weil er leichtere Sitze hat - mit weniger Polster.

Die Amerikaner wollen aber keine "lahmarschigen Schlappschwänze" ("wimpy cars" - siehe unten) ohne Klimaanlage fahren, sondern riesige Geländewagen fürs Einkaufen, am liebsten mit DVD-Spieler für die Kids im Urlaub. Man will keine Abstriche machen, es muss eine bessere Technik her, um die Welt zu retten. Diese Einstellung wurde im Online-Magazin Salon beispielhaft geschildert:

The auto industry says California's plan to cut carbon dioxide emissions is illegal and will force consumers to settle for wimpy cars. Does stopping global warming mean we all have to go back to driving Ford Pintos without air conditioning? Environmentalists and the state of California strenuously disagree -- most of the technological fixes necessary are already available. It's possible, they say, to have your DVD player and save the world at the same time.

Interessanterweise wurden die Erdgasreserven in den Rocky Mountains nicht in Bushs Plan erwähnt. Die USA haben nicht mehr viel Erdgas, und das meiste Potenzial steckt ausgerechnet in den Bundesstaaten, die Bush gewählt haben. Ob er sie deshalb in Ruhe lässt?

Eben weil die USA kaum noch Erdgas haben, dafür aber umso mehr Gasturbinen, muss das Land immer mehr Erdgas importieren. Das macht man am besten, indem das Erdgas eingefroren und dadurch komprimiert wird. Zwar verwendet man 1/3 der im Erdgas enthaltenen Energie, um das Erdgas auf rund -164° abzukühlen. Dann passt aber die 600-fache Menge aufs Schiff. Bei Punkt 5 wird also der Import von Erdgas aus Südostasien unterstützt.

Bei Punkt 3 ist anzumerken, dass der Wasserstoff im Moment vor allem aus Erdgas reformiert wird, womit eine Förderung der Wasserstoffwirtschaft der fossilen Industrie zugute kommt. Über Punkt 6 müsste man das Gleiche sagen: Hier wird eine Industrie, die seit dem 19. Jahrhundert profitabel ist, noch mal kräftig unterstützt. Und auch George W. Bush weiß nicht, woher der Wasserstoff kommen soll, mit dem wir unsere Autos tanken sollen:

Twenty-five years from now, people are going to look back and say, I like my hydrogen-powered automobile -- (laughter) -- and I produced a little extra energy this year from my home.

Aus der Rede Bushs zum Energieplan

Was die USA von Deutschland lernen könnten

Was Bush für das Jahr 2030 für die USA haben will, gibt es bereits in Deutschland, wenn auch erst vereinzelt: Plusenergiehäuser. Aber ein Blick ins Alte Europa wäre für Bush & Co. nicht nur deswegen aufschlussreich.

Ein Vergleich zwischen den UA und Deutschland zeigt auf, wie ineffektiv Steuervergünstigungen sind. Von Steuervergünstigungen profitiert man nämlich mehr, wenn man viel verdient und deshalb viel Steuern zahlt. Zahlt man kaum Steuern, kann man kaum von solchen Anreizen profitieren.

In Deutschland werden erneuerbare Energien und Sparmaßnahmen eher durch hohe Preise finanziert - quasi Steuern statt Steuererleichterungen: einerseits Einspeisetarife für Solarstrom, Windenergie usw., von denen jeder Investor gleichermaßen und unabhängig vom Einkommen profitiert, und andererseits hohe Preise für fossile Energieträger, beispielsweise durch die Mineralöl- und Ökosteuer.

In Deutschland ist der Konsum von Benzin und Diesel seit Einführung der Ökosteuer tatsächlich gesunken, und die Deutschen kaufen auch sparsamere Autos, um ihre Kosten trotz höherer Preise zu senken. In den USA ist ein solcher Zusammenhang nicht verstellbar, denn man versteht dort den Unterschied zwischen Preisen und Kosten gar nicht und möchte deshalb die Preise senken.

Seit den 1970ern versuchen die USA durch CAFE standards den Verbrauch von Fahrzeugen vorzuschreiben. 1987 war das Rekordjahr. Man misst den Verbrauch in Meilen, die man mit einem Gallon (3,8 Liter) fahren kann, d.h. die Zahl steigt, wenn der Verbrauch besser wird. Anfang der CAFE-Phase konnte man rund 15 Meilen pro Gallon (15 mpg) fahren; 1987 lag der Durchschnitt bei 26 mpg.

Seitdem verschlimmert sich der Verbrauch wieder. Das Problem: Während im CAFE der Verbrauch für eine bestimmte Autogröße festgelegt wird, kaufen die Menschen einfach größere Autos. Seit 1987 ist das durchschnittliche Gewicht eines US-Autos um 24% gestiegen - die durchschnittliche Pferdestärke gar um 93%. Heute liegt der Verbrauch bei 24 mpg - rund 10 Liter pro 100 km.

Dabei wäre die Lösung nicht nur einfach, sondern auch deutsch: Ein Gallon könnte jedes Jahr mit 10 Cent über 10 Jahre zusätzlich besteuert werden. Dann hätten die Menschen Zeit, um ihre Kosten trotz steigender Preise zu senken (im Augenblick kostet ein Liter Benzin in den USA etwa € 0,60). Das Signal wäre gesetzt. Die Menschen würden sparsamere Autos kaufen und die Industrie müsste nicht überwacht werden, damit Standards erfüllt werden, sondern sie würden ganz einfach auf den Markt reagieren.

Und damit die Ärmeren nicht von steigenden Preisen überrollt werden, könnte man diese Ökosteuer in den öffentlichen Personennahverkehr, statt in die Senkung von Lohnnebenkosten investieren, denn die USA leiden eher an mangelndem ÖPNV als an hohen Lohnnebenkosten.

Solche Vorschläge gibt es unter Experten zuhauf in den USA, nur ist das Land noch nicht bereit für eine solche öffentliche Diskussion, denn man versteht in den USA leider nur Steuer- und Preissenkung. Selbst Peak Oil (Peak oil: Steigende Preise, sinkende Förderung) ist noch kein Thema; stattdessen wird allen Ernstes in einer angesehenen Wirtschaftszeitschrift eine Halbierung des Barrelpreises bis zum Sommer in Aussicht gestellt:

When do you think oil will hit the $26 to $30 range?

A: The next two to three months are going to see oil prices fall hard.

Man kann auch nicht hoffen, dass die USA bald nach "best practices" im Ausland schauen werden, denn die Amerikaner sehen ihr Land immer noch als die unangefochtene Nummer 1, oder wie Bush in seiner Rede zum Energieplan sagte:

Free societies are able to adjust to the times. And we're the freest of free societies. We're a society where it doesn't matter where you were raised or where you're from; if you've got a dream, you can pursue it and realize your dream.

Den Beweis, dass man in den USA leichter als etwa in Norwegen, Frankreich oder der Schweiz durch soziale Schichten aufsteigen kann, wenn man sich nur anstrengt, ist der Erbe der Bush-Dynastie schuldig geblieben. Eines ist aber klar: Die USA wollen sich durch Innovationen und Stärke vor der Energiekrise retten, nicht etwa durch Energiesparen. Die landläufige Meinung lautet: we cannot conserve our way out.

Das bodenlose Niveau der Debatte wird aber erst klar, wenn man sich die neoliberalen Gegner des Energieplans näher anschaut. Kritik kommt nämlich nicht nur aus den Reihen der Umweltschützer und Sicherheitsbeamten, sondern auch von Wirtschaftswissenschaftlern, die nicht verstehen können, warum die Regierung sich überhaupt in den Markt einmischen soll. So etwa das erz-neoliberale Cato Institut, das 2004 schon ihre Kritik kundtat:

Why must the government establish a "coherent energy policy"? Generally, we've left decisions about energy investments to private investors. Five- or ten-year economic plans are traditionally the stuff of Russian Politburos, not American presidents. It's amazing to hear Republican politicians argue that, absent some guidance from Washington, businessmen will blindly stumble through the marketplace, unable to intelligently invest in the energy sector absent some sort of congressional blueprint. It's also insulting to one's intelligence to hear politicians claim that, absent political interference in the marketplace, consumers will not have the faintest idea how to conserve energy or even be aware of the benefits of doing so in the face of high prices.

Es mag sein, dass es eine Beleidigung ist, wenn man sagt, die Verbraucher hätten keine Ahnung, wie sie Energie sparen können, aber es ist auch eine Tatsache. In den USA haben immer noch fast alle Kaffeemaschinen eine Warmhalteplatte statt einer Thermoskanne, obwohl die Menschen auch nur heißen Kaffee haben wollen und nicht etwa einen hohen Stromverbrauch. Auch in Deutschland wird erst seit kurzem dank der Energiekennzeichnung auf den Verbrauch von Haushaltsgeräten geachtet.

Punkt 8 verrät schlussendlich, dass es im Energieplan überhaupt nicht um die Energieunabhängigkeit des Landes, sondern um Profite für Energiekonzerne geht. MTBE ist ein Zusatz, der dem Benzin beigemischt wird, um die Oktanzahl zu erhöhen. In Europa darf laut der EU-Richtlinie 98/70/EG bis zu 15% MTBE beigemischt werden, aber in der Praxis wird weniger beigemischt: im Normalbenzin 0,43%, im Super 3,0% und im Superplus 10,2%.

MTBE wird als "Antiklopfzusatz" seit der Abschaffung des Bleis im Benzin verwendet. In den USA sind in den letzten Jahren Energiefirmen angeklagt worden, weil MTBE aus Tanks unter Tankstellen ausgetreten ist und das Grundwasser verseucht hat. Der Energieplan sieht also nun vor, diese Firmen vor den rund 80 Klagen in Schutz zu nehmen. Zumindest bei diesem Punkt sowie beim Arctic National Wildlife Refuge dürfte der Senat Einwände äußern.

Craig Morris übersetzt bei Petite Planète Translations. Vor kurzem ist sein Zukunftsenergien in der Telepolis-Reihe erschienen.