Der sicherste Ort in den USA

Warum Manta in New Orleans geblieben ist

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Manta (Name von der Redaktion geändert) und seine Frau sind in New Orleans geblieben. Craig Morris, ein in Deutschland ansässiger New Orleanian, sprach mit ihm am Montag Abend, New-Orleans-Zeit, über seine erste Woche in der evakuierten Stadt - und über seine Pläne. Manta hat einen analogen Telefonanschluß, aber weder Strom noch Wasser. Manta arbeitet in der Küche eines Restaurants in New Orleans.

Warum seid ihr geblieben?

Manta: Wir hatten keine Möglichkeit, die Stadt zu verlassen. Wir besitzen kein Auto. Wir haben nur Fahrräder. Wir besitzen unser Haus. Es gab mehrere Gründe. Wir wohnen mehr als einen Meter über dem Meeresspiegel. Vor einer Überflutung hatten wir keine Angst. Und wir haben viele Katzen. Das ist der eigentliche Grund.

Ihr habt einen Orkan erwartet, aber eine Flut bekommen. War die Entscheidung richtig?

Manta: Wir wussten, dass was Schlimmes kommt, aber mit so was hat niemand gerechnet, auch nicht die Behörden. New Orleans war im 9th Ward überflutet wie immer. Aber als der 17th Street Canal 12 Stunden nach dem Sturm nachgab, wähnten sich alle schon in Sicherheit.

Wie habt ihr denn die letzte Woche ohne Strom und Wasser verbracht? Wie esst ihr?

Kochen können wir nicht. Wir essen aus Dosen und viel Trockenes

Manta: Wir hatten vorgesorgt. Wir hatten sogar noch Lebensmittel von früheren Stürmen, die glimpflich verlaufen sind. Es kam zu Plünderungen, an denen wir auch teilgenommen haben. Die Polizei vor Ort hatte das auch zugelassen.

Warum habt ihr das gemacht?

Manta: Um mehr Vorräte zu bekommen. Wir hatten genug für so zwei Wochen, aber nun haben wir genug für mindestens einen Monat.

Wie kocht ihr?

Manta: Kochen können wir nicht. Wir essen aus Dosen und viel Trockenes.

Ihr denkt also immer noch nicht daran, die Stadt zu verlassen?

Manta: Nein, meine Frau ist hier geboren, und sie weigert sich hartnäckig. Sie will nicht gehen.

Man wird der Natur von New Orleans nicht gerecht, wenn man Jazz und Blues als die Musik der Armen und Unterdrückten versteht. In New Orleans geschah etwas anderes. Das Leben war schön dort. Die Uhren gingen langsamer; man lachte gerne; man küsste gerne; es gab Freude. - Anne Rice, Autorin u.a. von "Interview mit einem Vampir," in New Orleans geboren

Neujahrsdeko im French Quarter. New Orleans stimmte mit einer überwältigenden Mehrheit gegen George W. Bush. Die Stadt wird von den Demokraten dominiert und ist zu rund 70% schwarz.

Ist die Stadt sicher?

Manta: Im Moment würde ich sagen: wahrscheinlich der sicherste Ort in den USA. Es gibt unglaublich viele Truppen und Polizei. Aber in den ersten Tagen war das Aufgebot schwach, um es milde auszudrücken. Zu langsam und zu wenig. Du wirst Geschichten darüber hören, dass das FBI und DEA hier Leute am Tag des Sturms hatten, die patrouillierten. Das ist eine dreiste Lüge. Hier war niemand.

Bienville baute New Orleans auf diesem Fleck aus einem Grund: Der Ort ist leicht zugänglich. Die Stadt zwischen dem Mississippi-Fluss und Lake Pontchartrain war schon 1718 leicht zu erreichen. - Die Times Picayune, die Tageszeitung von New Orleans, verlangt Antworten von George Bush

Die Polizei der Stadt musste im Dunkeln arbeiten, nachdem Ihre Kommunikationssysteme ausgefallen waren. Ein Polizeibeamter wohnt gegenüber von mir. Deshalb habe ich beste Informationen. Wenn sie auf Menschen stießen, waren sie auf sich gestellt. Wenn sie auf Kriminelle stießen, waren sie auf sich gestellt. Sie hatten nicht genug Kräfte und nicht genug Waffen. Sie taten was sie konnten, um diese Stadt zusammenzuhalten und sie vor der Selbstzerstörung zu bewahren.

Wer steckt hinter diesen Ausschreitungen? Drogensüchtige? Verrückte?

Manta: Es klingt rassistisch, aber die meisten waren junge, schwarze Männer mit der Einstellung von Zuhältern, Gangstern, Schlägertypen - die Mentalität, die unter den ausgegrenzten Jugendlichen Amerikas so weit verbreitet ist. Für viele war es am Anfang eine Gaudi. Sie klauten limousines vom Limousine Livery, sind rumgegurkt, als wären sie was Besonderes - und schossen auf die Menschen aus den Limos. Die Polizei hatte zumindest mit denen gute Chancen, weil sie irre auffielen in diesen riesigen Karren. Die meisten von ihnen sind unter Kontrolle. Aber in unserer Gegend gab es nicht so viele Ausschreitungen.

Was sagen deine Nachbarn? Sind sie schon weg oder auf dem Weg?

Manta: Es wird ruhig. Die National Guard hat heute eine ältere Dame, die gegenüber wohnte, aus Gesundheitsgründen mit genommen.

Dürft ihr denn bleiben?

Manta: Das ist uns auch nicht klar. Der Direktor der Homeland Security sagt, New Orleans unterstehe nun dem Bund. Das Kriegsrecht besagt ja, dass sie in Häuser einmarschieren und Leute abschleppen können. Aber jeder Polizist und National Guardsman, den wir getroffen haben, hat uns zwar bestätigt, dass sie das Recht haben, aber dass sie es noch nicht ausüben.

Der Bürgermeister sagte heute morgen auf einer Pressekonferenz, dass alle die Stadt verlassen sollten, aber rund 10-20.000 Menschen wollen hier bleiben.

Ich versuche, diejenigen nicht zu hassen, die das alles haben geschehen lassen. Ich höre Bundespolitiker behaupten, man hat diese Katastrophe nicht kommen sehen. Das ist eine klare Lüge. Als Reisegruppenleiter in New Orleans habe ich immer gescherzt, dass New Orleans eines Tages zum neuen Atlantis wird. - Reisegruppenleiter aus New Orleans

Als New Orleanian glaube ich, dass alle das haben kommen sehen. Es gehört zur Stadtlegende, dass die Stadt irgendwann untergeht. Nun haben wir der Welt gezeigt, dass wir es zugelassen haben, dass ein Teil unserer Gesellschaft ohne Hoffnung lebt. Du hast von dieser Zuhältereinstellung gesprochen. Findest du die ganze Sache nicht beschämend?

Manta: Nicht wirklich. Man findet so was in jeder großen Stadt in den USA. Das ist eine kulturelle Sache. Ich bin fast 40 und weiß. Ich kann nicht sagen, dass ich diese Einstellung nachvollziehen kann. Die Typen glauben, jemand schuldet ihnen was. Ich schulde denen einen Scheißdreck.

Sie gehören für dich nicht zu den Ausgegrenzten, von denen du soeben gesprochen hast? Hätte die Stadt nichts für sie machen können?

Manta: Nein. Jeder von ihnen durfte eine Schule besuchen. Keiner wurde abgewiesen. Sie haben selbst entschieden, die Schule nicht zu Ende zu machen und Arbeit zu suchen. Sie sind selbst verantwortlich.

Es gab überhaupt keinen Notplan

Du meinst die Gangster, nicht die Armen, die am Superdome abgeblieben sind, weil sie die Stadt nicht verlassen konnten, oder?

Manta: Das ist ja nicht nur beschämend, das ist eine Travestie. Es gab überhaupt keinen Notplan. Der Bürgermeister sagte, alle sollten zum Superdome, wenn sie sonst nirgends hinkönnen. Es gab aber keinen Plan, was danach passieren soll. Deshalb hatten wir Vergewaltigungen, Suizide, Morde. Dann machten Sie den Superdome dicht, weil er überfüllt war, und pferchten die Leute auf dem Expressway [einer erhöhten Schnellstrasse über der Stadt - CM] ein, damit sie nicht im Wasser stehen mussten. Diese Menschen darbten tagelang dort oben ohne was zu essen und trinken. Keine Hilfe. Kein Rotes Kreuz, kein FEMA.

Der Präsident von Jefferson Parish, Aaron Broussard [hier ein Interview mit ihm im US-Fernsehen " sehr zu empfehlen! - CM] ist quasi am Donnerstag um 18 Uhr mit seinem Parish aus den USA ausgetreten. Er verhängte selbst das Kriegsrecht, damit er und Sheriff Lee das Parish zurückerobert konnten. Er hat eine hervorragende Arbeit geleistet. Der Typ ist mein neuer Held. Er ist der erste Beamte aus der Gegend, der die Sache selbst in die Hand nahm und dem Bund sagte, ihr helft uns nicht, dann helfen wir uns selbst.

Mayor Nagin ist selbst landesweit zum Held geworden, weil er Bush ausgeschimpft hat. Dabei ist das ein reicher, republikanischer Geschäftsmann, der seine Wahlkampagne aus der eigenen Tasche finanzierte und erst für diese Wahlen zu den Demokraten rüber wechselte, weil ein Republikaner hier nie gewählt würde. Hat er auch nicht irgendwo bei dieser Krise versagt?

Manta: Das ist die letzte Frage bei "Wer wird Millionär". New Orleans ist eine Stadt in den Vereinigten Staaten von Amerika. Vier Tage vergingen, ehe Hilfe ankam. Das Rote Kreuz ist immer noch nicht hier - sie sagen, wegen der Gewalt. Arbeiten sie nicht in Kriegsgebieten? Ich bin wirklich angewidert und entsetzt.

Euer Haus ist gerettet. Wie sieht es mit deinem Arbeitsplatz aus?

Manta: Das Restaurant war vor wenigen Tagen unter Wasser.

Wie geht es denn weiter? Dann hast du monatelang keine Arbeit. Geschäfte werden geschlossen bleiben.

Manta: Das wissen wir nicht. Unsere Verwandten außerhalb der Stadt sagen, wir sollten zu ihnen kommen, aber meine Frau möchte bleiben.

Sprechen die Menschen aus New Orleans davon, die Stadt aufzugeben?

Manta: Nicht die, die geblieben sind.

Viel Erfolg, Manta. Ich wäre gerne bei euch.

Manta: Thanks, man.