Der "stringende" Holländer

ESOF-Konferenz: Im Galopp über den hindernisreichen Parcours der theoretischen Kosmologie

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Er flog nach München und dozierte im Deutschen Museum in der Luftfahrthalle über Schwarze Löcher, Strings und das Ende von Zeit und Raum. In einem interessanten Vortrag mit dem schönen Thema "Strings, black holes and the end of space and time", den Prof. Robert Dijkgraaf aus Amsterdam im Rahmen des Euroscience Open Forums (ESOF) 2006 und des Münchner Wissenschaftssommers hielt, lud der Holländer zu einer Reise in bzw. durch die faszinierende Landschaft der Kosmologie ein. Das Ziel seiner Exkursion war die Stringtheorie ...

Ja, was waren das noch für Zeiten, als die in der früheren Handelsmetropole Milet (heutige Türkei) lebenden Philosophen, die fürwahr ersten echten "Naturwissenschaftler" der Menschheitsgeschichte, erstmals den Versuch starteten, die Welt anhand mythologischer Metaphern und Analogien zu erklären und nicht zu verklären. Ausgehend von dem Credo, dass nichts aus dem Nichts kommen kann und die Welt sich daher irgendwann einmal aus einem Urchaos gebildet und geordnet haben muss, machten sie für deren Beginn nicht mehr irgendwelche mythologisch glorifizierten Götter verantwortlich, sondern entwickelten ohne jegliches empirisches Wissen und ohne astronomisches Instrumentarium - allein durch die Kraft und Kreativität ihrer Gedanken - Modelle und Theorien, die samt und sonders nur darauf abzielten, den Urgrund der Welt in einem stofflichen Prinzip zu suchen.

Antikes Atom

Um Ordnung in den chaotischen Urzustand zu bringen, suchten die Denker jener Epoche nach dem Urstoff aller Materie (arche), aus dem sich alle anderen Dinge entwickelt haben mussten. Aus dem Chor der zahlreichen antiken Kosmologen, die den Beginn der Welt zu ergründen versuchten, ragen dabei die beiden Denker Leukippos aus Milet (um 450-370 v. Chr.) und Demokrit (um 460-370 v. Chr.) heraus.

Sie waren zumindest quellenmäßig nachweislich wohl die ersten Menschen, die postulierten, die Welt bestehe ausschließlich aus Atomen und leerem Raum. Atome (griech. atomos = "das Unteilbare") - das waren für die beiden Griechen kleine, unsichtbare, allerdings ewige und unzerstörbare Teilchen, die sich jeweils durch ihre Form, Gestalt und Größe voneinander unterschieden. Alle Atome seien aus dem gleichen "Stoff" gemacht und können sich untereinander verbinden. Dabei sei die Entstehung der Welt eine Folge der unablässigen Bewegung der Atome im Raum.

Der griechische Philosoph Demokrit (460 - 371v.Chr.), Begründer der Atomhypothese. Bildnachweis: unbekannt

Mag sein, dass Leukippos' und Demokrits Atommodell mit dem heutigen herzlich wenig gemein hat. Dennoch stellt die von beiden angedachte Verbindung der Unendlichkeit der Welt mit einer auf atomistischen Prinzipien beruhenden Kosmogonie für die damalige Zeit eine bemerkenswerte intellektuelle Leistung dar. Retrospektiv kamen beide Philosophen der naturwissenschaftlichen Wahrheit erstaunlich nahe.

Postmoderner String

Ob in 2400 Jahren Kosmologen über die Theoreme ihrer Vorgänger aus dem beginnenden 21. Jahrhundert ähnlich urteilen werden, wird die Zeit zeigen, wie es so unschön heißt. Vielleicht ist es angesichts solch wenig tröstlicher Worte nur allzu verständlich, dass es immer noch Wissenschaftler gibt, die entgegen aller Widerstände Theorien postulieren und verteidigen, die in der aktuellen Forschungsdebatte eher kontroverser Natur sind.

Eine davon ist die so genannte Stringtheorie. Und einer, der sich ihr leidenschaftlich verschrieben hat, ist der holländische Physiker und Mathematiker Robbert Dijkgraaf vom Institut für Theoretische Physik der Universität von Amsterdam (Niederlande).

Dass die Stringtheorie tatsächlich einen viel versprechenden Ansatz bietet, ist nicht neu. Ausgehend von der Überlegung, dass Elementarteilchen nicht punktförmig sind, so wie wir uns Quarks und Leptonen vorstellen, sondern eine Ausdehnung in einer fadenförmigen Schlaufe (String) oder in zwei Dimensionen (Membran) besitzen, zielt die Theorie darauf ab, das gesamte Universum, vom kleinsten subatomaren Teilchen, bis zum größten Galaxienhaufen, mit einer einzigen grundlegenden Idee zu beschreiben: mit der so genannten Weltformel, der "Theory of Everything" (TOE).

Unendliche Weiten in einem unendlich endlichen Kosmos. Bildnachweis: NASA, ESA, J. Blakeslee and H. Ford (John Hopkins University)

Nach ihr suchen Astrophysiker weltweit in interdisziplinärer Anstrengung. Worum es bei dieser Theorie geht, ist einfacher geschrieben als berechnet. Schließlich geht es um den weltbewegenden Versuch, die Weltformel zu finden respektive die beiden Grundpfeiler der Physik, die Quantenmechanik und die Allgemeine Relativitätstheorie (ART), auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.

Stringtheorie zieht andere Saiten auf

Bereits im Jahr 1984 stellten die beiden Physiker Michael Green und John Schwarz die Stringtheorie auf. Sie gehen davon aus, dass unser Universum nicht über vier Dimensionen (eine für die Zeit und drei für den Raum) verfügt, sondern über zehn. Diese zusätzlichen Dimensionen sind dabei zu winzigen, schwingenden Saiten aufgerollt, die sich jeglicher wie auch immer gearteten Beobachtung entziehen. Das Universum, so ihre These, sei gefüllt mit diesen Saiten, den Strings, die in offener und geschlossener Form existieren und in denen sich alle verschiedenen Elementarteilchen in unterschiedlichen Anregungszuständen manifestieren.

In anderen Worten: Die fundamentalen Bausteine der Materie und die Feldquanten der Wechselwirkungen werden in der Stringtheorie als Schwingungen, d. h. Anregungszustände von eindimensionalen Strings oder zweidimensionalen Membranen in höher dimensionalen Räumen interpretiert. Auch Raum und Zeit werden zu abgeleiteten Größen. Beim Versuch eine Stringtheorie zu entwickeln, die mit den Prinzipien der Quantenmechanik vereinbar sein soll, wird deutlich, dass die Raumzeit eine spezielle Anzahl von Dimensionen haben muss. Eine realistischere Theorie, die auch fermionische, also halbzahlige Spin-Freiheitsgrade beinhaltet, muss in 10 Raum-Zeit-Dimensionen formuliert werden: mit einer Zeit-Richtung und neun Raum-Richtungen. Die Vorstellung ist hier, dass sich sechs der neun Dimensionen aufgerollt haben.

Im Galopp

Auch Robert Dijkgraaf aus Amsterdam assoziiert mit der Stringtheorie ein in jeder Hinsicht Erfolg versprechendes Modell, mit dem der Bogen von der Quantenphysik zur ART geschlagen werden könnte. Jedenfalls peitschte der Forscher in seinem Vortrag im Deutschen Museum in München sein Publikum praktisch im Galopp über den hindernisreichen Parcours der theoretischen Kosmologie.

Von Einstein bis Hawking griff Dijkgraaf quasi alle wichtigen Schlagwörter auf, die bereits im letzten Jahrhundert aufkamen und heute den Stoff für Forschungskontroversen liefern. Raumzeit, Krümmung des Alls, Gravitationswellen, Quarks Planck-Länge oder Schwarze Löcher sowie Dunkle Energie bzw. Dunkle Materie - das Spektrum, mit dem der "Deichgraf" (wie ihn eine Münchner Journalistin liebevoll titulierte), das Plenum unter Zuhilfenahme von Powerpoint thesenartig fesselte, war vielleicht um einige Nuancen zu groß und an vielen Stellen aufgrund der knappen Zeit bestenfalls oberflächlich, dafür aber hochinteressant.

Robert Dijkgraaf. Bildnachweis: Petra Spiljaard

Ungewöhnlich war etwa seine Antwort auf die imaginäre Frage, was heutzutage die größte Herausforderung der Astrophysik sei. "Nichts!", so Dijkgraaf unkommentierte Antwort. Natürlich wolle man "alle Kräfte miteinander vereinigen" und den Weg fortsetzen, den schon viele zuvor gegangen sind. Es gelte auch weiterhin, das Wesen der Welt mithilfe der Mathematik zu erfassen und in Formeln zu beschreiben, um die Physik des Mikrokosmos mit der des Makrokosmos zusammenzubringen. Und hierfür sei die Stringtheorie geradezu prädestiniert. "Sie bietet einen sehr sauberen Weg, um beide Theorien miteinander zu vereinen. Im Moment ist sie unser seriösester Kandidat. Aber letzten Endes ist sie nur eine Theorie - mehr nicht", gesteht Dijkgraaf.

Information ist wichtiger

Wer das Universum in der Sprache der Mathematik beschreiben will, muss sich intensiv mit der Quantenwelt auseinandersetzen. "We have to understand the physics of quantums!", so Dijkgraafs Originalkommentar. Ein Lösungsweg, sich diesem Problem zu nähern, besteht in dem genauen Studium von Singularitäten. Während der Urknall aus einer Singularität "entstand", finden sich Singularitäten in allen Schwarzen Löchern, vornehmlich in jenen, die nahezu in allen galaktischen Zentren als supermassive Objekte den physikalischen Gesetzen den Garaus machen.

Deshalb seien derlei Gebilde die besten Kandidaten, um das Wesen von Singularitäten zu verstehen und sich der Stringtheorie in Ansätzen zu nähern. "Singularitäten stoppen nicht nur die Gesetze der Gravitation. In ihnen enden auch Zeit und Raum". Was da im Schwarzen Loch endet, ist nicht allein Raum und Zeit, sondern in erster Linie Materie, erklärt der Holländer, besser gesagt Information - das alles Bestimmende in diesem Universum. "Reine Information ist wichtiger. Sie ist der Boden der Strukturen."

Es ist beinahe ein unbeschriebenes kosmisches Gesetz: Aber auch im Zentrum dieser Galaxie haust ein Schwarzes Loch.

Dass das Studium von Singularitäten in Schwarzen Löchern nur im Gedankenexperiment bzw. im Computermodell möglich ist, liegt in der Natur der Sache. Dennoch könnte Dijkgraafs Vorschlag substantiell sein. Schließlich beinhaltet die Stringtheorie eine Quantenversion der Gravitation. Mit ihr wäre - falls sie sich als korrekt erweist - eine Voraussetzung zur Beschreibung der Prä-Planck-Zeit gegeben. Damit wären in der Tat erste Ansätze für die Möglichkeit eines Pre-Big-Bang-Szenarios gegeben.

Danach begann der Kosmos als ein kalter und im Wesentlichen unendlich großer Raum. Aufgrund einer Instabilität beginnt eine Implosion, die bei einer minimalen Ausdehnung von der Größenordnung der Planck-Länge in eine inflationäre Expansion übergeht. Wäre dies in einem String-Universum möglich gewesen? Vielleicht werden Kosmologen in 2400 Jahren über eine solche Frage, an der sich heute viele Wissenschaftler die Zähne ausbeißen, nur noch schmunzeln.