Der stumme Abschied der Singvögel

Seite 4: Sind Windkraftanlagen ein Störfaktor?

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Naturschützer und Vogelfreunde beurteilen Windkraftanlagen (WKA) kritisch, da sie das Verhalten von Brut- und Zugvögeln beeinträchtigen. Eine Studie des NABU von 2006 stellt fest, dass bei den rastenden, nahrungssuchenden oder brütenden Vögeln vor allem einige Watvogelarten dauerhaft die Nähe von WKAs meiden - vor allem die seltene Uferschnepfe. Feldlerchen und Rohrammern hingegen brüteten ungestört in ihrer Nähe. Graureiher, Greifvögel, Austernfischer, Möwen, Stare und Krähen hielten sich sowohl in der Nähe als auch innerhalb der Windparks auf.

Einige Brut- und Rastvögel scheinen sich im Laufe der Zeit an die Windräder zu gewöhnen, das heißt, sie reagieren nicht mehr negativ auf Objekte. Kiebitze, Feldlerchen und Wiesenpieper reagierten während der Brutzeit sehr unterschiedlich: Einige Paare gewöhnten sich an die Anlagen, andere nicht. Dieser Effekt kann offenbar nicht auf die gesamte Vogelwelt geschlossen werden.

Foto: Susanne Aigner

Vögel, die in offenen Landschaften leben, nehmen große Anlagen viel stärker als Bedrohung wahr, deren weniger tief reichenden Rotoren die kleineren Singvögel, die sich mehr in der Nähe des Bodens aufhalten, dafür weniger tangieren dürften. Diskutiert wird vor allem die Barrierewirkung von Windkraftanlagen. Stehen Anlagen direkt im Weg, ändern Zugvögel ihre Flugrichtung oder umfliegen sie, wofür sie mehr Energie und Kraft verbrauchen.

Als besonders empfindlich erwiesen sich Gänse, Milane, Kraniche und etliche Kleinvogelarten. Kormorane, Graureiher, Enten, einige Greifvögel, Sperber, Mäusebussard, Turmfalke, Möwen und Seeschwalben, Stare und Krähen hingegen änderten mühelos ihre Flugrichtung. In extremen Fällen können Windparks auch wichtige Lebensräume der Vögel zerschneiden. Immer wieder kommt es vor, dass vor allem Zugvögel mit besonders hohen Anlagen kollidieren.

In Deutschland starben im Sommer 2004 allein 40 Rotmilane, 24 Bussarde und zehn Turmfalken, neun Kolkraben und neun Grauammern. Hinzu kämen die toten Vögel, die nicht gefunden wurden. Die kleineren Singvögel sind auch hier im Vorteil: Sie stoßen deutlich seltener mit Windrädern zusammen. Häufig finden sie im darunter entstehenden Brachland, auf dem sich Staudenfluren und Gebüsche entwickeln, sogar ideale Nistbedingungen.

Der Einfluss des Klimawandels auf die Vogelwelt

Vogelkundler haben errechnet, dass sich bis zum Ende dieses Jahrhunderts die Verbreitung europäischer Brutvögel bis fast 550 Kilometer, bei vielen Arten sogar um 1.000 Kilometer nach Nordosten verschieben wird. Die Fläche, auf der eine Vogelart lebt, kann sich dabei um ein Fünftel reduzieren. Dabei hängt es von ihren Ansprüchen an das Klima ab, ob sie beim Klimawandel gewinnt oder verliert. In Mitteleuropa wird es wohl mehr Verlierer geben, vor allem unter den Singvögeln.

Der Schlagschwirl zum Beispiel, dessen Brutgebiet sich von Westsibirien bis ins östliche Mitteleuropa erstreckt, breitet sich schon jetzt immer weiter nach Westen aus. Bald wird er in Ostdeutschland nicht mehr zu finden sein. Weiß- und Schwarzstörche werden ebenso wie der Zwergschnäpper künftig nur noch im Südosten Deutschlands brüten.

Storchennester. Foto: Susanne Aigner

Einige Arten wie der Trauerschnäpper, Gelbspötter, welche am liebsten Laub- und Mischwälder und städtische Parkanlagen besiedeln und einige Eulenarten wie der Sperlings- und Raufußkauz werden künftig nur noch in den Alpen und im Voralpenland brüten.

Naturschützer befürchten, dass das Verbreitungsgebiet der Bekassine auf die Hälfte zusammenschrumpft. Sie und der Wiesenpieper werden bald nur noch am Alpenrand oder entlang der Küste brüten. Der Fitis ist nur noch auf die Region im Süden und Nordwesten Deutschlands beschränkt. Das Verbreitungsgebiet von Wachtelkönig, Kiebitz, Waldschnepfe, Hohltaube, Schwarz- und Mittelspecht, Heckenbraunelle, Braunkehlchen, einigen Drosselarten, Schilfrohrsänger, Klapper- und Gartengrasmücke sowie Winter- und Sommergoldhähnchen und sogar dem Haussperling würde in naher Zukunft etliche Lücken aufweisen.

Auf der anderen Seite werden sich einige Arten wie Zwergohreule, Alpensegler, Wiedehopf und Bienenfresser, die bei uns eher selten zu sehen waren, flächendeckend in Deutschland ansiedeln. In einigen Teilen des Landes brüten künftig Blaumerle, Kurzzehenlerche, Cisten- und Seidensänger. In Norddeutschland werden sich Triel, Samtkopf- und Weißbart-Grasmücken niederlassen.

Rotkopfwürger und Berglaubsänger leben heute eher im Süden Deutschlands. Bald könnten sie sich auch in Nordwestdeutschland ausbreiten. Der Orpheusspötter, von dem hierzulande nur einzelne Brutpaare siedeln, könnte sich bis zum Ende des Jahrhunderts in den Norden und Westen Deutschlands und die nur in Südwestdeutschland vorkommenden Zaun- und Zippammern sich in ganz Deutschland ausbreiten. Auch das Schwarzkehlchen würde häufiger auftreten.

In den Ländern südöstlich der Ostsee ist die Dichte der Vogelarten derzeit am größten - noch. Bis zum Ende des 21. Jahrhunderts soll sich diese Region mit der größten Artenvielfalt bis ins nordöstliche Skandinavien verschieben. In Süd- und Westeuropa hingegen werden immer mehr Brutvogelarten verschwinden.

Ausblick

Die Gründe für das Artensterben sind komplex. Globalisierung, Klimaerwärmung spielen neben Waldrodung und ausgeräumten Landschaften sicher die wichtigste Rolle. Worldwatch geht davon aus, dass im Laufe des nächsten Jahrhunderts zwölf Prozent der gesamten Vogelwelt - das sind 1200 Arten - weltweit verschwinden.

Was kann der Einzelne tun?

Einen Weg zeigt der NABU: Mit Hilfe tausender großer und kleiner Naturfreunde erstellt er zwei Mal jährlich eine Liste derjenigen Arten, die in Deutschland am meisten zu beobachten sind. Das ist nicht nur hilfreich für die Statistik, auch der Blick für die Vogelwelt wird geschärft. Außerdem kann man nur schützen - und schätzen - was man kennt. Ein Grund mehr, bei der nächsten Stunde der Gartenvögel aktiv zu werden.