Der stumme Abschied der Singvögel

Seite 3: Jagd auf Zugvögel

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Die Adriatic Flyway ist eine der drei Hauptflugrouten der Zugvögel von Nordeuropa nach Afrika. Sie führt über Polen, Ungarn, den Balkan, die Adria, Sizilien und Malta. An den Küstengebieten suchen die erschöpften Tiere nach ihrer langen Reise Nahrung und Erholung für die nächste Etappen auf dem Weg nach Afrika - und laufen den Jägern direkt vor die Flinte. Die Vogeljagd ist in Südeuropa ein beliebter Freizeitsport.

Dabei geht es den meisten nicht darum, das Fleisch zu essen, sondern einzig um die Trophäen, mit denen sie ihr Heim schmücken oder Handel treiben. Schätzungen zu Folge werden entlang der Route jedes Jahr rund zwei Millionen Zugvögel erlegt.

Malta ist Schauplatz besonders aggressiver Vogeljagden. Im Herbst und im Winter stellen die Jäger hier mehr als 30 Vogelarten nach. Die Jagd im Frühjahr ist durch eine Sondergenehmigung der EU legalisiert. Dabei entzieht sich jeder Kontrolle, ob die Jäger wirklich nur die für den Abschuss erlaubten Vogelarten töten.

Bis in den April hinein werden Finken lebend gefangen, bis in den Mai müssen Wachteln und Turteltauben dran glauben. Dem Abschuss preisgegeben sind Wat- und Wasservögel genauso wie Feldlerchen, Greifvögel, Reiher, Pirole und Bienenfresser. Zwar werden Bußgelder verhängt, doch die sind so lächerlich gering, dass sie die Jäger kaum abschrecken. So kann ein Löffler auf dem Schwarzmarkt schon mal 700 € einbringen.

Die größte Vogelfanganlage der Welt

An der ägyptischen Mittelmeerküste befindet sich die größte Vogelfanganlage der Welt: Auf einer Länge von 700 Kilometern sind Fangnetze vom Gazastreifen bis zur libyschen Grenze installiert. Jeden Herbst ist hier Endstation für 140 Millionen Zugvögel aus Europa, die auf dem Weg in den Süden sind. Einmal ins Netz gegangen, reißt man ihnen die Schwungfedern aus, um sie flugunfähig zu machen.

Auf den umliegenden Märkten werden sie verkauft, getötet und verzehrt. Mit einem Protestschreiben will der NABU die ägyptische Regierung dazu bewegen, diesen beispiellosen Vogelmord zu beenden. Die aktuelle Petition kann man im Internet unterzeichnen.

Das kroatische Neretva-Delta umfasst ein 200 Quadratkilometer großes Naturschutzgebiet. Hier kommen 47 Jäger auf einen Quadratkilometer! Früher waren mehr als 310 Vogelarten auf der Durchreise. 26 - darunter auch seltene - Vogelarten wurden zur Jagd freigegeben. Die Folge: Bereits 2005 gab es in den Sümpfen keine Blässhühner und Stockenten mehr.

Blässhuhn. Foto: Philippe Amelant, Lizenz: CC BY-SA 3.0

EuroNatur schätzt, dass jährlich rund 1.000 Moorenten illegal abgeschossen werden - etwa zehn Prozent des Bestandes in ganz Mitteleuropa! Auch die auf der Roten Liste geführte Bekassine (s. oben), darf in Kroatien von Mitte Oktober bis Ende März bejagt werden. Schätzungsweise erliegen europaweit jedes Jahr eine halbe Millionen Bekassinen der tödlichen Kugel. Häufig wird die Beute über die Adria nach Italien geschmuggelt.

Zwar drohen den Schmugglern bis zu 3000 € hohe Geldstrafen, doch Kontrollen sind selten. Ein Hoffnungsschimmer ist der Tourismus, der in Kroatien etwa 20 Prozent der wirtschaftlichen Einnahmen ausmacht. So könnte das Land mit seiner einzigartigen Vogelwelt um Touristen werben.

Vogelbeobachtung statt Vogeljagd wäre eine Alternative, von der alle profitieren - Erholungssuchende und Einheimische. Derzeit arbeiten Naturschützer gemeinsam mit lokalen Behörden und Einwohnern an tragfähigen Konzepten für echte Vogelschutzgebiete - die diesen Namen verdienen.