Der vertikale Sarg
Mit "Nicht Auflegen" hat Joel Schumacher nicht zuletzt eine Hommage an eine im Zuge des Strukturwandels im Verschwinden begriffene Techno-Ikone geschaffen: die Telefonzelle
Stu Shepard (Colin Farrell) ist ein smarter Medienjongleur. Im schicken Designeranzug eilt er durch die Straßen Manhattans und pokert über zwei Handys gleichzeitig mit Kunden und Redakteuren. Er lügt, er droht, er schmeichelt und zwischendrin findet er sogar ein paar charmante Worte für seine Ehefrau Kelly (Radha Mitchell). Ruhe sucht er in der letzten abschließbaren Telefonzelle auf der 53. Straße.
Von hier aus ruft er Pamela (Katie Holmes) an, eine junge Schauspielerin, mit der er seine Frau betrügt. Als er die Telefonzelle wieder verlassen will, klingelt es. Instinktiv nimmt er den Hörer ab und gerät in eine höllische Falle. Der Anrufer ist ein Scharfschütze und Serienkiller. Aus irgendeinem Hochhausfenster hat er sein Präzisionsgewehr auf ihn gerichtet. Er weiß alles über Stu. Er will, dass Stu seine Sünden bekennt. Seine Botschaft lautet: Wenn du den Hörer auflegst, bist du ein toter Mann. Die Telefonzelle als Gefängnis - so fängt ihre Geschichte eigentlich auch an.
Wenige Jahre nach der Erfindung des Telefons wurde 1888 die Telefonzelle in den USA von William Gray entwickelt. Die ersten Prototypen waren aufwendig und ausladend. Das ursprüngliche Patent sah einen aus Holz gemachten, vier oder fünf Quadratmeter großen Raum vor, mit einer gewölbten Decke, sowie einer starken Tür: Weil damals erst nach dem Telefonat bezahlt wurde, mussten Kunden eingeschlossen werden. Untersteht auch die zeitgenössische Telefonzelle dieser Disziplinierungslogik?
Ja, lautet die Antwort auf diese Frage, wenn man sich anschaut, wie private Betreiber den Nischenmarkt der öffentlichen Telefonie heutzutage erobern. Sie setzen auf moderne Interior-Technik: Über Ventilatoren wird Duftspray versprüht, leise Ambient-Musik erschallt aus unsichtbaren Lautsprechern - Kunden werden auf diese Weise für wenige Momente auf eine Fahrt in eine Fantasiewelt geschickt. Unmerklich, subliminal.
Ja, Telefonzellen sind räumliche Vorgaben für ein Lebensgefühl; sie sind High-Tech-Fahrstühle in Gebäuden des Unbewussten und haben längst mythische Züge angenommen, wie auch ein Werbemotiv nahe legt: Die Kabine ist ein räumliches Gefüge, das den Transportern aus "Star Trek" ähnelt, eine Sci-Fi-Maschine, die den Nutzer in eine andere Welt zu transportieren verspricht. Kurz, die Telefonzelle ist damit der Ort, an dem unumwunden Gehirnwäsche praktiziert werden kann.
Nein, lautet die Antwort auf den ersten Blick, wenn man gewahr wird, dass angestammte Telefonzellen-Betreiber immer öfter auf komplette Häuschen verzichten und stattdessen einfache Rufsäulen, an denen Dach, Seitenwände und Telefonbuch fehlen, installieren. Neben den Nachteilen (z.B. Straßenlärm) gibt es offenbar Vorzüge für hochgradig mobile Bürger: Fahrradfahrer etwa nutzen diese Telefone, ohne dabei absteigen zu müssen. Offenbar ist die Telefonzelle im Handy-Zeitalter ein im Verschwinden begriffener Ort. Ein Ort, der immer auch eine Privatsphäre zu generieren imstande war.
Die neue Transparenz passt gleichzeitig zu zwei einander konditionierenden Entwicklungen: Einerseits zur Privatisierung des öffentlichen Raumes, andererseits zum Verschwinden der Privatsphäre. Auf den zweiten Blick ist die technologisch hochgerüstete Rufsäule die Ikone des Überwachungsstaates.
Zahlreiche Ansätze lassen sich ausmachen, die versuchen diese Trends zu kaschieren. Häufig atmen diese Ansätze den Duft der Restauration. Denn neben den Versuchen die Telefonzelle mit Hightech zu modernisieren, werden immer häufiger architektonische Kunstgriffe herangezogen, die das Häuschen zum Kultort einer verblassenden Ära hochstilisieren, wie etwa ältere Telefonzellen in der Schweiz, die auf ihrem Pyramidendach ein kleines Krönchen in Form eines Telefonhörers tragen. Tierskulpturen wie Panda-Bären und Delphine bilden hingegen die Umrisse der Telefonhäuschen in Brasilien und China. Auch Sonnenblumen werden als Zierde herangezogen. Bildtapeten von Traumpartnern hängen an den zusehends farbenfroher werdenden Außenwänden.
Doch können diese nostalgischen Eingriffe wirklich vergessen machen, welche räumliche Funktion die Telefonzelle in den urbanen Zentren schon immer hatte? Ende der Achtziger wurden die öffentlichen Kartentelefone erfunden. Aktivisten klebten die Schlitze zu und verübten auch sonst vielfältige Anschläge auf diese "feindlichen Maschinen". Schließlich hatten sie richtig erkannt, dass Chipkartensysteme zu immer mehr Überwachung führen würden.
An diese Funktion der Telefonzelle erinnert auch Joel Schumacher mit seinem Film "Nicht Auflegen". Gleichzeitig hat er mit ihm eine Hommage an eine der letzten Techno-Ikonen der Old Economy geschaffen, die im Zuge des Strukturwandels von der urbanen Benutzeroberfläche komplett zu verschwinden drohen: die Telefonzelle.