Des Kaisers neue Kleider

Die Online-Ausgabe der Financial Times ist ab heute ein "Global Business Portal".

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Jahrelang hatte es das lachsrosane Wirtschaftsblatt seinen Lesern eingehämmert: Wer die IT-Revolution nicht von ganzem Herzen und mit voller Brieftasche anpackt, könnte schon bald dem Untergang geweiht sein. Mit dem heutigen Relaunch betritt das Blatt endlich den Weg, den es für andere längst als verbindlich vorgezeichnet hatte. FT.com möchte von nun an mehr sein als bloß Online-Ausgabe einer Tageszeitung sondern als "Global Business Portal" die Welt erobern.

So mangelt es in den Selbstdarstellungen Ad-Relaunch auf Seite 18 der heutigen Print-Ausgabe auch nicht an Superlativen. Der Relaunch sei "die bedeutendste Entwicklung in der Geschichte der Zeitung seit dem Druck der ersten internationalen Ausgabe in Frankfurt 1979". Damit gehe man große finanzielle Verpflichtungen ein und würde mit der größten redaktionellen Erweiterung auf einen Schlag substantiell in Journalismus investieren. Die Macher der Site entschieden "sich von ganzem Herzen dem Ethos der freien, von Anzeigen getragenen Information zu verschreiben". Und auch bei der Konkurrenz denkt man nicht etwa an das Kleinklein anderer Zeitungen im Netz sondern sieht sich im Wettbewerb mit Yahoo! Denn: Durch mehr Inhalte und mehr Power durch Partnerschaften werde die Site einen viel größeren Umfang an Inhalten und Dienstleistungen als das traditionelle Zeitungsmodell anbieten können.

Doch möglicherweise ist die Expansion in die Online-Welt nicht allein von zukunftsfreudigem Elan getragen. Denn die FT hatte zwar seit 1995 eine Online-Ausgabe, doch diese wirkte etwas richtungslos und war, liest man zwischen den Zeilen, nicht unbedingt ein voller Erfolg. Eine Million Seiten-Downloads (was immer damit gemeint ist) will man am Tag verzeichnet haben und das ist, jeh nachdem welche Zählmethode zu Grunde liegt, nicht mehr als auch ein gewisses mittelständisches Verlagshaus aus Hannover erreicht. Das üppige Online-Angebot der BBC z.B. ist ca. um das Zehnfache erfolgreicher. Auch die Erkenntnis, dass man redaktionelle Information im Internet am besten gratis und von Anzeigen finanziert anbietet, kommt etwas spät. Das Hin und Her der alten FT.com, die einmal nur mit, dann wieder ohne Registrierung zugänglich war, auch jeh nachdem, welchen Bereich man anklickte, lässt vermuten, dass man mit einem Subskribier-Modell spekulierte und erst abwartete, ob sich andere daran die Finger verbrennen.

Nun gibt es also die ganze Print-FT - und mehr - online, was zunächst erst Mal was Gutes ist. Ab nun muss der Rezensent nicht mehr morgens zu seinem asiatischen Newsagent um die Ecke wandern, von Ungewissheit geplagt, ob die neue Ausgabe nicht etwa schon vergriffen ist. Das Design ist, wie es sich für ein Traditionsmedium gehört, schlicht und auf Information fokussiert. Beratend hat dafür die Agentur Razorfish mitgeholfen. Ein Schmankerl bildet der per Mausklick aufspringende Navigationsbalken am linken Rand, der einen relativ einfach in die Tiefe der Ressorts und Branchen blicken lässt. Doch auch dieses Feature hat einen Nachteil: Klickt man dann auf einen der Artikel, verschwindet der Balken wieder und man muss ganz von vorne anfangen, wenn man in eine andere Rubrik gelangen will. Eine Übersicht in Form einer "täglichen Ausgabe" oder eine Selektion der wichtigsten Artikel scheint es nicht zu geben.

Damit ist auch schon das größte Problem der Site angedeutet. Sie bietet nicht etwa zu wenig sondern eher zuviel Information und diese zu wenig gut organisiert an. Neben "News & Analysis", was für Freunde der Print-Ausgabe der wichtigste Menüpunkt sein dürfte, gibt es zahlreiche Sonderbereiche, Special Reports, Länderberichte, Kolumnen, Foren, etc. Hinter einer Vielzahl von Möchtegern-Portal-Features geht der redaktionelle Kern der Site beinahe verloren. Möglicherweise vertraut man nicht genügend seinen "Kernkompetenzen" und hat sich beinahe ein Bein dafür abgebrochen, möglichst viele "Internet-typische" Funktionen einzubauen. Auf eine ganz Internet-typische Funktion hat man allerdings vergessen oder freiwillig verzichtet - auf nach außen führende Links in den Artikeln. Zwar gibt es Headlines von anderen Informationsanbietern, aber im Text oder darunter keine verlinkten Schlüsselworte zu relevanten Informationsquellen. Auch verzichtet man darauf, eine druckerfreundliche oder downloadbare Version anzubieten. Das mit Abstand praktischste Feature ist die Lieferung eines selbstzusammengestellten News-Pakets per Email täglich.

Ob man mit diesem Selbstverständnis einer Internet-typischen Site wirklich gegen Portal-Sites wie Yahoo! oder Inhaltsmonster wie BBC ankommen wird, bleibt zu bezweifeln. Dies vor dem Hintergrund, dass es um das Wachstumspotential der Print-FT nicht so gut steht. Zwar ist der Launch einer deutschen Ausgabe (gemeinsam mit Gruner+Jahr) schon in Kürze zu erwarten, doch krankt die internationale Expansion daran, dass die FT gegen das Wall Street Journal in den USA einfach keine Chance hat, während, was internationale politische Nachrichten und Relevanz für die asiatischen Mräkte betrifft, der International Herald Tribune einfach den besseren Journalismus praktiziert. Da blieb beinahe nur noch die Flucht nach vorne in die Online-Welt.