Deutschland 2020: "Wir schaffen das"

Eine Fantasie

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"Wir schaffen das." Dieser Spruch Angela Merkels hat 2015 einen bis dahin unvorstellbaren Wandel des gesellschaftlichen Bewusstseins in der Bundesrepublik eingeleitet. Durch die nicht abebben wollenden Solidaritätsbekundungen und die Empathie der deutschen Bevölkerung für in Notsituation geratene Völker wurden nach und nach einschneidende Veränderungen der Außenpolitik nötig.

Die Änderungen reichten von neugedachten Wirtschaftshilfen und Handelsbeziehungen über fast komplett zurückgefahrene Militärexporte bis hin zur Bemühung, die Nato in ein Instrument der internationalen Katastrophenbewältigung umzugestalten. Dieser schwere, aber für das Selbstbewusstsein der Menschen in diesem Land gesundende Umbruch versetzte uns nun, im Frühjahr 2020, in eine recht komfortable Situation.

Im März hielt die Bundeskanzlerin eine Grundsatzrede, in der sie herausstrich, dass man bei der Bewältigung der "COVID 19"- Krise effektive Handlungsbemühungen nicht in allen Regionen voraussetzen könne. Deshalb sei es umso wichtiger, Kapazitäten frei zu halten, im Notfall anderenorts, unabhängig von religiösen oder weltanschaulichen Belangen, Hilfeleistungen anbieten zu können. Dies sei nur möglich, wenn wir unsere Handlungsfähigkeit durch Beschneidung der Infektionskette aufrechterhalten.

In diesem Zusammenhang wies sie darauf hin, dass man es leider versäumt habe, sich ausreichend mit Schutzausrüstung zu bevorraten und es weltweit an medizintechnischer Ausrüstung mangele. Momentan stehe man vor dem Problem, sich mit vorhandenem Geld nichtproduzierte, aber benötigte Mittel nicht kaufen zu können. Zum Abschluss ihrer Rede mahnte Frau Angela Merkel einen aufmerksamen Journalismus an, damit wichtige Anregungen und Befürchtungen aus aller Welt nicht verloren gehen.

Aufgerüttelt durch diese Rede und erschüttert durch Ereignisse in Italien beschlossen nahezu alle börsennotierten Unternehmen sofort den Aktienhandel auszusetzen und geschäftliche Interessen dem Gemeinwohl unterzuordnen. Über dem Hauptportal von Mercedes wehte ein Banner des Betriebsrates: "Autos braucht jetzt niemand". Bei VW ging man sogar soweit, aus den in den letzten Monaten auf Halde produzierten Autos medizintechnisch verwertbare Sensoren, Elektronik und Aggregate auszubauen. Die papier- und textilverarbeitende Industrie richtete, mit Hilfe chinesischer Techniker, Produktionsstrecken für medizinische Schutzausrüstung ein.

Um das politische und unternehmerische Engagement bei der Beschaffung und Produktion medizinischer Geräte und Ausrüstung zu entlasten, organisierte die deutsche "Fridays For Future"- Bewegung die Heimproduktion von wiederverwendbaren Stoffmasken für die Bevölkerung. Bundesweit schlossen sich die "Landfrauenverbände" diesem Aufruf an. Außerdem erklärten sich Schülerinnen und Schüler der Oberstufe bereit, mit den von den Landesgesundheitsämtern verteilten Fieberthermometern Temperaturmessungen im öffentlichen Raum vorzunehmen und auffälligen Bürgern, mittels der von Buchungsportalen bereitgestellten Daten, Hotelzimmer in der Nähe anzubieten, um dort auf weitere Klärung des Infektionsstatus zu warten.

Die "Deutsche Industrie und Handelskammer" koordinierte eine, von Auszubildenden angestoßene, Initiative zur Versorgung von Menschen aus besonderen Risikogruppen. Jenseits jeder nationalen Eitelkeit unterstellte sich das "Robert Koch Institut" dem Dienst der WHO und übernahm in Deutschland die Aufgabe, Forschungen im Bereich Medikation und Impfung zu bündeln und zu koordinieren und mit rascher statistischer Aufarbeitung die internationale Forschung zu unterstützen. Gemeinsam mit kubanischen Katastrophenrettern beteiligten sich das "THW" und das "Deutsche Rote Kreuz" weltweit an der Einrichtung von Quarantänestationen.

Durch die Verteilung der Krisenbelastungen auf alle Schultern der Gesellschaft war es möglich, bereits Ende des Frühjahres zu einem relativ unbeschwerten Leben zurückzukehren. Die Infektionskette war so weit gebändigt, dass man eine kontrollierte Verbreitung des Virus gewährleisten konnte.

Die Bildungsministerien arbeiteten gemeinsam mit Lehrern an angepassten Lehrplänen für das neue Schuljahr, Zeugnisausgaben für das laufende Schuljahr wurden ausgesetzt. Die Automobilindustrie nutzte die Zeit des Produktionsausfalls intensiv für Konzeptentwicklung und Forschung, so dass die nächste "IAA" am neuen Standort das spannendste Technikereignis des Jahres zu werden versprach. Weiterhin wurden Kräfte zur Bewältigung der Umstellung der Energiewirtschaft gebündelt. Die gravierenden Umgestaltungen im Bereich des Gesundheits- und Pflegewesens ermöglichten es, Hilfskräfte in aller Welt regelmäßig auszutauschen, um für deren Regeneration zu sorgen. Betriebe mit mehr als 100 Angestellten stellten angepasste Kontingente an Mitarbeitern frei, um auf freiwilliger Basis soziale Dienste auf Zeit zu übernehmen. Man bereitete sich bereits auf die nächste große Aufgabe vor, endlich das Flüchtlingsdilemma in den ärmsten Regionen Europas zu lösen.

Besonders hilfreich für die Konzentration auf die zu bewältigende Aufgabe, war der breite gesellschaftliche Konsens: "Abgerechnet wird zum Schluss, erst dann wird man sehen, welche Konsequenzen unsere Gesellschaft aus dieser Krise ziehen muss."