Deutschland ist kein Strombettler: Warum nur schlechte Kaufleute das behaupten
Politiker und die Bild-Zeitung erklären Deutschland zum Strombettler. Das ist aber nur reine Polemik, die von Unverständnis des Strommarktes zeugt. Ein Kommentar.
Die Bild-Zeitung versucht seit Wochen, den Deutschen Angst vor Stromengpässen einzureden. Man müsse nun in den Nachbarländern um Strom betteln, heißt es immer wieder.
Damit bläst sie ins gleiche Horn wie konservative und rechte Politiker. Seitdem die letzten drei deutschen Atomkraftwerke vom Netz gegangen sind, wird auch die Opposition im Bundestag nicht müde, auf steigende Strompreise hinzuweisen.
Einer dieser Politiker ist der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der in seiner Fraktion eine neue Verwendung gefunden hat und sich jetzt immer wieder zur Energiepolitik zu Wort meldet. Er kritisierte im Sommer etwa das AKW-Aus – allerdings ohne hinzufügen, dass eine Bundesregierung unter Führung seiner Partei im Jahr 2011 den stufenweisen Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen hatte.
Spahns Mantra zeigt hauptsächlich eines: Ihm fehlt es auf seinem neuen Posten offensichtlich an kaufmännischem Grundwissen und an Kenntnissen über die Funktionsweise der Energiemärkte.
Nach bester Kaufmannstradition kauft Deutschland Strom im Ausland
Deutsche Stromhändler kaufen immer dann Strom im Ausland ein, wenn er dort billiger ist als der Strom, der in Deutschland in Steinkohle- oder Gaskraftwerken erzeugt wird. Wer jetzt fordert, Deutschland solle sich bei der Stromerzeugung zu 100 Prozent auf deutsche Kraftwerke verlassen, übersieht, dass weder die dort verfeuerte Steinkohle aus deutschen Minen noch das benötigte Gas aus deutschen Quellen stammt. Auch das Uran der drei im Frühjahr abgeschalteten Kernkraftwerke stammte nicht aus deutschen Quellen.
Grundsätzlich kommen im europäischen Strombinnenmarkt immer die günstigsten Stromquellen zum Zuge. Und das sind in der Regel die erneuerbaren Energien.
Nun gibt es in Deutschland interessierte Kreise, die prinzipiell jeder Bundesregierung an den Karren fahren wollen. Forderten sie früher, Merkel müsse weg, so greifen sie heute auch die aktuelle Bundesregierung an. Sie versuchen der Bevölkerung weiszumachen, dass ein Blackout eintreten könnte.
Sollte dies tatsächlich einmal der Fall sein, dann dürfte kein Strommangel dafür verantwortlich sein. Das eigentliche Problem der deutschen Stromversorgung ist der fehlende Netzausbau auf allen Ebenen.
Mit der Liberalisierung der Strommärkte wurde der Netzausbau von der Bundesnetzagentur genehmigungspflichtig. Um die Netzkosten in Deutschland niedrig zu halten, wurde der Netzausbau oft sehr restriktiv gehandhabt, und bei den Übertragungsnetzen haben Bürgerinitiativen und z. B. die Staatsregierung in München den Ausbau nach Kräften behindert.
Wenn jetzt der Strom aus erneuerbaren Energien im Norden und Osten Deutschlands nicht in den Süden transportiert werden kann, müssen die Übertragungsleitungen dringend ausgebaut und die Kosten dafür den Kunden in den Regionen in Rechnung gestellt werden, die den Ausbau bisher verhindert haben.
Im nächsten Winter wird der CO₂-Fußabdruck der deutschen Stromerzeugung steigen
Im kommenden Winter muss Deutschland möglicherweise wieder mehr Strom aus fossilen Quellen beziehen. Ein Grund dafür sind die Atomkraftwerke in Frankreich. Sollten diese wie im vergangenen Winter erneut ausfallen, müsste Deutschland voraussichtlich wieder seine Steinkohleblöcke reaktivieren.
Damit würde nicht nur wieder mehr Kohlendioxid ausgestoßen. Auch bei der Entschwefelung ist die Technik nicht auf dem neuesten Stand, weil etwa die Transportkapazitäten für die benötigten Rohstoffe nicht mehr zur Verfügung stehen.
Wenn Deutschland im Winter wieder Strom nach Frankreich liefern muss, weil dort eine Stromknappheit droht, steigen auch hierzulande die Kosten für den Strom, für den dann ebenfalls CO₂-Abgaben zu zahlen sind.
Aufgrund des Merit-Order-Effekts steigen dann auch die Kosten für den Bezug aus anderen Stromquellen. Wollte man dies verhindern, müsste der deutsche Steuerzahler für die Mehrkosten aufkommen, die durch die höhere Stromnachfrage in Frankreich und die Aktivierung fossiler Kraftwerke entstehen.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass dieses Szenario eines Tages eintritt. Der Grund dafür liegt in den geopolitischen Veränderungen, welche die Preise des Urans in die Höhe treiben.
So bezieht Frankreich etwa ein Fünftel des Urans für seine 56 Kernkraftwerke aus Niger. Der französische Staatskonzern Orano kontrolliert rund drei Viertel der Uranvorkommen des afrikanischen Landes. Als ehemalige Kolonialmacht hatte sich Paris stets vorteilhafte Lieferverträge sichern können, die nach dem Putsch nun in Gefahr sind.
Ein weiterer wichtiger Uranlieferant ist Russland. Wie lange die Lieferkette noch sicher ist, ist angesichts des Krieges in der Ukraine und der europäischen Reaktion darauf unklar. Daran ändert auch nichts, dass erst in diesem Jahr ein Joint Venture mit Rosatom zur Produktion von Brennstäben geschlossen wurde.
Die Preise für Brennstäbe sind derzeit auf einem Höchststand, weil sich viele Kunden jetzt wohl noch mit Brennstäben eindecken wollen und die Zahl der Akteure im Nukleargeschäft überschaubar geworden ist.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.